so viel, dass am folgenden Morgen das Fieber sinken und das Penicillin seinen Siegeszug antreten würde. Aber warum sollte er sich auf einen Handel mit Käthe Lauer aus München einlassen?
Käthe stand auf, trat an das Kreuz heran, verschränkte die Arme vor der Brust und starrte auf die beiden braun gebeizten Holzlatten. Nein, sie war nicht gläubig, jetzt aber bereit, auf ein Zeichen zu reagieren. Sie sprach kein Gebet. Das Händefalten war Kinderhänden vorbehalten. Sie stand aufrecht. Sie hatte sich in ihrem Leben angewöhnt, aufrecht zu stehen. Gott konnte doch diese Haltung nicht verwerflich finden und darauf bestehen, dass man kniete. Also stand Käthe aufrecht und bat für ihr Kind vor dem Kreuz in der weiß gestrichenen Rooming-in-Zelle. Und sie versprach Gott etwas, wenn's klappte. Was, wusste sie noch nicht. Aber es würde was sein, das sie schmerzte. Warum eigentlich musste so was schmerzen, fuhr es ihr durch den Kopf. So, als wäre was Schmerzliches für Gott eine Wohltat, als zähle für ihn nur, was durch Verzicht und Qual erkauft werden musste. Schaffte er denn nicht aus einer wohlwollenden Gleichgültigkeit heraus alles, was so vorkam, und obendrein noch die Wunder? War für ihn Gretchens Leiden nicht genauso fern wie der Tod der Kinder damals in Auschwitz? Seien wir doch ehrlich, er kann doch nur so weiterexistieren, der abstrakte Gott, wenn er so weit draußen ist, so weit weg. Wie könnte er das Leid sonst ertragen? Käthe kam sich ungerecht vor, gegenüber dem, mit dem sie einen Handel machen wollte, weil sie ihn so kalt einschätzte. Doch dann dachte sie, egal, wenn's hilft, verspreche ich was Schmerzliches. Dann löschte sie das Licht und legte sich in den Kleidern für einen Dämmerschlaf hin.
*
Von wegen sofortiges Studium der Rechtsprechung! Kaum dass Waldmüller endlich die Kanzlei verlassen hatte, ging Abel in seine Küche, gab dem Hund zu saufen und machte sich was zu Essen. Steinhartes Vollkornbrot war das Einzige, was er fand. Die Butter war ranzig und roch obendrein nach Kühlschrank. Er holte eine Büchse Sardinen aus der Speisekammer, Verfallsdatum war gerade noch okay. Bei Fisch war Abel pingelig.
Die Heimat hatte ihn wieder.
Wie hatte er da in Frankreich gegessen, und welche Weine hatte er getrunken! Wie hatte er gelebt! Er musste lächeln, war versucht, mit seinem Hund zu sprechen. Er dachte an das Postkartenmeer, mit Segeln gespickt. Das Gewusel an Land hatte nachgelassen. Krethi und Plethi aus Paris waren gerade fort. Retours jours difficiles! Die Campingplätze nicht mehr zum Bersten voll. Das Land hatte durchzuatmen begonnen. Träger Südwind hatte die Wellen kräuseln lassen. Windsurfer hatten am Strand gelegen und neben den in der Brise wehenden bunten Segeln gefachsimpelt. Schöne Frauen waren vorbeigegangen, die Schuhe in der Hand, manche mit einem Lächeln auf den Lippen. Kinder hatten sich mit Sand beworfen.
»Und du schaust dich auch wieder um, wenn's bald hier in München regnet«, sagte er zu Paul Schmitz und warf ihm ein Stück Brot zu.
Abel schüttelte die Sentimentalitäten ab und ging in sein Büro. Er löschte das Deckenlicht, knipste die Tischlampe an und stellte den Teller mit Brot und Sardinen auf die Schreibunterlage. Er goss sich noch einen großen Weinbrand ein, dann zog er das Telefon herüber und wählte Frankreich. 0033 493286877. Er wollte seiner Carol sagen, dass er gut angekommen war. Doch keiner nahm ab. Sie war ausgegangen. Was sollte sie auch zu Hause im Ferienhaus hocken und auf seinen Anruf warten?
Er legte achselzuckend wieder auf. In zwei Tagen war er wieder unten. So viel Zeit gab er sich in dieser Sache. Dann sollte Waldmüller seine Maschine verscherbeln und Abel würde einen namhaften Betrag an Honorar einnehmen. Dann würde er mit der Ferienliebe gut essen gehen. Was heißt gut, exzellent! »Und der Hund bekommt einen großen Kalbsknochen!«, sagte er zu Schmitz, der das trockene Brot mit der Nase auf dem Boden herumschubste.
Abel machte Musik. Carmen McRae, Septembergirl und dann Mel Torme, Swings Shubert Alley. Er aß seine Sardinen und trank Weinbrand dazu. Alles kam ihm interimsmäßig vor. Zwei Tage auf Arbeit zu Hause. Juristische Montage an einem Eilfall.
