verwandt. Seine »Kunstformen der Natur« gehörten wie »Brehms Tierleben« in jeden Haushalt. Die darin enthaltenen Abbildungen beeinflussten die Kunst des beginnenden 20. Jahrhunderts vor allem den Jugendstil. (Wikipedia)
Die blonde, blauäugige Maria war noch kein halbes Jahr alt, als Julia erneut schwanger war und im November 1908 mit Zwillingen niederkam. Bei der Hausgeburt erblickte zuerst ein gesundes Mädchen das Licht der Welt, das Zweitgeborene war nicht lebensfähig. Bode überlegte sich die Namen seiner Kinder sehr genau, hierfür studierte er das Deutsche Namensbüchlein, in dem die Bedeutung und Herkunft einzelner Silben erklärt wurde. Er notierte: »Zuerst waren es romantische Gedanken, die Gefallen fanden an der Seltsamkeit des Vergangenen und am herben, tiefsinnigen Klang. Man verwandte die alten Namen so wie man künstliche Ruinen baut und wob auch wohl geschichtlichen Gehalt in diesen Gedankenkreis mit ein. Die Wesensart des Kindes wird in seinem Namen aufgerufen, sodass der Name zur Kennung und zum Wegweiser für das erkennende Selbst und zu ihm hin wird. Sprache prägt unser Denken.«
Erkengard war ein zartes Baby, mit braunen Augen und braun gelockten Haaren. Der Vater hatte sich einen Jungen gewünscht und war enttäuscht. Die Wöchnerin sollte von seinen Gefühlen nichts bemerken, deshalb schenkte er ihr zur Geburt des zweiten Kindes einen von Brillanten umkränzten Saphirring.
Julia hatte sich in den Augen ihres Mannes in eine vegetative Pflanze verwandelt, die Nahrung für ihre Kinder war. Ihm fehlten die geistreichen Gespräche über Literatur, die er früher mit ihr hatte führen können. Um dem Geschrei von zwei Babys zu entgehen, suchte Hermann an den Wochenenden vermehrt den Kontakt zu seinem Bruder, mit dem er ins Theater ging oder Kunstausstellungen besuchte, während Julia ihre Freizeit mit ihrer Schwester verbrachte. Stanzi half ihrem Mann in der orthopädischen Praxis, danach musizierten die Frauen gemeinsam und besprachen die neuesten Entwicklungen in der Kindererziehung, über die sie sich viele Gedanken machten. Mit zwei Kleinkindern war Julia vollauf beschäftigt, als sie 1909 feststellte, dass sich wiederum ein neuer Erdenbürger in ihrem Bauch eingenistet hatte. Dieses Mal musste es der von Hermann gewünschte Sohn werden. Im Mai 1910 wurde Elsa in diese Welt geboren. Sie hatte die braunen Augen und schwarzen Haare der Mutter. Zur Geburt der dritten Tochter bekam Julia ein silbergefasstes Büchlein geschenkt, das sie an einem Lederband um den Hals tragen sollte. Bode wollte, dass alle Aufträge, die er seiner Frau erteilte, in diesem Notizbuch festgehalten würden, damit sie über den Tag nicht in Vergessenheit gerieten.
Die frühe Kindheit empfanden die Mädchen als besonders harmonisch. Sie hatten Freude an dem großen Garten, in dem es einen Sandhaufen und eine Schaukel gab. Im Haus wurde viel Musik gemacht, Hermann spielte Geige und Julia begleitete ihn auf dem Flügel. Wie Friedrich der Große spielte der Vater außerdem noch Querflöte und komponierte eigene Musikstücke. Jeden Abend, wenn er von der Praxis nach Hause kam, wurde gemeinsam gesungen; so lernten die Töchter ihre Stimme im Kanon zu halten und konnten die eingeübten Kinderlieder mehrstimmig vortragen. Bevor zur Nacht das Licht gelöscht wurde, bekamen sie eine Geschichte vorgelesen. Das Buch Tausendundeine Nacht enthielt märchenhafte Illustrationen und mit der Erinnerung an diese Bilder schliefen die Kinder ein und träumten von Scheherazade und dem Sultan, von schwarzen Sklaven und fliegenden Teppichen. Die Märchen des Hans Christian Andersen belebten ihre kindliche Fantasie. Sie konnten nicht genug bekommen von der Nachtigall, die so wundervoll sang: »Da bekam der Tod Sehnsucht nach seinem Garten und schwebte, wie ein kalter, weißer Nebel, aus dem Fenster.«
Hermann komponierte lustige Kinderlieder und beschenkte die Töchter mit Selbstgereimtem:
Zum Frühlingssonnenschein geh nicht auf die Wiesen,weil da die Blümlein aus dem Boden schießen.Auch in den Wald zu gehen sollst du nicht wagen,weil dort die Bäume wie toll ausschlagen.Drum willst du sicher sein, ich rate dir ehrlich,schließ dich ins Zimmer ein, draußen ist’s gefährlich!
