Boris Kaehler

Führen als Beruf


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zu verwenden; ansonsten nutze ich das generische Maskulinum, in der Hoffnung, dass sich damit alle Lesenden angesprochen fühlen.

      II Aus Gründen der Lesbarkeit – dies ist kein wissenschaftliches Werk – sind nicht alle Selbstzitate explizit als solche gekennzeichnet. Andere Autoren werden aber natürlich nach bestem Wissen und Gewissen zitiert.

      Einleitung

      Backen ist für Bäcker ein Beruf, Unterrichten für Lehrer, Programmieren für Programmierer. Mit dem Führen in Organisationen steht es nicht anders: Es handelt sich um Arbeit, und diese Arbeit konstituiert einen Beruf: den Beruf der FührungskraftIII. Er enthält Anteile von Sachtätigkeiten, die sich je nach Branche und Fachgebiet sehr unterscheiden. Im Wesentlichen aber beinhaltet er Personalführung – z. B. die Führung von Bäckern, Lehrern oder Programmierern –, und diese folgt überall den gleichen Prinzipien. Um einen Beruf erfolgreich ausüben zu können, muss man wissen, worum es dabei überhaupt geht. Man muss seine Aufgaben kennen, verstehen, welche Ziele man verfolgt und mit den Hilfsmitteln vertraut sein, die es zu nutzen gilt. Man braucht ein professionelles Selbstverständnis, eine klare Vorstellung davon, wofür man zuständig ist und wofür nicht. Man muss wissen, was gute berufliche Leistungen ausmacht und wie man sie erzielt. All dies ist eigentlich Gegenstand unzähliger Managementratgeber, wird an den Universitäten seit Jahrzehnten aufwendig beforscht und von den Organisationen mit Millionenbudgets adressiert. Seltsamerweise können trotzdem bis heute die wenigsten Führungskräfte präzise beantworten, worin denn ihr Job besteht. Nach der Lektüre dieses Buches wissen Sie es.

      Führungsprofis wissen, was sie tun und warum.

      Unter einer Führungskraft (engl. „manager“, „leader“, „lead“, „head“) verstehe ich eine Person, die beruflich disziplinarische Verantwortung für eine Organisationseinheit mit mindestens drei unterstellten Mitarbeitern im festen Arbeitsverhältnis trägt. Es ist eine große Unsitte, dass fast alle Studien und Meinungsumfragen auch reine Fachkräfte mit besonderer Verantwortung unter den Begriff einordnen. Das Führen von Mitarbeitern ist aber völlig anders gelagert als eine Fach- oder Projektaufgabe, mag sie noch so erfolgskritisch und kostenintensiv sein. Auch wer nur einen oder zwei Mitarbeiter führt, betreibt keine Personalführung im Hauptberuf und geht i. d. R. weniger professionell und ernsthaft an die Sache heran. Hier gibt es sicher Ausnahmen, z. B. wenn jemand sehr bewusst führt, weil er das Führungshandwerk erlernen will oder sehr schwierige Leute führt. Wenn Sie es so angehen, sind Sie eine Führungskraft. Keine Führungskraft im hier diskutierten Sinne sind hingegen alle, die Externe, Gleichgestellte oder sich selbst führen. Auch diejenigen, die sich in unstrukturierten Kontexten zu Anführern einer Gruppe von Menschen aufschwingen, bekleiden keine formale Führungsposition und sind keine Führungskräfte. Das eine oder andere hier mag für sie interessant sein, es ist aber nicht für sie und ihre Anforderungen geschrieben. Dieses Buch richtet sich also in erster Linie an Inhaberinnen und Inhaber klassischer Leitungsstellen.

      Führungskräfte sind unverzichtbar. Diese Erfahrung hat man z. B. bei Google gemacht, wo Anfang der 2000er Jahre mit der Abschaffung von Managementfunktionen experimentiert wurde3. Sehr spürbar werden die Auswirkungen fehlender Führung auch im Rahmen von Kampagnen, bei denen Großkonzerne alle paar Jahre ihren Mittelbau schrumpfen, nur um die gestrichenen Leitungsstellen dann nach und nach alle wiederaufzubauen. Die Leichtfertigkeit, mit der dies geschieht, und die billigen Schlagworte, die zur Begründung dienen, zeugen immer wieder davon, wie wenig Konsens über die Funktion und die Beiträge von Führungskräften besteht. Tatsächlich haben viele Organisationen so verschwommene Vorstellungen davon, was Führung bedeutet, dass sich daraus unmöglich klare Stellendefinitionen und Auslastungspläne herleiten lassen. Führungskräften in kleineren Unternehmen geht es kaum besser, denn hier sind Führungspositionen ohnehin meist nicht das Ergebnis rationaler Festlegungen, sondern ergeben sich einfach irgendwie. Zu allem Überfluss wollen uns auch noch viele selbst ernannte Expertinnen und Experten weismachen, eine schöne neue Arbeitswelt mache klassische Führung obsolet und an ihre Stelle träten selbstgesteuerte Netzwerke. Dabei lässt sich das Erfordernis von Führungspositionen durchaus recht klar begründen. Erstens ist Selbstführung zwar ein gutes Führungsprinzip, funktioniert aber nicht bedingungslos, auch nicht in Netzwerken. Es bedarf also eines Korrektivs in Gestalt einer übergeordneten Instanz, die unterstützt und ordnet. Zweitens ergeben die Partikularinteressen von Teileinheiten in Summe nicht automatisch das Interesse der Gesamteinheit. Jemand muss Sachwalter des Kollektivs sein. Und drittens erfordert die Steuerung einer Organisationseinheit situative Einflussnahme. Es bedarf menschlicher Entscheidungskompetenz, um die jeweiligen Erfordernisse zu erkennen und eine situative Passung herzustellenIV. Zugegebenermaßen sind all dies noch recht abstrakte Erwägungen. Leitet man daraus aber konkrete Aufgabenstellungen und Aktivitäten ab, so lassen sich die im jeweiligen Einzelfall erforderlichen Führungskapazitäten recht klar bestimmen (Kapitel 4, „Arbeitszeit für Führung“).

