Blick war nicht gegen mich gerichtet. Mir wollte er nichts anhaben, denn, so seltsam es klingen mag, wir würden am selben Strick ziehen, wenn wir zogen!
Ich fürchtete vielmehr die Methoden, die er angekündigt hatte. Meiner Meinung nach würden viele unschuldige Personen zum Handkuss kommen. Ich überlegte, welche Möglichkeiten Pino Calva hatte. Im Grunde hatte er doch keine anderen wie ich. Er war wie ich der Auffassung, dass sich der Mörder seines Halbbruders an Bord des Sexfliegers befunden hatte.
Er hatte mir die Passagierliste abgenommen. Was hieß das in der Folge? Er wollte genauso vorgehen, wie ich es vorgehabt hatte. Nur brutaler. Rücksichtsloser.
Um ganz sicherzugehen, dass es so war, wie ich es mir vorstellte, fragte ich ihn, was er vorhatte.
Ich bekam prompt die Bestätigung. Er holte meine Passagierliste hervor, die jetzt die seine war, und fächerte sich damit Luft zu.
„Ich werde an Hand dieser Liste vorgehen“, sagte Calva trocken. Es staubte förmlich aus seinem Mund. „Ich werde all die Leute mit meinen Freunden besuchen und werde die Spreu vom Weizen trennen.“
Ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie er das machen wollte. Seine Freunde hatten die richtigen Dreschflegel für so etwas. Damit das Unkraut nicht in den Himmel schoss, warnte ich ihn knurrend: „Seien Sie vorsichtig, Calva! Wenn mir Klagen von diesen Leuten zu Ohren kommen, sorge ich dafür, dass man Sie einlocht.“
„Machen Sie sich doch nicht lächerlich, Calder!“, biss er mich an. Mit seiner anfänglichen Freundlichkeit war es schon fast vorbei. „Sehen Sie lieber zu, dass Sie den Mörder vor mir zu fassen kriegen, sonst kann er sich auf ein schreckliches Drama gefasst machen.“
Mehr hatte er mir nicht zu sagen. Ich durfte gehen.
Wie ich zu meinem Mustang zurückkam, war ihm ziemlich schnuppe.
Zum Glück fand ich bald ein Taxi.
13
„Stimmt so!“, sagte ich zu dem Cab-Fahrer mit dem Halbmondgesicht und jumpte aus seinem klappernden Vehikel. „Der Rest ist für ein Lutschbonbon.“
Das Taxi reihte sich in den zähflüssigen Verkehr ein. Ich blickte an unserem Wolkenkratzer hoch, und als ich es im Nacken knacksen spürte, hörte ich damit auf.
Ich setzte mich in meinen Mustang. Diesmal hinderte mich niemand daran. Der Weg zu Mary Scott war frei, wenn man von den unzähligen Fahrzeugen absah, die die Straßen vollrammelten. Wenn der Ho-Chi-Minh-Pfad so oft verstopft wäre wie bei uns beispielsweise der Eisenhower Expressway, wäre der Krieg in Vietnam längst aus.
Meine blecherne Geduld wurde auf eine harte Zerreißprobe gestellt. Ich schaffte es, zu bestehen. Wie ich das schaffte? Ich drehte das Radio auf, ließ mich von Dean Martin und Al Martino beschwichtigen und sang mit Barbra Streisand im Duett.
Arme Barbra!
Mrs. Mary Scott wohnte Lake Shore Drive 1975, hatte ich mir von meiner Partnerin Susan Tucker sagen lassen. Lake Shore Drive 1975 — das war eine andere Welt. Eine Welt von gestern. Mit alten Bäumen im Park, mit einem schlossähnlichen Gebäude, mit Springbrunnen, Zierbüschen und fürstlichem Plunder von anno dazumal, mit einer Gartenlaube, die aus Holz gemacht war und wohl zusammenbrach, wenn man es wagte, sie zu betreten.
Der Zufahrtsweg war mit weißem Kies bestreut. Rings um mich blühte eine alte Welt.
