Frank Callahan

Der Marshal kommt: Goldene Western Sammelband 12 Romane


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      Pegg wandert ruhelos durch den Raum, bleibt bald hier und bald dort sekundenlang stehen, um gleich weiterzugehen.

      „Aber vielleicht...“ Er bricht wieder ab und starrt Helen an.

      „Was?“

      „Es kann doch sein, dass er seinen Vater zufällig getroffen hat, nicht wahr. Man muss doch nicht schlecht sein, um ihn zu töten. Schließlich war ich fest entschlossen, es auch zu tun.“

      „In der Stadt legen sie es ihm anders aus. Ich weiß auch warum. Sie hassen ihn wie Andy und seinen Vater und kennen keinen Unterschied. Vielleicht dürfen sie bei einem Mörder auch keinen kennen. — Dad, es ist Unsinn! Der Cowboy war Matt. Und Matt hat ihm zur Freiheit verholfen.

      Roger ist nicht der Mann, der ihn dafür niederschießt. Und ich glaube, er würde auch nie auf seinen Vater schießen.“

      „Ja, aber ...“

      „Es gibt kein Aber. Roger kann es nicht gewesen sein. Du musst in die Stadt reiten und den Männern erklären, warum er es nicht gewesen sein kann! Jetzt, Dad! Im Morgengrauen kannst du in Collins sein. Beeile dich! Du weißt nicht, auf was für Gedanken sie kommen!“

      Der Siedler bleibt unentschlossen an der Tür stehen.

      „Oder zweifelst du daran?“, fragt Helen.

      „Eigentlich nicht. Nur, Helen, man kann sich in einem Menschen sehr täuschen. Und wie gesagt, Grund genug hatte er. Vielleicht ist er auf ihn gestoßen und schoss vor Überraschung und Angst.“

      „Nein! Er war es nicht. Niemals! Wenn du nicht reitest, mache ich es.“

      „Ich gehe ja schon.“

      34

      Das Dämmerlicht kriecht langsam durch das Fenster ins Office, als Roger das Ratschen des Schlüssels hört. Er richtet sich langsam auf, sieht die Tür aufgehen und den Schreiner mit dem leicht funkelnden Stern an der Weste hereinkommen.

      Rower zündet den Docht der Lampe an und schraubt ihn höher. Dann wendet er sich dem Gitter zu. Er nähert sich bis auf zwei Schritte und blickt Roger an, der jetzt an der Wand lehnt.

      „Ein Cowboy eurer Ranch war da“, sagt er. „Die Herde haben sie nicht wieder einholen können. In den Bergen haben sie die Spuren verloren.“

      Roger antwortet nicht. Er weiß nichts von einer Herde, aber es interessiert ihn auch nicht, überhaupt interessiert ihn die Ranch und alles was mit ihr zusammenhängt nicht mehr.

      „Die Boys kamen also zurück und fanden den Tresor ausgeräumt. Was sagst du dazu?“

      Roger schweigt immer noch.

      „Jetzt erklärt sich noch etwas“, redet der Schreiner weiter. „Genau genommen, hast du nämlich nach dem Mord immer noch zu lange gebraucht, um hierher zu kommen. Nun weiß ich, warum du so lange gebraucht hast. Du bist erst noch einmal umgekehrt und hast den Tresor aufgesprengt. Das Geld hast du irgendwo versteckt. Du wolltest also gar nicht fortreiten, sondern uns nur in die Irre führen.“

      „Ihre Verdächtigungen werden immer haarsträubender“, murmelt Roger. „Ich würde mich nicht wundern, wenn Sie gleich noch behaupten, ich hätte die Herde meines Vaters abtreiben lassen. Und dann gleich noch etwas: ich weiß, dass mein Vater nur wenig Bargeld in seinem Hause aufbewahrte. Fast sein ganzes Geld befindet sich in der Bank hier in Collins. Das müssten Sie auch wissen.“

      „Wie viel kann er denn zu Hause gehabt haben?“, fragt der Schreiner lauernd.

      „Weiß ich nicht. Ein paar tausend Dollar.“

      „Das ist doch schon allerhand, nicht wahr?“

      „Ich weiß nicht.“

      „Wir kommen der Sache immer näher“, meint der Schreiner und geht hinaus.

