Matt Rendell

Colombia Es Pasión!


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bei der Stadt, ich verlangte also nie einen Penny von irgendjemandem.« Nur eine Bedingung gab es: »Ich fing um sieben Uhr morgens mit der Arbeit an, wir brachen daher alle zusammen um drei zum Training auf.«

      José Gabriel war es gewohnt, früh aufzustehen. Alles andere als ein Stadtkind, wurde er in Sopó nördlich von Bogotá geboren, wo seine Großeltern einen Bauernhof verwalteten und für eine Schar Landarbeiter und hundert Rinder verantwortlich waren, deren Milch an eine Molkerei namens Alpina geliefert wurde, die in den 1940er Jahren von Schweizer Immigranten gegründet wurde, um kolumbianische Varianten von Emmentaler und Gruyère herzustellen.

      Als José Gabriels Großvater von einer Leiter fiel und lebenslange körperliche Einschränkungen davontrug, ging die Aufgabe, sich um die Familie zu kümmern, fortan an seinen Sohn – José Gabriels Vater – Ángel Gabriel Pantano über: »Meine Mutter war ab drei oder vier Uhr morgens, wenn es bitterkalt ist, bei den Kühen und Ziegen. Mein Vater fuhr den Milchlaster zum Betrieb.«

      Kolumbiens Priorität in den 1960er Jahren war die Industrialisierung: die Substitution von Importen durch Inlandserzeugnisse. Die verarbeitende Industrie, die 1929 nur 8,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmachte, weitete ihren Anteil auf 16,5 Prozent im Jahr 1945 und 20,6 Prozent Anfang der 1960er Jahre aus. Ein Besuch bei einem Onkel in Cali überzeugte Ángel Gabriel, auf der Welle des Fortschritts mitzuschwimmen.

      Angestellt, eine Dorfschule in der Nähe von Cali zu streichen, erfuhr er, dass die Stahlwerke Sidelpa – Siderúrgica del Pacifico – nach Leuten suchten. Nachdem er sich eine Weile dort verdingt hatte, heuerte er in einem neuen Wasserkraftwerk an. Erst dann holte er seine Familie nach Cali. Sein Sohn José Gabriel war sieben.

      Acht Jahre später, als Olga Sofia schwanger war, fing José Gabriel selbst an zu arbeiten, erst auf dem Bau, dann be- und entlud er Lastwagen, dann arbeitete er für einen Sicherheitsdienst. Er nahm bis auf 110 Kilo zu. Schließlich fand er eine Festanstellung als Bauinspektor bei der Stadtverwaltung und begann wieder Rad zu fahren. Er bestritt Seniorenrennen und Landesmeisterschaften für Angestellte im öffentlichen Dienst. Aber Zeit zum Trainieren hatte er nur in den frühen Morgenstunden.

      Olga Sofía erzählt mir: »Jarlinson war erst drei, aber er stand auf und bettelte, mitfahren zu dürfen. Er nahm sich die Pumpe und pumpte Josés Reifen auf.«

      José ergänzt: »Ich sagte: ›Du bist zu klein, geh wieder ins Bett.‹ Als er zehn war und anfing, ernsthaft zu fahren, sagten die Leute zu mir: ›Sei vorsichtig, du wirst ihn verheizen.‹ Sie hatten keine Ahnung, dass ich ihn all die Jahre zurückgehalten hatte.«

      Als er acht war, fand Olga unter Jarlinsons Bett eine Mappe mit einem Schulaufsatz, in dem er über seine Wünsche schrieb.

      Dort stand: »Mein Name ist Jarlinson Pantano und ich möchte Provinzmeister im Radsport werden und dann Landesmeister und mein Ziel ist es, an der Tour de France teilzunehmen und eine Etappe zu gewinnen.«

      José sagt: »Er besaß den Schlüssel zu einem glücklichen Leben: Leidenschaft. Er fuhr den ganzen Tag auf seinem Kinderrad, vom Hinterhof zur Haustür und zurück.«

      Wann immer in Cali ein Rennen stattfand, fuhr Jarlinson hin, um zuzuschauen. Wenn sein Onkel Dubán dabei war, kehrte er mit einer Trinkflasche oder einem Paar Handschuhen als Souvenir heim.

      Inzwischen lebte die Familie im Barrio La Independencia in der Comuna 11, Calis elftem Distrikt, der errichtet wurde, um die Überlebenden einer gewaltigen Explosion unterzubringen, die die Stadt im August 1956 erschüttert hatte. Zehn Lastwagen der Armee, die Dynamit geladen hatten, gingen damals vor dem alten Bahnhof in die Luft. Die Explosion machte den Bahnhof und 40 Straßenzüge dem Erdboden gleich, 4.000 Menschen kamen ums Leben.

      Jarlinsons älterer Bruder Carlos Andrés wurde entdeckt, als er Fußball für die Comuna spielte, und erhielt ein Angebot von der U15 von América de Cali. Mit 16 trainierte er dann bereits mit der ersten Mannschaft des Clubs. Ihm schien eine große Zukunft bevorzustehen. »Es gab zwei andere Spieler in der gleichen Situation. Einer von ihnen war der Sohn eines früheren América-Spielers. Er wurde immer vor mir aufgestellt«, erzählt er.

