Frank Callahan

Der Marshal kommt: Goldene Western Sammelband 12 Romane


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die schimmernde Platte.

      „Willst du es mir erzählen?“, fragt sie. „Manchmal tut es gut, wenn man mit jemandem darüber reden kann. Auch wenn es nichts nützt.“

      Roger trinkt einen Schluck und stellt das Glas zurück. Langsam beginnt er zu erzählen, und er findet, dass es wirklich guttut, wenn man mit jemandem darüber reden kann.

      Als er schweigt, schenkt Dallas das Glas wieder voll.

      „Das ist furchtbar“, murmelt sie, als würde sie sich scheuen, laut zu sprechen. „Er ist ein Schuft, und seine Härte wird auf ihn selbst zurückfallen.“

      „Das tat sie schon.“

      „Dann wird es noch einmal geschehen. Anders. Noch furchtbarer!“

      Roger trinkt wieder. Er merkt, dass er Hunger hat, aber er will sie nicht bitten, ihm jetzt etwas zuzubereiten. Außerdem hat er kein Geld. Er ist bettelarm.

      „Man kann Helen keinen Vorwurf machen“, hört er sie sagen. „Es ist alles zu sehr verwickelt, als dass sich ein Mädchen entscheiden könnte.“

      Ja.“

      „Vielleicht war sie auch sehr überrascht. Du hättest noch einmal umkehren sollen. Es kann sein, dass sie jetzt schon anders darüber denkt.“

      „Das dachte ich auch. Ich konnte die Stadt schon im Morgengrauen erreichen. Aber ich hielt unterwegs und überlegte lange. Dann ritt ich doch weiter. Nein, es hat keinen Sinn.“

      Roger trinkt das Glas aus und schüttelt den Kopf, als Dallas nach der Flasche greift.

      „Ich habe kein Geld.“

      „Das habe ich gewusst.“

      „Es ist auch besser, wenn ich nicht so viel trinke. Ich reite nun weiter, Dallas.“

      „Ich werde dir etwas einpacken, Roger. Es tut mir leid, dass ich nicht mehr für dich tun kann. Aber es ist besser, wenn du verschwindest, ehe er nach dir sucht. Wundert es dich nicht, dass er noch nicht gekommen ist?“

      „Doch. Vielleicht hat er meine Spur verloren.“

      Dallas geht in die Küche und kommt bald darauf mit einem Paket zurück, das sie ihm über die Theke zuschiebt.

      „Und viel Glück, Roger. Wenn du mir von irgendwo schreibst, werde ich dir berichten, wie hier alles weiterläuft.“

      „Danke, Dallas. Ich werde daran denken.“

      Als er auf die Straße tritt, ist das Gedränge vor dem Haus des Schreiners größer geworden. Leat Rower drückt ein quadratisches Holz auf einen Papierstoß, und ein zweiter Mann zieht Blatt um Blatt herunter. Eines dieser Blätter wird vom Sattler hochgehalten, als die Männer Roger sehen.

      Der fertige Steckbrief leuchtet ihnen entgegen. Groß springen die Buchstaben „Tot oder lebendig!“ in seine Augen. Darunter steht Andys voller Name und eine kurze Beschreibung von ihm.

      Wortlos geht Roger zu seinem Pferd. Er macht es los, zieht den Sattelgurt nach und steigt auf.

      Gegenüber heftet ein Mann den ersten Steckbrief an eine Vorbaustrebe, und alle anderen betrachten ihn eingehend.

      Roger reitet schweigend fort. Was interessiert ihn Andy, von dem er annimmt, dass er einen Mann aufstellte, der den Auftrag hatte, ihn, Roger, zu töten.

      29

      „So ist das also“, murmelt der Sattler und stellt sein Glas ab. „Er kommt also mit seinem Vater auch nicht mehr unter einen Hut.“

      Dallas füllt das Glas des Mannes wieder.

      „Ihr alle tut ihm unrecht“, sagt sie. „Deshalb habe ich Ihnen die Geschichte nur erzählt. Er ist nicht wie sein Vater. Auch nicht wie Andy. Er ist anders als wir alle. Besser!“

      Der Sattler zeigt die Zähne.

      „Er ist ein Keefe!“, stößt er hervor. „Wir haben sie nie leiden können, weil sie nur die dulden, die für sie arbeiten.“

      „Aber ihr habt euch vor ihnen geduckt“, sagt Dallas abfällig.

