Joachim Ringelnatz

Gesammelte Erzählungen und Gedichte


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er und Löwenbändiger,

       Seemann und Schornsteinfeger, Akrobat

       Und schließlich turnerischer Sachverständiger

       Im transsibirischen Artistenrat.

       Er las die Morgenzeitung stets im Handstand,

       Vom Hang der Freiheit sprach sein roter Schlips.

       Er glich – wie er im Turnsaal an der Wand stand –

       Dem allbekannten Herkules aus Gips.

      Inhaber aller silbernen Pokale,

       Erwarb er sich den Franziskanerpreis

       Und im August in Halle an der Saale

       Die Jahnkokarde mit dem Lorbeerreis.

       Ein zarter Kern in einer rauhen Schale.

      Er hat sich mit einem Salto mortale

       Aus dem Leben

       Über ein Felsengeländer

       Hinwegbegeben.

      Zum Wegräumen der Geräte

      Veterinär, gleichzeitig Veteran,

       Ein Mann, der 92 Jahre zählte,

       Daß man zuletzt ihn aus Gewohnheit wählte,

       Und trotzdem biegsam, schmiegsam wie ein Schwan.

       Das war – trotz eines halbgelähmten Beines –

       Der Ehrenvorstand unsres Turnvereines.

       Und wirklich nahm er’s noch im Dauerlauf

       Und Schleuderball mit jedem Rennpferd auf.

      Wettläufer sah ich – nun Gott weiß wieviel,

       Doch ihrer keiner hielt wohl mit der gleichen

       Bescheidenheit gelassen vor dem Ziel.

       Denn niemand konnte ihm das Wasser reichen.

       Dann griff er abseits zum Pokal. Und Hei!

       Wie Donner klang sein Frisch-Fromm-Fröhlich-Frei.

       Wie sich sein Vollbart, den er gern sich wischte,

       Nach einem 80–cm-Sprung

       Mit Kokosfasern einer Matte mischte,

       Das bleibt mir ewig in Erinnerung.

       Im Springen konnte überhaupt dem Alten

       Zuletzt wohl keiner mehr die Stange halten.

      Einmal, nach dem Genuß von sehr viel Weißwein,

       Verstauchte er beim Spaltsitz auf dem Reck

       Ganz unvermutet plötzlich sich das Steißbein.

       Er aber wich und wankte nicht vom Fleck.

       Im Gegenteil, er brach, um uns zu necken,

       Sich noch den Sitzknorren der Sitzbeine am Becken.

       Er turnte gern der Jugend etwas vor

       Und mühte sich vor Buben oder Mädeln,

       Die Beine in die Ringe einzufädeln,

       Wobei er niemals die Geduld verlor.

       Dann staunte ehrfurchtsvoll solch junges Ding,

       Wenn er wie Christbaumschmuck im Nesthang hing.

      Denn was ein Nesthängchen werden will, krümmt sich beizeiten.

      *****

      Klimmzug

      Das ist ein Symbol für das Leben.

       Immer aufwärts, himmelan streben!

       Feste zieh! Nicht nachgeben!

       Stelle dir vor: Dort oben winken

       Schnäpse und Schinken.

       Trachte sie zu erreichen, die Schnäpse.

       Spanne die Muskeln, die Bizepse.

       Achte ver die Beschwerden.

       Nicht einschlafen. Nicht müde werden!

       Du mußt in Gedanken wähnen:

       Du hörtest unter dir einen Schlund gähnen.

       In dem Schlund sind Igel und Wölfe versammelt.

       Die freuen sich auf den Menschen, der oben bammelt.

       Zu! Zu! Tu nicht überlegen.

       Immer weiter, herrlichen Zielen entgegen.

       Sollte dich ein Floh am Po kneifen,

       Nicht mit beiden Händen zugleich danach greifen.

       Nicht so ruckweis hin und her schlenkern;

       Das paßt nicht für ein Volk von Turnern und Denkern.

       Klimme wacker,

       Alter Knacker!

       Klimme, klimb

       Zum Olymp!

       Höher hinauf!

       Glückauf!

       Kragen total durchweicht.

       Äh – äh – äh – endlich erreicht.

       Das Unbeschreibliche zieht uns hinan,

       Der ewigweibliche Turnvater Jahn.

      Freiübungen

      (Grundstellung)

      Wenn eine Frau in uns Begierden weckt

       Und diese Frau hat schon ihr Herz vergeben,

       Dann (Arme vorwärts streckt!)

       Dann ist es ratsam, daß man sich versteckt.

       Denn später (langsam auf den Fersen heben!)

       Denn später wird uns ein Gefühl umschweben,

       Das von Familiensinn und guten Eltern zeugt.

       (Arme – beugt!)

       Denn was die Frau an einem Manne reizt,

       (Hüften fest – Beine spreizt! – Grundstellung)

       Ist Ehrbarkeit. Nur die hat wahren Wert,

       Auch auf die Dauer (Ganze Abteilung, kehrt!).

       Das ist von beiden Teilen der begehrtste,

       Von dem man sagt: (Rumpfbeuge) Das ist der allerwertste.

      *****

      Während der Riesenwelle

      Seht ihr mich? Und spürt ihr nicht den Wind,

       Den ich mache? Ja, das ist gefährlich!

       Aber mir, dem alten Seemann, sind

       Riesenwellen eben unentbehrlich.

      Käme mir jetzt einer in die Speichen

       (Wär’ es auch ein Riese aus Granit),

       Würde er doch damit nur erreichen,

       Daß ich ihn in dünne Scheiben schnitt.

      Aber nicht die Herstellung von Scheiben

       Denk ich mir als Lebenszweck. O nein!

       Eine Sägemühle möcht’ ich treiben,

       Möcht’ ein Schwungrad für Dynamo sein.

      Wenn ich plötzlich jetzt die Hände strecke

       (Und ich habe ähnliches im Sinn),

       Ja dann – splittert augenblicks die Decke,

       Und der Wellenriese – ist dahin.

      *****

      Am Barren

      (Alla donna tedesca)

      Deutsche Frau, dich ruft der Barrn,

       Denn dies