      Ohne Führungskräfte geht es nicht.

      Was ich heutzutage über Führung sage und schreibe, beruht auf meinem eigenen Theoriemodell, das in einem dicken Wälzer gleichen Namens für führungskonzeptionell Interessierte niedergelegt ist. Es soll hier für Führungskräfte allgemeinverständlich aufbereitet werden. Komplementäre Führung habe ich meinen Ansatz genannt. Derartige Wortschöpfungen begleiten uns seit den Anfängen der Führungswissenschaft (z. B. „Autoritäre Führung“) bis heute (z. B. „Agile Führung“). Kritische Stimmen bezeichnen dies als „adjektivisch“ und kritisieren zu Recht den monothematischen Fokus der meisten Ansätze4. Mir erschien der Terminus „Komplementäre Führung“ dennoch ideal, denn zum einen sind Praktiker und Theoretiker gleichermaßen mit solchen Begriffspaaren vertraut, und zum anderen passt es einfach inhaltlich. Von Komplementarität spricht man ja, wenn unterschiedliche Dinge sich gegenseitig zu einer Gesamtheit ergänzen. Komplementäre Führung weist mehrere solcher Aspekte auf. Sie beinhaltet, dass Mitarbeiter, Führungskräfte und Personalbetreuer als komplementäre Führungsakteure zusammenwirken. Führungskräfte sollen dabei primär auf die Selbststeuerung der Mitarbeiter setzen, bei Bedarf aber kompensatorisch eingreifen. Die Akteure erfüllen gemeinsam die komplementären Führungsaufgaben, welche zusammen die Gesamtaufgabe der Personalführung abbilden. Darin konkretisieren sich die komplementären Führungsfunktionen der Ordnung und der Unterstützung. Hinzu kommen Umsetzungselemente, u. a. konkrete Aktivitäten, die ich Führungsroutinen nenne und Führungsinstrumente als formalisierte Hilfsmittel. Komplementäre Führung ist also alles andere als eindimensional – welcher Beruf ist das schon? Aber keine Sorge: Sie werden den Überblick behalten, versprochen.

      Komplementär zu führen, bedeutet für die Führungskraft, primär auf das Selbstmanagement der Mitarbeiter zu setzen, aber bei Bedarf kompensierend einzugreifen. Solchermaßen lassen sich die großen Vorteile der Selbststeuerung realisieren, ohne in naives Laissez-faire zu verfallen. Chef oder Chefin sind da, wenn sie gebraucht werden, aber verschwenden ihre Zeit nicht mit unnötigen Eingriffen, die zudem noch die Potenzialentfaltung ihrer Mitarbeiter behindern. Um sicherzustellen, dass alle Aufgabenstellungen der Führung umgesetzt werden – und zwar vorzugsweise von den Mitarbeitenden selbst –, müssen Führungskräfte bestimmte Führungsaktivitäten absolvieren. Diese Aktivitäten und Aufgaben konstituieren den Beruf der Führung. Dieses Führungskonzept ist gleichermaßen effektiv und effizient5. Effektiv deswegen, weil alle Führungsaufgaben und damit alle Leistungsbedingungen produktiver Arbeit wahrgenommen werden, und zwar auch bei Problemmitarbeitern. Solchermaßen erfüllt Führung ihren Zweck und bewirkt optimale Resultate einer Organisationseinheit. Unter Effektivität versteht man ja Wirksamkeit, also das Erreichen eines Ziels. Effizient deshalb, weil sparsam mit der „Ressource“ Führungskraft umgegangen wird und zugleich die großen Produktivitätsvorteile der Selbststeuerung genutzt werden. Unter Effizienz versteht man ja Wirtschaftlichkeit, d. h. ressourcenoptimierte Wegbewältigung. Was alles dahintersteckt, wird Ihnen im Verlauf des Buches noch klarer.

      Komplementäre Führung ist effektive und effiziente Führung.

      Management