kein Problem«, sagte Waldmüller noch einmal, als müsse er sich in die Tasche lügen. Genau dasselbe wird er gesagt haben, als er mit Freunden das Geschäft mit der Gießerei Quast erörtert hatte, nun musste er sich darum sorgen, dass er seine Maschine nicht schnell genug wieder an die Hand bekam. Wenn nicht, hatte er einen Ladenhüter für viele hunderttausend Euro da stehen, der nur Lagerhaltungskosten produzierte. Ein fein ausgeklügeltes Monstrum aus Stahl und Elektronik, knapp dreißig Tonnen schwer, wie aus dem Lieferschein hervorging, den Abel gerade noch einmal überflog. Dabei tüftelten die Ingenieure bei uns, und die Japaner, Amis und vielleicht sogar die Chinesen schon an der nächsten Generation dieser Art von Maschinen. Auflagen von weniger als dreihundert Stück. Die neuen kamen und die alten waren nur noch ein bizarres, buntes Gebilde aus Stahl und Lack mit Kabeln, Führungsschienen und Greifarmen. Ein Schrotthändler würde ein paar Tausender bieten, weil hochwertiges Material zum Bau verwendet worden war. Die paar Tausender deckten jedoch noch nicht einmal die Zinsen ab, die Waldmüller bei seiner Bank bezahlen musste. Sein eigenes Kapital würde er abschreiben können, wenn die Sache platzte. Zweihundertfünfzigtausend würden fort sein. Und dazu musste er die halbe Million, die er sich gepumpt hatte, an die Bank zurückbezahlen. So wird aus einem wohlhabenden jungen Kaufmann ein schuldenbeladener armer Hund, für den es sich nicht mehr zu arbeiten lohnt! Denn wie will man eine halbe Million je wieder verdienen, wenn man kein Startkapital besitzt? Durch Arbeit geht das kaum.
Waldmüller war durch den Alkohol kaum ruhiger geworden. Er saß Abel gegenüber und starrte vor sich hin, irritiert, weil sein Anwalt den Mund hielt und in einem dicken roten Band mit unzähligen Gesetzen blätterte. Waldmüllers Finger trommelten herum, er räusperte sich und rieb sich mit der Hand die Nasenwurzel. Dann sagte er, dass er zu Abel gekommen war mit seinem Problem, weil Abel ein Anwalt war, der nicht bloß ein großes Maul hat, sondern einer, der auch was anpacken konnte. Waldmüller hatte Abel von einem Freund empfohlen bekommen, dem Abel den Führerschein in einer energisch geführten Verhandlung gerettet hatte.
»Ja, ja«, brummte Abel und nickte. Es tat gut, wenn ein Mandant so was sagte. Das war so ähnlich wie bei Fußballtrainern, deren Mannschaft gewonnen hatte. Abel ließ die Katze aus dem Sack: »Wir probieren's mit einer Einstweiligen Verfügung.«
Waldmüller war skeptisch. »Das dauert«, rief er. Wieder schaute er symbolisch auf seine Armbanduhr. »Die Justiz pennt sich doch immer einen ab.«
»Es kann dauern, muss aber nicht«, sagte Abel und stand auf. »Ganz wie der Richter will. Wenn wir Glück haben, kommen wir an einen, der uns einen Beschluss in einer Stunde macht. Ohne nähere Begründung, nur zur Sicherung Ihrer Rechte, Herr Waldmüller.«
So einen sollte man finden, brummte Waldmüller, als ob man sich auf die Justiz verlassen könnte. Überhaupt und vor allem in so einem Fall. Ein Ausdruck hilfloser Skepsis flog über sein Gesicht.
Abel stand auf und sagte: »Feierabend.«
»Feierabend? Gibt's denn keinen Bereitschaftsdienst oder so was?«
»Doch«, Abel nickte und sortierte im Stehen Waldmüllers Papiere so, wie er sie brauchte. »Aber für uns reicht es, wenn wir morgen ganz früh in der Geschäftsverteilung einen ausgeschlafenen Kollegen bekommen. Sie können sich doch lebhaft vorstellen, wie ein Richter drauf ist, den man wegen einer Maschine aus dem Bett holt. Oder er muss vom Stammtisch weg ... es gibt tausende von Möglichkeiten, sich die Chancen zu versauen, Nachtbereitschaft bei der Justiz ist eine davon«, lachte Abel.
Waldmüllers Nervosität war durch diese taktischen Erwägungen eher verstärkt als gemildert worden. Er sprang auf, lief herum und fragte sich, ob er den Holländer für die gebrauchte Maschine schon anrufen und ihm signalisieren sollte, dass alles klar gehe.
