Frank Callahan

Der Marshal kommt: Goldene Western Sammelband 12 Romane


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      Roger lässt die Gitterstäbe los und geht zu der Pritsche zurück, auf die er sinkt.

      „Du willst also nicht?“

      Roger antwortet ihm nicht. Er weiß, dass alle Leute in der Stadt eine vorgefasste Meinung gegen ihn haben.

      Weil er Keefe heißt und deshalb ein schlechter Mensch sein muss.

      Vielleicht denkt Dallas anders darüber. Dallas, mit der er ganz natürlich sprechen konnte, obwohl er nie zuvor etwas von ihr hielt. Und plötzlich fällt ihm ein, dass sie es von ihr wissen müssen. Oder nein, es kommt auch Pegg in Frage, der wusste, was auf der Ranch zwischen ihm und seinem Vater gewesen war.

      „Also gut“, brummt der Schreiner. „Aber das kann ich dir sagen: wenn du auch kein einziges Wort sagst, wirst du deinen Kopf nicht retten!“ Er geht mit harten Schritten hinaus. Ein Schlüssel dreht sich ratschend im Schloss.

      31

      Dallas füllt die Gläser und lehnt sich gegen einen Stützpfosten, der die Decke trägt. Sie blickt von einem der Männer zum anderen und forscht in den Gesichtern. Die Männer selbst mustern sich abtastend, bis der Schreiner, der sich den Stern des Marshals angesteckt hat, sagt:

      „Wir sollten den Richter gar nicht bemühen. Schließlich ist es zu viel von ihm verlangt, wenn er jetzt schon wieder die gefahrvolle Reise nach Collins machen soll. Vergessen wir nicht, dass es Banditen in der Gegend gibt.“

      Washburn blickt ungemütlich in der Runde herum. Ein paar andere zucken die Schultern.

      „Der Fall ist doch sonnenklar“, redet der Schreiner weiter. „Oder weiß jemand noch eine andere Erklärung, einen Mann, der in Frage käme, das getan zu haben?“

      „Keefe hatte sicher noch mehr Feinde“, sagt Dallas in die folgende Stille. „Sogar viele Feinde! Ihr alle seid niemals seine Freunde gewesen. Für jeden einzelnen könnte sicher auch ein Motiv gefunden werden. Ich glaube, ihr macht euch das zu leicht, nicht wahr. Außerdem müsst ihr den Richter...“

      „Das Ordnungskomitee hat die Macht im Distrikt!“, unterbricht der Schreiner sie barsch. „Dass wir den Richter bei Andy Keefe verständigt haben, war nichts als ein Akt der Höflichkeit.“

      „So? Ich hatte angenommen, ihr wolltet Berton Keefe gegenüber Tatsachen schaffen, die nicht mehr wegzuleugnen sind. So war es doch, nicht wahr? Gut, Andy hat den Keeper ermordet. Ich war mit ihm mehr als befreundet und habe um ihn geweint. Aber es war ein Mord.“

      „Jetzt ist es Doppelmord“, sagt Rower kalt.

      „Ja, das stimmt. Aber ihr wisst nicht, ob Roger Keefe es wirklich war. Ihr geht von einer Vermutung aus und tut, als wäre es eine erwiesene Tatsache. Aber das stimmt nicht! Ihr habt überhaupt keinen Beweis gegen ihn!“

      „Überhaupt keinen Beweis?“, fragt der Sattler und schaut Dallas an.

      „Ja, überhaupt keinen!“

      „Sie hat recht“, meint der Bankier. „Wenn es auch keinen Zweifel daran gibt, dass er es war. Einen eindeutigen Beweis haben wir nicht.“

      „Wieso gibt es keinen Zweifel, Mister Washburn?“, sagt Dallas. „Solange kein Beweis erbracht ist, ist alles, was gesagt wird, zweifelhaft.“

      „Wir sollten wohl doch den Richter verständigen“, murmelt einer der Männer. „Das halte ich jedenfalls für den besten Weg.“

      „Ich weiß noch etwas Besseres“, wendet der Schreiner ein. „Wir nehmen ihn morgen mit, wenn wir die beiden Toten beerdigen. Wenn er da nicht weich wird, ist er so hartgesotten, wie ein Mörder sein muss.“

      „Blödsinn“, sagt Dallas. „Noch eine dümmere Rede habe ich nie zuvor gehört.“ Sie wendet sich ab und geht hinter die Theke.