      »Einmal spielte América gegen die Millonarios [aus Bogotá]. Ich hatte unter der Woche gut trainiert und hoffte, mein Debüt geben zu dürfen. Stattdessen stand der Sohn des Ex-Spielers im Team und ich war außen vor. Ich beschloss: ›Das war’s.‹«

      Gewöhnt daran, seinen Vater und seinen Bruder auf ihren Rädern zu sehen, fing auch Andrés mit dem Radsport an. Keinen Monat später wurde er bei den Provinzmeisterschaften Zweiter im Zeitfahren und Dritter im Straßenrennen.

      Auch Jarlinson liebte Fußball, war aber nicht so talentiert wie sein Bruder, daher hegte er andere Ambitionen. Er begann, zu trainieren und an Kinderrennen teilzunehmen. Wie sein stolzer Vater es ausdrückt: »Er konnte auf einem Bein gewinnen, entweder im Sprint oder als Ausreißer.«

      José Gabriel trainierte ihn – »Es gab keine Pulsuhren, also hieß es nur ›Fahr mit 60 Prozent‹, ›Fahr mit 70 Prozent‹ und so weiter.« – und Ricardo Gallego stellte ein Team auf die Beine, Joyería Richard, um ihn zu unterstützen, und zahlte Jarlinson für Siege kleine Summen aus.

      Jarlinsons Tagesablauf begann mit dem Training um drei Uhr morgens. Um 7:30 Uhr musste er in der Schule sein: »Manchmal traf ich erst um acht dort ein, aber später durfte ich nicht kommen. Wenn ich nicht zu müde war, verbrachte ich die Pausen mit Freunden. Ansonsten legte ich mich aufs Ohr.«

      José erinnert sich an eine Schlagzeile in der Lokalzeitung El Caleño: »Triunfan los Pantano en Palmira« – »Die Pantanos triumphieren in Palmira.« Andrés und Jarlinson hatten beide ihre Rennen gewonnen, José Gabriel wurde in seinem Zweiter. Im folgenden Jahr schaffte es Andrés in die kolumbianische Auswahl für die Panamerikanischen Spiele.

      2001 begann Jarlinson, inzwischen zwölf, auf der berühmten Radrennbahn in Cali unter Hernán Herrón zu trainieren, der an den Olympischen Spielen von 1960 teilgenommen hatte und später Nationaltrainer der Bahnfahrer wurde. Bei den Provinzmeisterschaften 2004 in Yumbo holte Jarlinson Gold in der Einer- sowie in der Mannschaftsverfolgung auf der Bahn, anschließend gewann er das Straßenrennen. Dann, im Juli 2005, brachte ihn Auswahltrainer Luís Fernando Saldarriaga für das Zweier-Mannschaftsfahren bei den Panamerikanischen Radmeisterschaften in Barquisimeto in Venezuela mit einem anderen jungen Star des kolumbianischen Radsports zusammen: Rigoberto Urán Urán. Rigoberto war 18, Jarlinson zwei Jahre jünger.

      In Venezuela wurde Urán am Abend vor dem Finale krank, aber er versicherte Jarlinson: »Keine Sorge, País, morgen gewinnen wir.«

      Saldarriaga erinnert sich: »Rigo hatte sich eine Grippe eingefangen, aber es spielte keine Rolle. Sie lieferten eine Demonstration ab und holten die Goldmedaille.«

      Jarlinson bestritt außerdem die Mannschaftsverfolgung und das Punktefahren, bevor er Urán im Straßenrennen unterstützte, das Rigoberto, der bereits im Einzelzeitfahren triumphiert hatte, standesgemäß gewann. Im August reiste Jarlinson nach Österreich zu den Bahn-Weltmeisterschaften der Junioren. Er gewann seinen Qualifikationslauf für das Scratch-Rennen, belegte im Finale aber nur Platz 17.

      2006 wurde Dalivier Ospina, ein Fahrer aus Palmira, gleich nördlich von Cali, nach Aigle in der Schweiz eingeladen, um am Sitz des Radsportweltverbands UCI im World Cycling Centre zu trainieren. Drei Jahre älter als Jarlinson, wurde Ospina gebeten, dem WCC einen weiteren Juniorenfahrer zu empfehlen, und er schlug Pantano vor. Der kolumbianische Verband und die Radsportliga Valle del Cauca kamen für die Spesen auf, Ricardo Gallego und weitere Freunde der Familie steuerten den Rest bei.

      Jarlinson erinnert sich: »Ich war drei Monate dort, aber ich war jung und es war hart, denn ich konnte die Sprache nicht. Aufgrund meines Zeitplans bekam ich zwar Frühstück, versäumte aber die anderen Mahlzeiten, sodass ich letztlich bei Brot landete, das ich mit Coca-Cola runterspülte, und zunahm.«

      Trotzdem wurden Jarlinson und Dalivier erneut ins World Cycling Centre eingeladen, um für dessen Farben die Tour de l’Avenir zu bestreiten. Zwischen April und September 2007 nahm Jarlinson an der Seite eines anderen Azubis des World Cycling Centre, Chris Froome, an mehreren Rennen in Europa teil.