Alfred Bekker

Zwei Alfred Bekker Krimis: Tot und blond / Der Hurenmörder von Berlin


Скачать книгу

allenfalls noch auf Honorarbasis für die Behörden – und ich sage Ihnen, es ist sehr viel angenehmer, mit dem Gefühl zu arbeiten, jederzeit die Brocken hinwerfen zu können, wenn einem etwas gegen den Strich geht.“

      „Konnte die Tote schon identifiziert werden?“, fragte Rudi an Polizeiobermeister Fastendonk gewandt.

      Dieser schüttelte den Kopf.

      „Nein. Meine Leute haben gleich die Umgebung abgesucht, in der Hoffnung, irgendetwas zu finden, das uns einen Hinweis geben könnte. Sie hatte keine Handtasche und keine Papiere dabei – und in dem Bereich, den wir absuchen konnten, fand sich auch nichts dergleichen.“

      Ich ging in die Hocke und sah mir die Tote genauer an. Ihre Augen waren geschlossen. Die Züge wirkten beinahe entspannt, friedlich. Auch das sprach dafür, dass sie betäubt worden war.

      „Selbstmord ist definitiv auszuschließen“, sagte Dr. Claus. „Die Schnitte an den Armbeugen und den Handgelenken hätte sie sich natürlich auch selbst beibringen können – aber bei dem Bauchschnitt halte ich das für vollkommen ausgeschlossen.“

      „Wir hätten dann auch die Tatwaffe finden müssen“, stellte der Kollege Fastendonk klar.

      „Mit was für einen Täter haben wir es Ihrer Meinung nach zu tun?“, fragte ich an Frederike Glasmacher gerichtet.

      „Er ist männlich, wahrscheinlich zwischen fünfundzwanzig und fünfundvierzig Jahre alt. Er dürfte von eher zurückhaltendem, introvertiertem Charakter sein und war vielleicht wegen einer Psychose in ärztlicher Behandlung. Vielleicht nimmt er bis heute Psychopharmaka, die ihn stabilisieren. Ich könnte mir vorstellen, dass er ein ziemlich unauffälliges Leben führt, einen Job gewissenhaft erfüllt. Kein Beruf, der Kreativität erfordert, sondern eher etwas... wie soll ich mich da ausdrücken?“

      „Langweiliges?“, hakte ich nach.

      Frederike Glasmacher nickte. „Buchhalter, Handelsvertreter, Prokurist. Vielleicht war er in der Schulzeit ein gewissenhafter Streber mit sehr guten Beurteilungen in den schriftlichen Fächern – und vor allem bei Tests im Multiple Choice Verfahren. Aber spätestens auf der Uni, wo mehr Selbstständigkeit gefragt ist, dürfte er ins Mittelfeld abgerutscht sein.“

      „Sie reden über den Täter, als wäre er Ihnen persönlich bekannt“, staunte der Kollege Fastendonk.

      „In gewisser Weise ist er das auch. Seit Jahren sehe ich mir die Tatorte an, die er hinterlassen hat und versuche mich in seine Situation hineinzudenken. In die Situation, die ihn dazu gebracht hat, so grässliche Dinge zu tun und Frauen wie geschächtete Tiere ausbluten zu lassen...“

      „Handelsvertreter ist vielleicht gar kein schlechter Gedanke“, meinte Rudi. „Schließlich sind doch alle Taten an einer der wichtigsten Verkehrsadern zwischen Hamburg und Berlin verübt worden, die unser Mann offenbar regelmäßig benutzt.“

      „Ein Trucker scheidet aus?“, fragte Fastendonk. „Ich meine, diese Strecke ist eine der vielbefahrensten Verkehrsrouten, auf der die großen Trucks manchmal Schlange stehen. Alles, was vom Hamburger Hafen rauf Richtung Polen und Osteuropa geschafft wird, geht diesen Weg...“

      „Ich nehme an, Abiturienten und Uni-Absolventen werden nicht unbedingt Trucker“, meinte ich. „Und Frau Glasmacher sprach ja davon, dass sie ihn als einen solchen vor sich sieht.“

      „Trotzdem würde ich die Trucker nicht von vorn herein ausschließen“, sagte Frederike Glasmacher. „Wir suchen schließlich jemanden, der wahrscheinlich beruflich unter seinen Möglichkeiten geblieben ist, weil er zu zurückhaltend war und sich nicht gut genug verkaufen konnte.“

      „Und das alles erkennen Sie aus diesem Tatort“, wunderte sich Tommy Kronberg.

