Frank Rehfeld

Krimi Jahresband 2020 - 11 Spannungsromane in einem Band!


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blickte zur Tür. Er zögerte.

      Es klingelte noch einmal.

      Gillingers Jackett hing über einem Stuhl. Er holte einen zierlichen Revolver vom Kaliber 22 aus der Innentasche und ging zur Tür. Der kleine Bildschirm der Überwachungsanlage zeigte einen Mann im grauen Overall. Auf dem Kopf trug er eine Schirmmütze. Vom Gesicht war nur die Mundpartie zu sehen. 'N.Y. Parcel Service' stand vorne auf der Mütze. Unter dem rechten Arm trug er ein Päckcken.

      Ein Kurier.

      Gillinger atmete auf.

      Du machst dich noch verrückt!, dachte er und betätigte die Gegensprechanlage. Der Kurier hatte sich schon wieder abgewandt, um zu gehen.

      "Ja?", fragte Gillinger.

      "Ich brauche eine Unterschrift von Ihnen, dann bekommen Sie das hier", sagte der Kurier, ohne aufzublicken.

      "Okay."

      Gillinger öffnete die Tür...

      ...und blickte in den blanken Lauf einer automatischen Pistole, auf die ein Schalldämpfer aufgeschraubt war.

      "Fallenlassen!"

      Gillinger erstarrte erst, dann gehorchte er. Sein 22er landete auf dem Boden.

      "Vandermoore!", entfuhr es dem Broker.

      Der vermeintliche Kurier versetzte Gillinger einen brutalen Stoß, der ihn durch das halbe Appartment taumeln und schließlich zu Boden gehen ließ.

      Mit einem Fußtritt ließ Vandermoore die Tür ins Schloß gehen.

      Ein hässliches Grinsen stand in seinem Gesicht.

      "Wir sind uns persönlich nie begegnet und trotzdem haben Sie mein Gesicht erkannt", stellte der Killer fest.

      "Spricht wohl für die Qualität der Fahndungsfotos, die über mich im Umlauf sind..."

      "Was wollen Sie von mir?"

      "Schöne Grüße von Randy Torturro", zischte Vandermoore zwischen den Zähnen hindurch. "Leider kann er die nicht mehr selbst überbringen, weil von seinem Schädel so gut wie nichts mehr übrig geblieben ist..."

      Gillinger starrte Vandermoore fassungslos an.

      "Sie sind wahnsinnig!", murmelte der Broker.

      "Was aus Ihrem Schädel wird, liegt ganz bei Ihnen, Gillinger. Aber eines sollten Sie sich merken: Ich lasse mich nicht zum Narren halten..."

      Vandermoore vollführte eine blitzschnelle Seitwärtsbewegung.

      Er streckte den Arm mit der Schalldämpferpistole aus, richtete sie auf den Computerschirm und drückte ab.

      Ein trockener Plop-Laut folgte.

      "Nein!", stöhnte Gillinger.

      Der Bildschirm zersprang.

      "Ich kann noch ganz andere Dinge tun", kündigte Vandermoore an.

      Gillinger zitterte.

      "Was wollen Sie, verdammt noch mal?", kreischte der Börsenmakler. Der letzte Rest von Farbe war aus seinem Gesicht geflohen. Er war bleich wie die Wand.

      "Ich will, dass Sie bezahlen, Gillinger. So wie Alana.

      Aber die Million, die ich von ihr bekommen habe, betrachte ich nur als eine Art Anzahlung. Und ich will außerdem Informationen."

      "Informationen?", echote Gillinger. "Worüber?"

      "Über die Leute, die sonst noch in dieser Sache drinhängen. Ich werde nicht zulassen, dass die ungeschoren davonkommen." Vandermoore lachte zynisch. "Ihr wolltet mich über die Klinge springen lassen, aber jetzt hat sich der Wind gedreht... Jetzt seid ihr an der Reihe!"

      Vandermoore hob die Pistole.

      Ein Geräusch wie der Schlag mit einer Zeitung folgte.

      Gillinger schrie auf, während sich sein Oberschenkel blutrot färbte.

      "Sind Sie wahnsinnig?", schrie Gillinger.

