A. F. Morland

Wahre Wunder geschehen manchmal: Arztroman Sammelband 4 Romane


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      Matthias Wylander legte auf und lockerte den Knopf seiner Krawatte. Er saß in seinem Büro, und vom rötlichen Holz seines Mahagonischreibtisches war kaum etwas zu sehen. Man hatte ihn ziemlich rücksichtslos mit Arbeit eingedeckt. Reicht man denen den kleinen Finger, sind sie so unverschämt und greifen gleich nach der ganzen Hand, dachte er verdrossen.

      Termine, Sitzungen, Vertreterbesprechungen, nichts schien auf einmal mehr ohne ihn zu gehen. Er schaute auf den Papierwust, den man auf seinen Schreibtisch abgeladen hatte, und hätte ihn am liebsten angezündet.

      Mann, hätte das ein Freudenfeuer gegeben! Der junge Mann verzog das Gesicht zu einem schiefen Grinsen und tat so, als würde er ein Streichholz anreißen.

      Es klopfte. „Ja!“, rief Matthias.

      Lizzy, man hatte ihm eine eigene Sekretärin zugeteilt, trat ein. Lizzy war ein Prachtmädchen. Sie sah nicht nur umwerfend aus, sie schaute außerdem zu Matthias auf und himmelte ihn an. Wenn er versucht hätte, sich mit ihr zu verabreden, hätte sie mit Sicherheit nicht nein gesagt, schließlich hieß er Wylander, und dem Sohn des Alten gab man keinen Korb, ganz gleich, was er von einem wollte.

      Aber Matthias war nicht interessiert. Er wollte die Beziehung mit Stefanie Behrensen nicht gefährden. „Was gibt’s, Lizzy?“, fragte er distanziert.

      „Da ist ein Herr, der Sie sprechen möchte, Herr Wylander“, flötete das blonde Püppchen.

      „Hat der Herr einen Namen?“

      „Veltin“, antwortete Lizzy.

      Freude ließ Matthias’ Augen strahlen. „ Kurt? Herein mit ihm!“ Kurt Veltin war ein guter Freund von ihm. Himmel, was hatten sie zusammen nicht schon alles angestellt! Mehr als einmal hatten sie versucht, die Welt aus den Angeln zu heben, und einige Male wäre es ihnen beinahe gelungen.

      Lizzy ging mit schwingenden Hüften hinaus, und Kurt Veltin kam lachend herein. Obwohl er völlig anders aussah als Matthias, waren sie sich vom Typ her doch sehr ähnlich.

      Veltin zeigte mit dem Daumen über seine Schulter. „Netter Käfer, deine Sekretärin. Die Kleine würde ich garantiert nicht von meiner Bettkante stoßen.“

      „Denkst du, die lässt sich mit so einem Taugenichts ein? Die ist ja nicht bescheuert.“

      Veltin grinste. „Na. Na. Na.“ Er blickte sich um. „Ist eine ziemlich ungewohnte Umgebung für dich, wie? Aber ich muss sagen, du machst dich nicht schlecht hier drinnen. Allmählich gewinne ich den Eindruck, dass aus dir doch noch mal ein wertvolles Mitglied der menschlichen Gesellschaft wird.“

      „Auf den Arm nehmen kann ich mich selber“, brummte Matthias. Dann streckte er dem Freund die Hand entgegen. „Schön, dich zu sehen, Kürtchen. Setz dich. Was möchtest du trinken?“

      „Du darfst während der Arbeitszeit schlucken?“

      „Ich darf alles. Ich komme gleich nach dem Big Boss“, tönte Matthias. „Französischen Cognac?“

      „Ehe ich mich schlagen lasse.“

      Die Bar befand sich im Wandschrank. Wenn man die Türen aufmachte, ging das Licht an und brachte Gläser und Karaffen zum Funkeln.