      „Immerhin könnte man sehen, ob es Eindruck auf ihn macht“, meint der Bankier. „Vertagen wir uns also auf morgen, Gents.“ Er trinkt sein Glas aus und steht geräuschvoll auf.

      „Dallas, wie kommen Sie zurecht?“, wendet er sich an das Mädchen.

      „Danke, es geht gut.“

      „Vergessen Sie nicht, Punkt zwölf Uhr zu schließen, Dallas.“

      „Ja, Mister Washburn.“

      Der Bankier geht.

      Die anderen blicken sich wieder lauernd an.

      „Wir müssen damit zu Rande kommen“, knurrt der Schreiner. „Wenn wir ihn verurteilt haben, teilen wir die Ranch auf. Wir gründen eine ordentliche Stadtgewalt mit Town-Mayor und allem drum und dran. Und wir geben das Land nur noch an Siedler ab. Es ist für sie wie geschaffen.“

      „Ihr habt also weiter nichts als Angst vor ihm“, sagt Dallas. „Ihr wollt ihn umbringen, damit ihr die Keefe Ranch für alle Zeiten zerschlagen könnt! Wisst ihr, was ihr seid?“

      Sie blicken sie alle an. Aber sie winkt ab.

      „Das kann ich euch gar nicht sagen, weil mir die Worte fehlen, die hart genug dafür wären“, sagt sie eisig.

      „Wissen Sie jemanden, der sonst noch in Frage käme?“, will der Schreiner wissen, der den Kopf schief gelegt hat.

      „Ich sagte wohl schon, dass jeder ihn genug gehasst hat“, entgegnet sie herb.

      Der Sattler steht auf und streckt sich.

      „Bis morgen“, meint er, ehe er hinausgeht.

      32

      „Boss!“, ruft der Cowboy über den Hof. „Boss, wir haben sie nicht finden können! Die Herde ist verloren!“

      Niemand antwortet ihm.

      Die zurückgekehrten, müden und staubbedeckten Reiter sehen sich an.

      „Mal ruhig“, sagt einer. „Was ist das?“ Er springt von seinem Pferd und läuft ins Bunkhaus. „Verdammt, Sam!“, hören die anderen ihn rufen. „He, kommt her. Sam liegt immer noch hier. Er scheint große Schmerzen zu haben!“

      Drei Männer folgen dem ersten ins Bunkhaus. Die anderen blicken weiter zur Veranda hinauf, die in tiefer Dunkelheit liegt.

      „Er hat auch den Doc nicht holen lassen!“, dringt die Stimme des Cowboys aus dem Bunkhaus. „Verdammte Schweinerei! Wo ist Jim?“

      „Irgend etwas stimmt nicht“, sagt einer der wartenden Männer im Hof. „Matt müsste doch wenigstens zu sehen sein!“

      „Wollen wir hochgehen?“

      „Ja.“

      Sie steigen zu zweit ab, steigen die Verandatreppe hinauf und schieben die unverschlossene Tür auf. Sie suchen den Rancher in der Wohnhalle, in der Küche und schließlich in seinem Schlafraum. Zuletzt kommen sie in sein Arbeitszimmer. Einer von ihnen reißt ein Schwefelholz an der Wand an. Im aufzuckenden Lichtschein sehen sie den aufgesprengten Wandtresor.

      „Brenn die Lampe an“, sagt der zweite.

      Der andere macht das. Es wird heller im Raum. Aber außer dem aufgesprengten und leeren Tresor ist nichts Verdächtiges zu sehen.

      Als sie wieder in den Hof kommen, sind die Männer aus dem Bunkhaus zurück.

      „Der Boss ist nirgendwo zu sehen“, sagt der eine, der aus dem Haus kam.

      „Der Boss“, knurrt ein anderer finster. „Sam Haie wird sterben, wenn nicht endlich der Doc geholt wird. Einer von uns muss reiten!“

      „Mach doch mal langsam. Wir wissen doch noch gar nicht, was los ist! Vielleicht ist Jim geritten.“

      Da ruft einer der Männer vom Korral her: „Jim ist nicht geritten. Er wollte es aber sicher. Er liegt hier mit einem Sattel in den Händen... tot! Erschossen.“