      Vandermoore grinste mitleidlos.

      "Ich würde nicht versuchen, das genauer auszutesten!", zischte er.

      20

      Die Ergebnisse unserer Durchsuchungsaktion bei den Batistutas waren bescheiden. Von John Batistuta gab es keine Spur. Seine persönlichen Sachen wirkten so, als wären sie schon seit längerem nicht mehr angerührt worden.

      Unsere Leute transportierten kistenweise Geschäftsunterlagen und PCs ab. Vielleicht gelang es unseren Spezialisten, in mühevoller Kleinarbeit doch noch nachzuweisen, dass irgendwo eine Million sehr plötzlich aus dem Batistuta-Vermögen abgezogen worden war.

      Wir befragten auch Eric Batistuta.

      Aber aus dem war kaum eine vernünftige Antwort herauszuholen. Durch Informanten wussten wir, dass er regelmäßig an illegalen Glücksspielrunden teilnahm und dabei kräftig verlor. Aber es war nicht sein eigenes Geld, das er verspielte, sondern das seines Vaters. Und abgesehen von seiner Spielsucht schien er kein weiteres Laster zu haben.

      Es war ein offenes Geheimnis, dass man Eric für Führungsaufgaben im Syndikat als nicht geeignet ansah.

      Selbst sein Vater 'Big Boss' John hatte diese Ansicht geäußert.

      Alana war da schon von anderem Kaliber.

      "Sie sollten die Stadt nicht verlassen, bis die Sache aufgeklärt ist", riet ich ihr.

      Sie verzog das Gesicht, machte einen Schmollmund.

      "Ich bin überzeugt davon, dass Ihre Leute mich auf Schritt und Tritt beobachten", erwiderte sie dann.

      Es war Mittag, als wir bei den Batistutas fertig waren.

      Als wir zum Special Case Field Office zurückkehrten, erfuhren wir, dass unsere Kollegen inzwischen Vandermoores Spur aufgenommen hatten.

      Fred Raska war auf einen Händler für Angel- und Bootsbedarf auf Coney Island gestoßen, der am vergangenen Tag ein Schlauchboot mit Außenborder verkauft hatte. Und außerdem glaubte er, Vandermoore als den Käufer wiederzuerkennen.

      Der flüchtige Lohnkiller hatte mit einer gestohlenen Kreditkarte bezahlt, von der wir nur hoffen konnten, dass er sie auch noch zur Begleichung anderer Kosten benutzt hatte.

      Die Computerrecherche lief auf Hochtouren.

      Die Kreditkarte war einem Pensionör aus Brooklyn abhanden gekommen, nachdem ihn im Kaufhaus Macy's ein Mann angerempelt hatte, bei dem es sich gut und gerne um Vandermoore handeln konnte. Dieses Ereignis hatte etwa fünf Stunden nach der Schießerei auf dem Schrottplatz in New Jersey stattgefunden, bei der Vandermoore seine vermeintlichen Befreier getötet hatte.

      Es passte also alles zusammen.

      Als unser Kollege Sid Caddox von der Fahndung in unser Büro platzte, war mir gleich klar, was das bedeutete.

      "Wir haben ihn!", rief Sid. "Er hat die Kreditkarte schon einmal benutzt. Und zwar, um seine Rechnung in einem Hotel zu bezahlen. 173. Straße, Hausnummer 1290, Bronx."

      "Nichts wie hin!", meinte Lew und überprüfte dabei die Ladung seiner SIG.

      Wir brachen mit einem halben Dutzend Einsatzwagen in die Bronx auf. Außerdem wurden Kollegen der City Police alarmiert und ebenfalls in die 173. Straße beordert. Das Gebiet um das Hotel herum musste weiträumig abgeriegelt werden. Und das möglichst unauffällig. Denn im Ernstfall würde Rod Vandermoore erbarmungslos um sich schießen, ohne Rücksicht auf Unbeteiligte.

      Ein amoklaufender Killer - das mussten wir um jeden Preis vermeiden.

      Wir erreichten die Adresse des Hotels.

      Ich hielt den roten Jaguar am Straßenrand, schräg gegenüber lag Haus Nummer 1290.

      Die Hundertdreiundsiebzigste