Schweiß auf Dornbachs Stirn fühlte sich jetzt eiskalt an.
Er öffnete halb den Mund und war im ersten Moment vollkommen unfähig, auch nur einen einzigen Ton herauszubringen.
„Geht es Ihnen nicht gut?“, fragte der Mann mit der Brille.
„Alles in Ordnung“, meinte Dornbach, obwohl sein Herz raste und er das Gefühl hatte, als ob jemand einen Spanngurt um seinen Brustkorb gespannt hätte und diesen nun langsam immer fester zurrte.
Dornbach ging weiter Richtung Tresen.
Eine Frau von Mitte dreißig saß dort vor ihrem Kaffee. Sie trug ein seriös wirkendes Kostüm. Das blonde Haar war leicht gelockt.
„Einen Kaffee“, wandte sich Dornbach an den Mann mit dem Kalli-T-Shirt. „Und ich hoffe, dass er besonders stark ist.“
„Für Sie also einen Leichenwecker!“
„Ja.“
Er grinste.
Aber dieses Grinsen erstarb sofort, als er die Schweißperlen auf Kallis Stirn sah.
„Ist es Ihnen zu warm hier?“
„Nein, nein, ist alles in Ordnung.“
„Sagen Sie, ich kenne Sie doch. Fahren Sie die Strecke nicht öfter?“
„Tut mir Leid, aber mir ist im Moment nicht nach Small Talk“, sagte Dornbach.
„War ja nur 'ne Frage. Ich dachte, ich hätte Sie hier schon mal gesehen.“
Das Telefon klingelte und der Mann mit dem „ICH BIN KALLI“- T-Shirt ging an den Apparat.
„Nehmen Sie das Kalli nicht übel“, sagte die Frau mit den blonden Locken. „Das macht er bei jedem.“
Dornbach lächelte matt.
Immer wieder kehrte sein Blick dabei zu den blonden Haaren zurück, die sich auf ihren schmalen Schultern kräuselten.
Dornbach nippte an seinem Kaffee. „Wenigstens ist sein sogenannter Leichenwecker wirklich das, was er sein sollte – nämlich stark!“
„Ja, hier halten viele Trucker, die viel zu lange auf dem Bock sitzen und glauben, dass sie mit einer Tasse des Gebräus wenigstens noch bis Ludwigslust kommen!“ Sie stutzte. „Ist irgendetwas mit meinen Haaren nicht in Ordnung oder warum starren Sie...“
„Es ist alles in Ordnung. Es ist nur so: Jemand, der mir sehr nahe stand, hatte die Haare genauso wie Sie. Und für einen Moment sind meine Gedanken etwas abgeschweift.“
Sie runzelte die Stirn.
Dann blickte sie auf die Uhr an ihrem Handgelenk und sagte: „Es wird Zeit für mich.“ Sie wirkte plötzlich nervös. Kalli war immer noch am Telefon. Sie holte ihre Kreditkarte aus der Handtasche und tickte damit unruhig auf dem Tresen herum. Als sie stille hielt, konnte Dornbach den Namen lesen, der dort eingetragen war.
Rita Rabulewski.
3
Eine halbe Stunde später ...
Die Limousine holperte über den schmalen, ungepflasterten Weg, der bis zu einem Waldstück führte. In einer Entfernung von einer halben Meile war das nächtliche Lichterband der Autobahn zu sehen.
Bei dem Waldstück hielt der Wagen. Der Motor wurde abgeschaltet.
Der Fahrer stieg aus, umrundete die Motorhaube und öffnete die Beifahrertür. Das Mondlicht fiel auf den von blonden Locken bedeckten Kopf einer Frau.
Dieser Kopf sackte schlaff nach vorn.
Der Fahrer der Limousine griff in die Seitentasche seiner Jacke und holte ein paar Latex-Handschuhe hervor, die er sich jetzt überstreifte. Anschließend fasste er den regungslosen Körper der Frau unter den Armen und hievte ihn vom Beifahrersitz herunter. Ihre Hacken schleiften über den Boden. Sie verlor einen Schuh.
Am Waldrand angekommen, lehnte er sie gegen einen dicken, knorrigen Baum. Sie stöhnte plötzlich auf. Ein unartikulierter Laut kam über ihre Lippen. Der Kopf hob sich kurz, bevor sich das Kinn wieder gegen den Halsansatz presste.
Vielleicht habe ich die K.o.-Tropfen nicht ausreichend dosiert!, ging es dem Fahrer durch den Kopf. Er musste sich also beeilen. Er holte ein Klappmesser hervor. Die Klinge blitzte im Mondlicht.
Er ging neben ihr in die Hocke, nahm mit der Linken ihren rechten Arm und setzte ein paar schnelle Schnitte in der Armbeuge und am Handgelenk an. Dasselbe tat er mit dem anderen Arm.
Dann folgte ein ebenso schneller Schnitt durch die Halsschlagader.
Das Blut floss bereits in Strömen, als er mit dem Messer die Bluse und den Bund ihres Rockes öffnete. Die Bauchschlagader war immer am schwierigsten zu finden.
Als er zurück zum Wagen ging, fand er ihre Handtasche auf dem Beifahrersitz.
Er nahm sie und öffnete sie.
Wenig später fand er auch die Brieftasche. Er durchsuchte sie, fand zwei Kreditkarten und eine Mitgliedskarte einer Krankenkasse. Außerdem einen Führerschein.
Alles ausgestellt auf den Namen Rita Rabulewski.
Außerdem war da noch ein Ausweis einer Stadtbibliothek. Er war schon ziemlich alt, aber immer wieder erneuert worden. Das Foto zeigte Rita Rabulewski anstatt mit blonden, gelockten mit glatten dunklen Haaren.
Er verzog das Gesicht.
Hatte ich es mir doch gedacht! Falsch wie die meisten Blondinen!, ging es ihm durch den Kopf, während sein Gesicht einen Ausdruck von spöttischem Zynismus bekam.
Er tat alles wieder zurück in die Tasche und schloss sie sorgfältig. Anschließend schleuderte er sie dorthin, wo er die Frau zurückgelassen hatte.
4
Als mein Kollege Rudi Meier und ich den Tatort an der Autobahn Berlin-Hamburg erreichten, war es ungefähr zehn Uhr morgens. Schon von weitem konnte man die Einsatzfahrzeuge der Schutzpolizei sehen. Unübersehbar auch der Leichenwagen.
Wir waren mit insgesamt drei Fahrzeugen unterwegs. Mein Kollege Rudi Meier und ich fuhren wie üblich mit unserem Dienst-Porsche. Unsere Kollegen Tommy Kronberg und Leonhard Morell folgten uns in einem unscheinbaren Dacia aus den Beständen unserer Fahrbereitschaft, während unsere Erkennungsdienstler Sami Oldenburger und Pascal Horster mit einem Ford Maverick unterwegs waren.
Gleich am Morgen hatte Kriminaldirektor Bock, unser Chef uns alle in seinem Büro