Meinhard-Wilhelm Schulz

Venedig sehen und morden - Thriller-Paket mit 7 Venedig-Krimis


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Nacht zum fünften Frauenmord in Serie. Wir Journalisten hätten die Entlassung des offensichtlich zu Unrecht Inhaftierten Conte d‘ Iceto verlangt, doch die Herren di Fusco und Marcello hatten ihn dergestalt in die Enge getrieben, dass er keinen anderen Ausweg wusste, als sich zu erhängen. Dass es dazu kommen musste, halten wir für einen Skandal. Da auch Privatdetektiv Giuseppe Tartini an diesem Fehler mitgewirkt hat, sollte man ihn ebenfalls zur Rechenschaft ziehen. In Venedig geht ein Mörder um, und nichts geschieht! Wie lange noch? Wozu haben wir unsere Stadtwache? Wofür besolden wir sie noch, wenn nichts geschieht?«

      Volpe kicherte und sagte weiter nichts dazu. Wir schlenderten schließlich über den von Touristen überfluteten Markuspatz und weiter westwärts bis zum ‚Teatro la Fenice‘:

      »Sie geben König Ödipus von Sophokles«, rief Volpe schwärmerisch verzückt, »einen echten Sophokles! Ich habe für uns Karten besorgt. Verlassen wir doch einmal die Niederungen der Barbarei! Hinein in die Gefilde der Kultur!«

      Ich folgte ihm missmutig. Ein leckeres Mahl an der Theke der unfernen, Bratenduft verströmenden Trattoria wäre mir lieber gewesen. Knurrend und murrend folgte ich dem Freund, bis uns ein unfreundlicher Platzanweiser zu den Sitzen geleitete.

      Die Leistung der Schauspielertruppe war mittelmäßig, der Zuschauerraum halb leer geblieben, der Beifall verhalten und von Bu-Rufen unterbrochen. Ich war einer von ihnen.

      »‚Vita brevis, ars longa‘ (Leben kurz; Kunst lang), wie wir Römer sagen«, murmelte Volpe, »und beim nächsten Mal verschleppe ich dich zu einem Gegenabend mit Itzhak Perlmann, das schwöre ich, alle Violinsonaten solo von Bach.«

      »Um Gottes willen, nur das nicht!«, stöhnte ich, während wir das Gebäude hinter uns ließen, »dafür fehlt es mir an Sitzfleisch.«

      Tief in Gedanken versunken liefen wir ostwärts und kamen wieder zur brodelnden Innenstadt zurück. Jetzt endlich durfte ich mich am Tresen der zuvor außer acht gelassenen Trattoria laben und von den Schrecken des Sophokles erholen.

      Wir aßen unter den Kolonaden des Markusplatzes. Volpe bestellte sich ‚minestrone con pane‘, typisch für diesen Gesundheitsapostel. Ich hatte Kohldampf und verspachtelte lieber frisch gegrillten Aal mit Gnocchi und Salat. Beim Putzen der Platte muss ich allzu heftig gewesen sein, denn Volpe sagte lachend:

      »Essen ist ein Bedürfnis, Speisen eine Kunst; Goethe.«

      »Wie immer, mein Freund, hast du recht. Schon der alte Professor Grzimek sagte, Menschen fräßen, Tiere äßen, hihihi.«

      Zum obigen Speisen tranken wir immerhin einträchtig eine Mischung aus Wasser und Wein. Er aber wählte einen herben grünlich schimmernden Tropfen aus, ich bevorzugte einen bernsteinfarbenen süßen Sizilianer.

      »‚Suum cuique‘ (jedem das Seine), wie schon die alten Römer sagten«, versetzte Volpe, indem er meine Blicke deutete.

      13. Teil: Gruppenspiel mit Damen

      Schließlich war der Abend gekommen, und Giovanni hantierte emsig mit Pfannen und Töpfen, während wir das Speisezimmer für den geheimnisvollen Besuch vorbereiteten.

      Um den schweren runden Eichentisch, der schon darauf wartete, dass die Gerichte aufgetragen würden, stellten wir vier Stühle auf, zierliche, gut gepolsterte, mit Seitenlehne zum Aufstützen der Arme. Die beiden Besucher sollten getrennt durch Volpe und mich einander gegenüber sitzen. Daraus war zu schließen, dass sie einander nicht gerade freundlich gesonnen waren.

      Kaum waren wir mit diesen Vorbereitungen fertig und hatten uns in ein festliches Gewand gehüllt, da riss uns schon energisches Klingeln aus den Träumen. Kurz darauf geleitete Giovanni den ersten Gast hinein. Volpe kicherte, als ich vor Staunen das Maul nicht mehr zu bekam, denn es war … es war Cornelia, die da herein tänzelte, in ein schulterfreies blaues Minikleid gehüllt, das ihr nur eine Handbreit über das Gesäß reichte; dazu silberfarbene Flipflops an den Füßen. Sie trug keinerlei Schmuck und war weder geschminkt noch parfümiert.

