Joachim Ringelnatz

Gesammelte Erzählungen und Gedichte


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allein bin

      Wenn ich allein bin, werden meine Ohren lang,

      Meine, meine Pulse horchen bang

      Auf queres Kreischen, sterbenden Gesang

      Und all die Stimmen scheeler Leere.

      Wenn ich allein bin, leck ich meine Träne.

      Wenn ich allein bin, bohrt sich meine Schere,

      Die Nagelschere in die Zähne;

      Sielt höhnisch träge sich herum die Zeit. –

      Der Tropfen hängt. – Der Zeiger steht. –

      Einmal des Monats steigt ein Postpaket

      Aufrührerisch in meine Einsamkeit.

      So sendet aus Meran die Tante Liese

      Mir tausend fromme, aufmerksame Grüße;

      Ein’ jeden einzeln sauber einpapiert,

      Mit Schleifchen und mit Fichtengrün garniert,

      Vierblätterklee und anderm Blumenschmuck –

      Ich aber rupfe das Gemüse

      Heraus mit einem scharfen Ruck,

      Zerknülle flüchtig überfühlend

      Den Alles-Gute-Wünsche-Brief

      Und fische giftig tauchend, wühlend,

      Aus all den Knittern und Rosetten

      Das einzige, was positiv:

      Zwei Mark für Zigaretten.

      Die Bilder meiner Stube hängen schief.

      In meiner Stube dünsten kalte Betten.

      Und meine Hoffart kuscht sich. Wie ein Falter

      Sich ängstlich einzwängt in die Borkenrinde.

      Wenn ich allein bin, dreht mein Federhalter

      Schwarzbraunen Honig aus dem Ohrgewinde.

      Bin ich allein: Starb, wie ein Hund verreckt,

      Hat mich ein fremdes Weib mit ihren Schleiern

      Aus Mitleid oder Ekel zugedeckt.

      Doch durch die Maschen seh ich Feste feiern,

      Die mich vergaßen über junger Lust. –

      Ich reiße auseinander meine Brust

      Und lasse steigen all die Vögel, die

      Ich eingekerkert, grausam dort gefangen,

      Ein Leben lang gefangenhielt, und nie

      Besaß. Und die mir niemals sangen.

      Wenn ich allein bin, pups ich lauten Wind.

      Und bete laut. Und bin ein uralt Kind.

      Wenn ich –

      Das Geseires einer Aftermieterin

      Meine Stellung hatte ich verloren,

      Weil ich meinem Chef zu häßlich bin.

      Und nun habe ich ein Mädchen geboren,

      Wo keinen Vater hat, und kein Kinn.

      Als mein Vormund sich erhängte,

      Besaß ich noch das Kreppdischingewand,

      Was ich später der Anni schenkte.

      Die war Masseuse in Helgoland.

      Aber der bin ich nun böse.

      Denn die ließ mich im Stich.

      Und die ist gar keine Masseuse,

      Sondern geht auf den –.

      Mir ist nichts nachzusagen.

      Ich habe mit einem Zahnarzt verkehrt.

      Der hat mich auf Händen getragen.

      Doch ich habe mir selber mein Glück zerstört.

      Das war im Englischen Garten.

      Da gab mir’s der Teufel ein,

      Daß ich – um auf Gustav zu warten –

      In der Nase bohrte, ich Schwein.

      Gustav hat alles gesehn.

      Er sagte: Das sei kein Benehmen.

      Was hilft es nun, mich zu schämen.

Ich möchte manchmal ins Wasser gehn.

      Gewitter

      Oben in den Wolken krachte der Donner.

      Am Ufer des Indischen Ozeans balzte ein Kind.

      Würde der Mond noch monder, die Sonne noch sonner,

      So würden die Menschen vielleicht noch drehlicher, als sie schon sind.

      Tausend Menschen lachten und weinten;

      Sechs von dem Tausend wußten, warum;

      Zwei von den sechsen aber meinten

      Von sich selber, sie seien eigentlich dumm.

      Breite Straße filmte mir vorbei,

      Links und rechts mit Lichtern und Reflexen

      Fechtend und mit Worten und Geschrei.

      Helle Nacht ergoß sich brausend.

      Und ich grüßte ehrfurchtsvoll die zwei,

      Und ich beugte staunend mich den sechsen,

      Kniete, echt und bettelnd, vor dem Tausend.

      Vor dem Grand Hotel zu den Drei Mohren

      Kreiste jämmerlich ein Hund und schiß.

      Nebenbei, von irgendwem verloren,

      Lag ein künstliches Gebiß.

      Doch ich räusperte und spie,

      Und ich rotzte,

      Bis ich einer weichen Phantasie

      Würdig trotzte.

      Und zur gleichen Zeit mag ein Kommis

      (Elegante Kleidung – sauber – Schaf)

      Auf dem Teppich heiß gestammelt haben,

      Einer, der vom lieben Gott was wollte,

Was das Hauptbuch und den nächsten Tag betraf;

      Der Zahnfleischkranke

      Was geht mich der Frühling, was geht mich dein dummes Gesicht,

      Dein Leben an. Aber nur weine nicht.

      Geh, Mädchen! Geh! Geh!

      Mir tun meine Zähne,

      Deine Knietschträne tut noch mehr weh.

      Eine