      „Natürlich. Was blieb uns weiter übrig. Wir werden auch weiter vor Keefe kuschen, weil sein Schatten für uns zu groß ist. Aber trotzdem bekämpfen wir ihn. Auf unsere Art!“

      Draußen auf der Straße ist ein Ruf zu hören. Dann reden viele durcheinander. Ein Pferd schnaubt.

      „Was ist das?“, fragt der Sattler und hebt den Kopf. Er wirft sich herum und hastet zur Tür.

      Dallas geht langsam hinter ihm her. Als sie durch die Schwingtür tritt, erkennt sie den Siedler Pegg, der auf einem zottigen Pferd sitzt. Hinter sich hat der Mann ein zweites Pferd, auf dem zwei Tote liegen. Sie erkennt sofort, dass der eine davon Berton Keefe ist, und ein eisiger Schreck durchzuckt sie.

      Sie geht weiter, ohne es zu wollen. Wie haltsuchend greift sie nach einem Pfeiler und hält sich daran fest.

      „Ich hörte Schüsse“, sagt der Siedler gerade kratzig. „Eine ganze Zeit wartete ich, aber es geschah nichts. Da hielt ich es nicht mehr aus und ging hinaus. Ja, er muss auf dem Wege zu mir gewesen sein. Sein Wagen stand neben der Spur, die sein Sohn zurückgelassen hat. Er selbst lag im Gras. Und der Cowboy neben ihm.“

      „Hebt sie herunter“, sagt jemand.

      Dallas merkt, dass sie schwankt. Sie sieht den Sattler, der sie anblickt.

      „Das ist ja eine fabelhafte Geschichte, nicht wahr?“, meint Harlin. „Nun haben wir einen Keefe aus dem Lande gejagt, der zweite liegt tot vor uns und den dritten holen wir sicher noch ein und hängen ihn.“

      „Wieso?“, fragt sie verwirrt.

      „Das fragen sich die anderen Männer hier sicher auch“, erwidert Harlin. „Und zwar deshalb, weil sie die Geschichte nicht kennen, die Sie mir erzählt haben. Aber ich werde dafür sorgen, dass sie diese erfahren.“

      Er wendet sich ab und verschwindet in der Menge. Und gleich darauf hört sie ihn rufen: „Ein klarer Fall, Männer! Niemand braucht lange zu raten. Er wurde von seinem Sohn erschossen. Und der Cowboy mit dazu, damit er nichts aussagen kann. Von Roger Keefe, denn sie waren zu Feinden geworden. Ich werde euch das jetzt der Reihe nach erklären . . .“

      Roger hält in einer Mulde zwischen Büschen und fragt sich, wohin er nun reiten soll. Er hatte sich alles so leicht und klar vorgestellt. Aber in seine Vorstellung gehörte Helen. Und nun ist alles ganz anders.

      Bitterkeit erfasst ihn, als er daran denken muss, dass alles nur wegen Helens Vater so gekommen ist. Aber dann fällt ihm ein, dass der Bruch mit seinem Vater auch sonst früher oder später unweigerlich gekommen wäre.

      Langsam reitet er weiter. Er achtet nicht einmal auf die Richtung, die er einschlägt. Er denkt auch nicht mehr daran, dass sein Vater ihm noch folgen könnte. Zweifellos hat er die Spur verloren, oder das Interesse an ihm. Vielleicht hält er das selbst für die beste Lösung.

      Als die Sonne am höchsten steht, steigt er ab, nimmt den Sattel vom Rücken des Pferdes und bindet dem Tier die Vorderläufe zusammen, damit es sich nicht weit entfernen kann.

      Roger legt sich ins Gras und horcht auf das Zwitschern der Wiesenlerchen. Noch ein paar Tage oder Wochen, dann werden sie fortfliegen. Aber sie kommen zurück. Nur er wird nie mehr zurückkommen.

      Seine Gedanken gleiten wieder zu Helen und der kleinen Siedlerstelle hinüber, und plötzlich verwirren sie sich.

      30

      Als er aufschreckt, ist die Sonne weiter nach Westen gewandert. Geräusche haben ihn geweckt, die nun deutlicher an seine Ohren schlagen.

      „Dort!“, sagt eine Stimme.

      Roger ist sofort vollkommen wach und springt in die