»Abwarten.«
Waldmüller fragte Abel nach den Erfolgsaussichten. »So Pi mal Daumen.«
Abel zuckte mit den Schultern und sagte: »So lala.«
»Wann morgen?«
»Um sieben bei mir.« Abel pochte mit dem Knöchel auf seinen Schreibtisch, »dann setzen wir die Antragsschrift gleich auf. Paletti?«
»Und warum setzen wir das nicht sofort auf?«
»Weil ich jetzt erst mal die Rechtsprechung durchsehen muss«, sagte Abel und steckte die Hände in die Taschen, wartend, ob sich der Mandant dazu entschließen würde, die Kanzlei zu verlassen. Die zwei Cognacs rumorten in seinem Magen. Er brauchte was zwischen die Zähne nach fast zehn Stunden Fahrt.
Waldmüller ließ die Armbanduhr wieder herausflutschen. »Und Sie meinen, es steht gut?«, fragte er. »Auch zeitmäßig, damit wir noch rechtzeitig hinkommen und die Maschine holen können?«
»Drücken wir die Daumen.«
»Sagen Sie doch ja oder nein«, Waldmüllers Stimme überschlug sich fast, war wieder schrill und unangenehm. Abel blieb so stehen, wie er stand. Er sagte sich, dass man Geduld haben müsse mit seinen Mandanten. Wenn einer die Nerven verliert, wird es nicht dadurch besser, dass sein Anwalt ebenfalls durchdreht. Deshalb schwieg Abel und starrte Rolf Waldmüller ins Gesicht. Der hielt dem Blick nicht stand, lief zur Tür, drehte sich herum, wollte wieder etwas schreien, davon, dass einer wie der andere sei bei diesen Juristen. Alle immer einen schwammigen Spruch nach dem anderen auf den Lippen.
Abel schien zu ahnen, was Waldmüller durch den Kopf ging. »Was hilft's Ihnen, wenn ich behaupte, alles klar, Aussichten bestens, und dann fallen wir auf den Hintern? Was dann? Dann würden Sie sich mit Recht hinterher beschweren.«
»Ich könnte wenigstens heute Nacht besser schlafen.«
»Bis um sieben«, sagte Abel und hob die Hand.
*
Sie hatten Käthe endlich ein Bett gemacht. Rooming in. Mütter konnten in der Kinderklinik die Nacht verbringen, um sie zu beruhigen und damit man sie gleich da hatte, wenn was war. Das Bett stand in einem schmalen Raum neben Gretchens Zimmer, der keinen Schmuck aufwies, nur ein Kruzifix ohne den Heiland hing an der Wand. Käthe saß auf der Bettkante, ihre Handtasche vor den Füßen, den Kopf in die Hände gestützt und starrte das Kruzifix an. Ein Kruzifix sind zwei unterschiedlich lange Holzleisten, die sich im rechten Winkel kreuzen. Mehr nicht. Sie hatte mit dem Christentum nichts mehr zu tun. Kinder lernten den Glauben von den Eltern. Doch oft war Beten nur leere Routine. Aber noch nicht einmal das war bei Käthe zu Hause gebräuchlich gewesen. Nur in der Schule hatte sie Religionsunterricht gehabt, weil der Vater nicht aus der Kirche ausgetreten war. Doch vom Unterricht war nichts unter die Haut, geschweige denn ins Herz gelangt.
Wenn Käthe selbst einmal die Augen zumachen wird ... die endgültige Finsternis. Sie machte sich keinerlei Illusionen. Und was von ihr zurückbleiben würde? Ein paar Gegenstände, die verteilt werden würden, die eine oder andere Anekdote, zwei, drei Sprichwörter, die sie häufiger benutzt hatte. Trauer und Tränen? Wenn Gretchen sie überlebt, bestimmt. Sonst bleibt nur der Name Käthe Lauer auf einem Grabstein. Aber dafür lebte man ja schließlich nicht. Für Gretchen schon. Und zwar egal, ob sie hinterher um ihre Mutter trauerte.
Käthe liebte ihr Gretchen ganz einfach. Und deswegen hatte sie würgende Angst davor, das Kind wegen eines Zeckenbisses zu verlieren.
Sie blickte wieder zu dem Kruzifix auf, das im kalten Licht einer Neonröhre an der Wand hing. Wie jeder hatte sie schon ein paarmal, als es Spitz auf Knopf stand, ein Geschäft mit dem Göttlichen machen wollen. Früher, als sie noch klein gewesen war, handelte sie mit dem Heiland, denn der war körperlicher, gegenwärtiger, später liefen diese Verhandlungen dann mit einem abstrakten Gott. Dieser Gott war für sie nicht allwissend, sondern allvermögend gewesen. Das war wichtig, denn er konnte mit einem Griff alles herumwerfen. Oft hatten die Geschäfte mit dem Allvermögenden geklappt und Käthe hatte als Kind ihren Teil der Vereinbarung pingelig eingehalten.
Also gut, sagte sich die erwachsene Käthe, wieder ein Handel. Gelang es Gott, dass sich Gretchen entspannte, die Röte aus dem Gesichtchen verschwand und nur noch die Backen glühten,