      Sie schüttelte den Kopf. „Nicht aus diesem Tatort allein. Aber wenn man alle Tatorte dieser Serie zusammen betrachtet, ergibt sich dieses Bild.“ Frederike Glasmacher atmete tief durch. Ihre Augen verengten sich ein wenig. Sie hatte bis dahin einen sehr kontrollierten Eindruck auf mich gemacht, aber in diesem kurzen Moment konnte man erkennen, wie sehr sie dieser Fall beschäftigte und wie wenig sie es verwinden konnte, dass der Killer noch immer frei herumlief.

      Aber das war nicht verwunderlich.

      Dies war schließlich kein Fall wie jeder andere.

      „Der Mann, den wir suchen, hat kein sexuelles Motiv“, war sie plötzlich überzeugt.

      „Auch nicht in sublimierter Form?“

      „Nein. Es ging dem Täter auch nicht darum, Macht und Dominanz auszuüben oder um das Ausleben sadistischer Triebe. Im Gegenteil, er war sehr rücksichtsvoll. Schließlich hat er das Opfer vorher betäubt und sie getötet, bevor sie erwachte.“

      „Andernfalls würde sie wohl nicht so friedlich daliegen“, stimmte ich ihr zu. „Trotzdem. Der Begriff Rücksicht im Zusammenhang mit einem Gewaltverbrechen...“ Ich schüttelte den Kopf. „Tut mir Leid, das passt für mich nicht so richtig zusammen, wenn Sie verstehen, was ich meine!“

      „Das verstehe ich durchaus – und genau so widersprüchlich sieht es in der Psyche des Täters aus. Er wollte diese Frauen töten...“

      „Sie bestrafen?“

      „Nein, sich ihrer entledigen. Das trifft es besser. Aber er hat sie dabei sehr schonend behandelt, was mich zu folgender Theorie geführt hat: Die Frauen starben stellvertretend für eine Person, die ihm sehr nahe stand.“

      „Die Mutter?“

      „Es kann auch eine Geliebte oder Ehefrau gewesen sein. Jedenfalls sind seine Gefühle dieser Person gegenüber sehr ambivalent. Er liebt sie – daher die Rücksicht. Aber sie muss etwas getan haben, was ihn zutiefst verletzt hat und daher der Hass und die Notwendigkeit, sie zu töten.“ Ein Ruck durchlief ihren Körper. Sie drehte das Gesicht in meine Richtung und sah mich an. „Ich bin überzeugt davon, dass auf den Täter genau diese Merkmale zutreffen.“

      „Nur hat diese Einsicht bisher nicht dazu geführt, den Kerl zu fassen“, gab ich zu bedenken.

      Sie nickte. „Aber das liegt daran, dass er – abgesehen davon, dass er Frauen umbringt – vermutlich ein sehr unauffälliges Leben führt.“

      „Könnte er verheiratet sein und Familie haben?“

      „Das ist zumindest nicht ausgeschlossen.“ Frederike Glasmacher wandte sich an Dr. Claus. „Könnten Sie mir die Einschnitte noch einmal zeigen?“

      „Wenn Sie sich das unbedingt antun wollen – bitte!“, antwortete der Gerichtsmediziner, der seine Arbeit am Tatort erledigt hatte. Alles Weitere würde in den Obduktionsräumen der Ermittlungsgruppe Erkennungsdienst in Berlin geschehen.

      „Ist ihnen irgendetwas besonders aufgefallen?“, fragte Rudi.

      Frederike Glasmacher zuckte mit den schmalen Schultern. „Ich weiß noch nicht“, murmelte sie.

      5

      Ich ging unterdessen mit Polizeiobermeister Hans-Peter Fastendonk ein paar Schritte zur Seite, um den Kollegen vom Erkennungsdienst Platz zu machen.

      „Wer hat die Tote entdeckt?“

      „Ein Spaziergänger. Wohnt hier ganz in der Nähe.