Er versuchte noch einmal unten im Ferienhaus anzurufen. Keiner nahm ab. Na ja, es würde schon alles in Ordnung sein.
Jetzt nahm er sich den Kommentar zur Zivilprozessordnung vor und suchte nach passenden Argumenten, um die Sache Waldmüller in Sack und Tüten zu bekommen.
*
Abels Klient Waldmüller war in ein Lokal gegangen. Er wusste, dass er dort seinesgleichen treffen würde. Sie kamen so um zwölf in der Nacht hereingeschneit, wenn sie bei der gerade aktuellen Freundin ihre Nummer geschoben hatten und dem Gequatsche von der gemeinsamen Zukunft und deren Modalitäten entkommen wollten. Ein Longdrink oder ein Whisky. Die Bar war dunkel. Die Musik war so leise wie in einem Supermarkt, unverbindlich waberte sie herum wie die bläulichen Zigarettenqualmschichten. Nur eine Frau war da. Sie saß in einer Ecke und wartete auf ihren Begleiter, der zum Pinkeln draußen war. Sie nippte an einem Glas Orangensaft und gab sich so verschlossen wie möglich, so allein in einer Ecke dieser Bar. Der Barmann lächelte hinüber, weil lächeln das Geschäft fördert. Die Frau trug eine Spitzenbluse aus Synthetik zum schwarzen Kaminrock.
Waldmüller nahm seinen Zigarillo raus und setzte sich auf einen Barhocker neben Ritchie. Damit die Hosenfalten nicht litten, hob er die Beine vorsichtig an. Er kannte Ritchie vom Tennis. Ritchie hatte eine brutal gute Vorhand, ums präzise zu sagen, einen knallharten Topspin. Ritchie war braun, hatte dunkle Haare und einen winzigen Silberblick. Dass Ritchie immer braun war, hatte einen beruflichen Grund. Er vertrieb Einrichtungen für Bräunungsstudios. Er wäre gesund, sagte man von ihm. Man meinte das in den Waldmüller'schen Kreisen gewöhnlich in finanzieller Hinsicht. Waldmüller bestellte was zu trinken für sich und Ritchie. Denn Waldmüller hatte ein Problem, es hatte ihm nicht gefallen, wie Abel seinen Fall anging. Okay, der Anwalt war extra aus dem Urlaub gekommen, aber diese passive Haltung: »Was hast’n du für’n Anwalt?«, fragte er.
Ritchie war betrunken. Dann kugelten ihm die Augäpfel immer unkontrolliert herum. Er schaute zu Waldmüller hinüber und sagte, dass alle Anwälte Gauner seien. Soweit deckten sich die Vorstellungen der beiden Gesprächspartner.
»Und wen nimmst du?«, wollte Waldmüller wissen.
»Sie heißt Mäller«, sagte Ritchie, »so eine ganz Stille mit einer Brille«. Ritchie erzählte Fälle aus dem Leben, schilderte, wie Armanda Mäller für ihn die Kohlen aus dem Feuer geholt hatte, und wie er, der Ritchie, der Anwältin Mäller sagte, was zu machen wär und was roger wär. Absolut! Und sie nimmt auch Cash. Nimm die, wenn du einen Anwalt brauchst.
Trotzdem war Waldmüller skeptisch. Er zog die Wangen zwischen die Zähne. Das machte ihn noch schmaler. Der Barmann servierte noch einen Drink. Waldmüller nippte. Er wusste, dass es nicht möglich war, seinem Tennisfreund klaren Wein einzuschenken. Man stelle sich vor, der Ritchie tratscht herum, dass man in Schwierigkeiten ist. Dann nimmt kein Hund mehr ein Stück Brot von einem. Unterdessen redete der Ritchie von Armanda Mäller.
»Wie alt ist die?«, fragte Waldmüller.
»Unklar. Irgendwas vor scheintot«, sagte Ritchie. Er bohrte sich mit dem Finger in die Schläfe und sagte, dass die Mäller eine unheimliche Nummer sei. »Da oben hat sie's, und Erfahrung, okay?«
»Ja.«
Waldmüller ließ sich die Adresse und Telefonnummer der Rechtsanwältin Mäller geben. »Probleme?«
»Immer«, sagt Waldmüller obenhin. »Ein Typ schuldet mir drei Mille«.
»Okay«, nickte Ritchie und es klang verständnisvoll. Dreitausend sind auch Geld.
Das Pärchen ging. Beim Ausgang schob der Mann seine gepflegten Hände zwischen die Rüschen der Nylonbluse und zog das Mädchen an sich. Waldmüller hatte das gesehen. Er wandte sich Ritchie zu, dem er eine Antwort schuldig zu sein glaubte.
»Es geht ums Prinzip«, sagte er, »verstehst du?«
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