      Auf der Straße stehen überall Männer. Niemand scheint zu schlafen. Auch das Tanzmädchen Dallas sieht der Schreiner vor dem Saloon. Und natürlich weiß auch sie, was in der Stadt gesprochen wird. Als der Schreiner bei ihr stehenbleibt, sagt sie:

      „Ich habe darüber nachgedacht, Mister Rower. Sind Sie noch nicht darauf gekommen, dass Roger es gar nicht nötig gehabt hätte, seinen Vater zu berauben, wenn er ihn vorher ermordete?“

      „Wieso?“

      „Nun, Andy ist fort und vogelfrei. Wem außer Roger sollte der Besitz und alles Geld zufallen?“

      „Klingt ziemlich logisch“, gibt er zu. „Nur haben Sie eins vergessen: zunächst musste er verschwinden. Und dazu braucht ein Mann Geld. Er wollte uns nur in die Irre führen, einen Bogen schlagen und das Geld holen. Oder er hat es einfach versteckt, um so unverdächtig wie möglich zu erscheinen, wenn er gegriffen wird.“

      „Gegriffen haben Sie ihn ja. Und, ist er unverdächtig?“

      Der Schreiner knurrt böse.

      „Wenn niemand den Richter holt, werde ich es tun“, fährt Dallas fort. „Nur damit Sie nicht denken, ich würde dieses Spiel um seinen Kopf mitmachen.“ Sie wendet sich abrupt ab und lässt ihn stehen.

      35

      Der Schreiner sieht den Reiter, als er das Ende der Stadt erreicht. Er wartet, bis Tom Pegg heran ist und vor ihm anhält. Sie blicken sich an.

      „Was willst du noch, Pegg?“, erkundigt sich der Schreiner. „Ich bin jetzt der Marshal, bis Ruhe ist, damit wir einen neuen wählen können. Also, wenn du noch etwas herausgefunden hast, dann sag es mir.“

      Pegg überlegt, was er eigentlich sagen wollte. Helen hatte ihn dazu gedrängt, in die Stadt zu reiten. Aber warum eigentlich. Gewiss, er hatte erklären sollen, dass Roger es nicht gewesen sein kann. Aber wie sollte er das nun beweisen?

      „Nun?“, fragt der Schreiner ungeduldig. „Ich kann nicht glauben, dass du nur einen Spazierritt gemacht hast.“

      „Ich wollte noch einmal mit euch darüber reden. Über Roger Keefe.“

      „Wegen was?“

      „Ich . ... Weißt du, ein Mann wie er kann doch kein Mörder sein!“

      „Warum denn nicht? Weil er nicht so aussieht? Er ist doch ein Keefe, Tom. Einer von denen, die dir das Leben zur Hölle machten, und die andere in den Tod getrieben haben.“

      „Er nicht, Leat. Ich habe doch gestern gesagt, dass er anders war. Ohne ihn wäre ich längst vertrieben gewesen.“

      „Na ja. Er hat deine Tochter geliebt. Vielleicht war das wirklich die Wahrheit. Mal davon gehört, dass er einem anderen Siedler geholfen hätte?“

      „Nein.“

      „Da hast du es.“

      „Es kann aber doch sein, dass er es nicht gewagt hatte, gegen seinen Vater...“

      Der Schreiner winkt ab.

      „Dann hat er es ausgerechnet bei dir gewagt, was? Und daran glaubst du. Er hat es wegen Helen gemacht. Er wollte, dass sie hierbleibt. Und vielleicht hat er ihn umgebracht, weil er sah, dass er es anders nicht verhindern kann.“

      Pegg mustert den Mann einen Moment schweigend, dann wendet er sein Pferd und reitet still wieder davon. Es ist sinnlos. Er wird Helen sagen müssen, dass es alles nichts nützt.

      Sie glauben daran, dass er es war. Sie wollen ihn töten, um mit ihm seinen Namen und noch etwas für immer auszulöschen. Helen muss glauben, dass es keinen Weg gibt.

      Und schließlich ist da noch das andere in ihm. Der nagende Zweifel, weil er weiß, wie das ist. Weil er es selbst tun wollte und nur nicht dazu kam, weil ein anderer schneller war als er.

      36

      Roger