Das Musikzimmer lag unter dem Kinderzimmer und die drei Mädchen hörten zu, wenn die Eltern musizierten. Manchmal lagen sie mit dem Ohr auf dem Fußboden und lauschten, um nur ja keinen Ton zu versäumen. Zur damaligen Zeit gab es kein Radio, keinerlei Musik, die nicht direkt ausgeübt wurde, nicht nur deshalb pflegte und schätzte man die Hausmusik. Das Wohnzimmer war mit Eichenmöbeln eingerichtet, die mit pflanzlichen Motiven verziert waren und aus dem 14. Jahrhundert stammten. Gleich neben der Tür stand der grün glasierte Jugendstilkachelofen, der vom Flur aus beheizt wurde. Hinter seinem Schmiedeeisentürchen wurden im Winter die Bratäpfel gegart und verströmten einen aromatischen Duft. Mit Preiselbeeren gefüllt kam diese Köstlichkeit als Nachspeise auf den Tisch. Von den Spaziergängen brachte Julia Wiesenblumen und Unkräuter mit nach Hause und arrangierte sie in einem irdenen Krug, den sie auf eine handgewebte Tischdecke stellte. Aus samtigen Stoffen nähte sie Kleider für ihre Töchter und deren Puppen. In einer Ecke des Wohnraums stand ein niedriger Kindertisch mit drei kleinen Stühlen. Dort kochten die Mädchen auf einem Blechherd kleine Mahlzeiten oder servierten ihren Püppchen Tee aus winzigen Porzellantassen. Die Großeltern schenkten ihnen ein Puppenbett aus Schmiedeeisen und einen Leiterwagen. Fels, Hermanns Airedale Terrier, konnte mit einem Ledergeschirr vor den Wagen gespannt werden, dann zog die Kinderschar singend in den nahegelegenen Park, in dem sie Elfen und Kobolde jagten.
Nach dem dritten Kind war Julia füllig geworden, ihre großen braunen Augen wirkten sanftmütig, ihre Gestalt sehr weiblich und weich und sie umsorgte ihre Töchter und kochte mit Leidenschaft. Jeden Morgen ging sie auf den Markt und holte frisches Gemüse und Obst. Die Landfrau wickelte die Ware in eine alte Zeitung ein, die Julia zu Hause glatt strich und las. Stundenlang probierte sie neue Rezepte aus und konnte beim Abschmecken ausgefallener Saucen die Zeit vergessen. Wenn die Kinder nicht folgen wollten, dann drohte die Mutter mit einem Kleiderbügel. Man hörte sie nie herumschreien, als letztes Erziehungsmittel kniff sie kräftig in den Arm des Kindes und sagte: »Wirst du wohl!«
Kam eine Person, die Julia nicht leiden konnte in die Wohnung, dann riss sie, kaum war diejenige aus dem Haus, alle Fenster und Türen auf und wedelte mit dem Küchentuch die fremde Hinterlassenschaft zum Tempel hinaus. Es gab nur ein Badezimmer, in dem auch die Toilette stand. Unangenehme Gerüche verbrannte sie mit mehreren Streichhölzern oder einem Fidibus. Sollten die Kinder nicht verstehen, was die Eltern sich zu sagen hatten, dann sprachen sie Französisch. Julia hatte eine sonderbare Angewohnheit: Sie ließ durch die gespitzten Lippen hörbar die Luft entweichen, es war kein Pfeifen, aber man spürte einen Luftzug. Maria mochte das nicht und sagte dann ärgerlich: »Hör auf, mich anzupusten, ich bin doch keine heiße Kartoffel.« Von der Ältesten derart zurechtgewiesen, füllten sich Julias Augen mit Tränen. Sie war sehr empfindsam und immer ein bisschen traurig.
Vater Hermann erschien jeden Morgen mit Anzug und Krawatte, so fühlte er sich standesgemäß gekleidet. Täglich nahm er ein Bad und legte großen Wert auf Körperpflege, Hygiene und eine würdevolle Erscheinung. Seine Schlafanzüge waren aus weißer Seide, das kühle glatte Material hatte eine Sinnlichkeit, die für ihn der Inbegriff von Luxus war. Er scheitelte das Haar mit Brillantine und nach der Rasur klopfte er sich ein französisches Duftwasser auf die Wangen, danach polierte er seine Fingernägel mit einem Lederbalg. Bode war ein pedantischer Mensch, alles musste exakt nach seinen Vorstellungen gemacht werden. Julia und die Kinder hatten sich unterzuordnen, um in den Genuss seiner liebevollen und fürsorglichen Seite zu kommen. Pünktlich um Viertel vor neun verließ der Zahnarzt das Haus und ging in die Praxis, gegen sechs Uhr abends blickten die Mädchen schon erwartungsvoll aus dem Fenster und wenn der Vater um die Ecke bog, dann sprangen sie ihm entgegen, als hätten sie den ganzen Tag sehnsüchtig auf ihn gewartet. Wenn das Abendbrot beendet und abgeräumt war, rauchte der Hausherr eine selbstgedrehte Zigarette, pflückte die Tabakkrümel von der Lippe und schwenkte den französischen Rotwein in einem bauchigen Kristallglas, bevor er daran nippte.
Im Feuilleton des »Hannoverschen Anzeigers« traf Bode auf einen Artikel von Karl Brandler-Pracht, in dem er über die Astrologie schrieb: »Es ist nicht nur nötig zu wissen, was uns in der Zukunft treffen wird, sondern auch, wann es uns treffen wird, damit man es für seinen Lebensweg in Betracht ziehen kann.« Auf dem Weg in die Praxis kaufte er Band I der Astrologischen Kollektion, in der der Autor die astronomischen Grundbegriffe und die genaue Berechnung der Sternkonstellationen erklärt. Zur Bestimmung der Position und der Umlaufbahn von Planeten waren komplexe Formen von Geometrie und Trigonometrie zu erlernen, hierbei ließ sich Bode von einem Mitarbeiter