      Herausfordernd, um nicht zu sagen unverschämt frech blickte sie erst Volpe und dann mich an, ohne etwas zu sagen und kräuselte dabei verführerisch ihre auffällig breiten Lippen. Dann hockte sie sich lässig auf die Kante des Korbstuhles und schlug die rosig aufblühenden Schenkel übereinander, um sie in voller Länge zur Schau zu stellen, ja, sogar der Ansatz ihres winzigen, an gedrehten Schnüren befestigten Slips mit dem Muster einer Schlangenhaut wurde sichtbar; welch unverschämte Bestie!

      Eine heiße Woge durchbrauste mich. Ich konnte die Blicke von diesem weiblichen Adonis nicht mehr losreißen. Ich war hingerissen. Mein Freund schmunzelte wissend und schwieg. Er kannte seinen weibstollen Pappenheimer.

      Erneut meldete sich melodisch die Glocke. Kurz darauf brachte der Butler unseren zweiten und letzten Gast zu seinem Sessel. Es war, wie ich nun freilich erwartet hatte, Maria Augusta, die schöne Mutter des toten Raimondo.

      Sie trug ein federleichtes, tief dekolletiertes bodenlanges Kleid, das ihre weibliche Figur umschmeichelte. Es war aus dunkelgrauer, fast schwarzer Seide gefertigt und in der Taille mit einer silbernen Kordel gegürtet. Das Gewand lief in feine Ärmel aus, welche unmittelbar am Handgelenk endeten. Ihre Füße steckten in filigran geflochtenen Sandalen, so herrlich, wie sie nur Italiens Schuhmacher zustande bringen.

      Maria Augusta war dezent geschminkt und verströmte den sanften Duft der Rosen. Eine Halskette aus Bernstein sowie silberne Armreifen und schlichte Ringe aus Silber an den Fingern beider Hände ergänzten das Geschmackvolle und Gepflegte ihrer damenhaften Erscheinung.

      Auch Signora Tiepolo blieb auf der Kante sitzen und warf zu Stein erstarrt verächtliche, ja, hasserfüllte Blicke auf die knabenhafte Erscheinung gegenüber, der sie sichtlich die unpassende Aufmachung verübelte. Der Gegensatz dieser fast gleichaltrigen Frauen konnte nicht größer sein.

      Volpe begrüßte die beiden einander in wildem Hass zugetanen Personen mit einem netten »buona sera, signore«und hieß sie, es sich bequem zu machen, denn schon schleppte Giovanni das prall gefüllte erste Tablett herein, um die Speisen auf den Tisch zu bringen. Es wurde das Feinste vom Feinsten serviert, dazu der beste Wein samt lauwarmem Wasser zum Verdünnen, und Volpe hieß seine Gäste, munter zuzulangen.

      Das taten sie denn auch, und mir ward jetzt mit jähem Schreck bewusst, welch gespenstisches Essen mein Freund hier veranstaltete, nämlich das Leichenmahl für Raimondo, der sich in der letzten Nacht das Leben genommen hatte, gegeben zugleich für Mutter und Ehefrau des Verblichenen.

      Beide hatten, der alten italienischen Sitte gehorchend, den gesamten Tag über kaum etwas gegessen oder getrunken. Umso gieriger griffen sie nun zu und leerten die Becher, einen nach dem anderen. Alle Anspannung, alle Hemmungen schienen gefallen, und es dauerte nicht lange, bis der Geist des Weines seine Wirkung tat, Zungen und Seelen zu lösen. Bekanntlich wird nirgendwo so viel gelacht wie auf der Leichenfeier. Volpe nahm nun, als er den Augenblick für gekommen hielt, das Wort und sagte:

      »Liebe Maria Augusta, liebe Cornelia, ich habe euch hierher zu einem privaten Abendessen geladen, um des Toten auf eine angemessene Weise zu gedenken, sowie diese heikle Angelegenheit mit euch zu besprechen. Sollte das Ergebnis zu meiner Zufriedenheit ausfallen, werde ich die Sache auf sich beruhen lassen. Wenn ihr aber nicht mit mir zusammenarbeitet, muss ich leider den Tenente di Fusco einschalten und ihm berichten, was ich weiß. Kommen wir zur Sache!

      Jemand hat sich, ohne bereits um den Selbstmord des Raimondo wissen zu können, darum bemüht, ihn aus dem Gefängnis zu befreien, indem er vergangen Nacht eine fette Hure erdolchte. Sie hieß übrigens Amanda und war ein Dreckstück; dennoch: Mord bleibt Mord, obwohl das eine sinnlose Tat war.«

      Cornelias Lippen verzogen sich bei diesen Worten zu einem flüchtigen Lächeln. Mit leisem Triumph sah sie zur Schwiegermutter hinüber. Volpe bemerkte dies und unterbrach seinen Vortrag für kurze Zeit. Ablenkend sagte er dann, unwillkürlich ins vertrauliche ‚Du‘ übergehend:

      »Liebe