      Die Freunde stießen miteinander an. Das helle Klirren der Gläser erfüllte den Raum. Nachdem Matthias an seinem Schwenker genippt hatte, fragte er: „Was führt dich zu mir?“

      Veltin feixte. „Ich hatte Sehnsucht nach dir. Du machst dich in letzter Zeit ziemlich rar. Bist schwer vergeben, was? Ist es die große Liebe?“

      „Möglich.“

      „Wann sind wir beide zum letztenmal so richtig schön versackt, hm?“

      Matthias lächelte. „Ist schon eine Weile her, würde ich sagen.“

      „Wär’ mal wieder fällig, würde ich sagen. Oder bist du etwa solide geworden und tust so etwas nicht mehr?“ Kurt Veltin trank. Der Cognac war hervorragend. „Deine Flamme ist in Berlin, wie alle Welt weiß. Was hindert uns daran, mal wieder eine kräftige Sause zu machen?“

      „Ich hab’ zur Zeit viel um die Ohren“, meinte Matthias zögernd.

      „Junge, wenn du dich auf diese behämmerte Art rauszureden versuchst ...“

      „Ich versuche mich nicht rauszureden“, entgegnete Matthias ernst. „Es ist eine Tatsache.“

      „Heißt das, du lässt mich abblitzen?“ Veltin sah sich um. „He, wo bin ich hier? Ist das nicht das Büro meines Freundes Matthias Wylander? Bin ich bei irgend so einem verknöcherten Schreibtischhengst mit Ärmelschonern gelandet?“

      Matthias ließ sich breitschlagen. Er verabredete sich mit Kurt.

      „Das ist ein Wort“, sagte Veltin zufrieden. „Jetzt erkenne ich meinen alten Kumpel wieder. Wir treffen uns um zwanzig Uhr, und dann ziehen wir los. Es wird sein wie in alten Zeiten. Wir werden eine Menge Spaß haben, das verspreche ich dir, mein Junge.“

      22

      Der Spaß fiel ziemlich heftig aus. Die Freunde versackten so total, dass Matthias Wylander überhaupt nicht mehr mitbekam, was lief. Am nächsten Morgen wachte er nicht auf, er kam zu sich. Ihm war, als hätte er eine bleierne Ohnmacht hinter sich. Oder fühlte man sich so, wenn man im Koma gelegen hatte? Er hatte Gliederschmerzen und Kopfweh. Seine Augen waren extrem lichtempfindlich, und er war sicher, dass seine Ohren keinen Lärm vertrugen.

      Es ging ihm schlecht. Er konnte keinen klaren Gedanken fassen, und ihm war, als wäre er irgendwann in der vergangenen Nacht unter einen Autobus geraten. Teufel, das hat sich ausgezahlt, ging es ihm durch den Sinn. Wenn du was anstellst, dann aber richtig, was? Schwer benommen fragte er sich, wie er nach Hause gekommen war. Er konnte sich beim besten Willen nicht erinnern.

      Nach Hause? Moment mal. War er denn überhaupt zu Hause? Was seine kranken Augen wahrnahmen, kam ihm fremd vor. Nein, er war nicht zu Hause.

      Aber wo war er? Bei Kurt? Er seufzte. Ein schwerer Stein schien auf seiner Brust zu liegen. Er konnte nicht richtig durchatmen.

      Geistig und körperlich angeschlagen, ließ er noch einmal Revue passieren, woran er sich erinnern konnte. Er hatte sich mit Kurt um zwanzig Uhr getroffen, und dann waren sie ihre altgewohnten Stationen angelaufen, eine nach der anderen. Und überall hatten sie Freunde und Bekannte getroffen, und mit allen hatten sie was getrunken. Und irgendwann war dann der Faden gerissen. Von da an gähnte in Matthias’ Gedächtnis eine pechschwarze Leere. Das schwarze Loch, das alles verschlingt, dachte Matthias leidend, es befindet sich nicht im Weltall, sondern in meinem Schädel.

      Kurt musste sich mit ihm ganz schön abgeschleppt haben. Er konnte sich nicht vorstellen, dass er auf seinen eigenen Beinen hierher gekommen war.

      Ihm war nach duschen, und er hatte Durst, aber er wagte nicht, aufzustehen. Er befürchtete, neben dem Bett zusammenzubrechen. Ob er rufen sollte? Es war so still. Vielleicht war gar keiner da. Nimm dich zusammen!, ermahnte sich Matthias. Lass dich nicht so gehen! Trag die Strafe für die vergangene Nacht mit Anstand und Würde! Nimm sie hin wie ein Mann!

      Plötzlich