Ich hielt meinen Wagen vor dem großen Portal des Hauses. Wenn nun ein Kaiser oder der Präsident von Belutschistan aus diesem Tor getreten wäre, hätte mich dies nicht im Mindesten erstaunt.
Ich stellte den Motor ab, schälte mich aus meinem roten Schlitten und ging mit geziemender Grandezza die vier Steinstufen hinauf. Ich erreichte die Tür und wollte läuten.
Da wurde die Tür plötzlich wild aufgerissen, zur Seite geschleudert, und wenn ich nicht so geistesgegenwärtig nach rechts gesteppt wäre, hätte mich der livrierte Kerl einfach niedergerannt.
Als er mich bemerkte, bremste er jäh ab. Er sah fahl aus. Direkt ungesund. In der Rechten hielt er einen schweren Wagenheber. Ich nahm an, er war der Chauffeur, von dem Susan mir erzählt hatte. Er keuchte und starrte mich verstört an.
Ich konnte meinen Blick nicht von seinem Wagenheber lösen. Er war aus dem Haus gestürmt, mit diesem schweren Gerät in der Faust. Was hatte er mit dem Wagenheber im Haus zu suchen? Wofür fand in einem Haus wie diesem ein Wagenheber Verwendung?
Ich glaubte, Entsetzen in seinem irrlichternden Blick erkennen zu können. Ich nannte ihm meinen Namen, war aber nicht sicher, ob er ihn auch registrierte. Er war völlig durchgedreht.
,.Furchtbar! Schrecklich!“, bellte er.
Ich trat zu ihm und nahm ihn an der Livree. Dann schüttelte ich ihn ein paarmal fest.
„Was ist denn passiert?“, fragte ich eindringlich.
Er wies mit dem Wagenheber auf die offen stehende Tür.
„Da drinnen ...! Oben ...!“
„Was da drinnen?“
„Mrs. Scott!“, stöhnte James. Er fuhr sich über die zuckenden Augenlider. Sein Atem ging schnell. Er hechelte. „Mein Gott, Mrs. Scott!“
Nun begann ich mir ernstlich Sorgen zu machen.
„Was ist mit Mrs. Scott? James, so reden Sie doch!“
„Sie ist ... sie ist ...“
„Tot?“, fragte ich.
Er schluckte verstört und nickte schnell.
„Ich habe es nicht getan“, schrie er mir ins Gesicht. „Ich schwör’s Ihnen, Mr. Calder. Ich habe es nicht getan ... Sie ist ermordet worden!“
Ermordet!
Mit einem Mal passte mir meine Haut nicht mehr. Die alte Frau war tot. Ermordet. Und dieser Kerl hatte einen Wagenheber in der Faust. Erklärte das nicht einiges? Wenn nicht alles?
„Wurde sie erschlagen?“, fragte ich schneidend. „Mit einem Wagenheber vielleicht? Mit diesem Wagenheber vielleicht?“
James riss bestürzt die Augen auf.
„Mein Gott, nein! Nein, Mr. Calder. Ich war’s nicht ...“
„Was wollten Sie mit dem Wagenheber im Haus? Das Dach heben?“
Sein Körper wurde schlaff. Er sackte zusammen, hockte sich einfach auf den Boden. Er starrte vor sich hin und flüsterte: „Ich ... ich gebe zu, ich wollte es tun. Ich nahm den Wagenheber und ging ins Haus, um es zu tun ... Sie war heute wieder einmal unausstehlich. Sie war ein Teufelsweib. Ich weiß, dass man nichts Schlechtes über jemand sagen soll, der tot ist. Aber es ist nicht leicht, etwas Gutes über Mrs. Scott zu sagen. Sie war keine liebenswerte alte Frau. Sie war ein feuerspeiender Drache. Ich hatte einen ... einen Herzanfall. War nicht der erste. Die Pumpe mag seit einem Jahr nicht mehr so recht. Ich fühlte mich schrecklich, ging hinauf zu ihr und bat sie, mir frei zu geben. Ich wollte mich auf mein Zimmer zurückziehen, wollte mich hinlegen. Ich dachte, ich würde sterben. Es ist immer dasselbe scheußliche Gefühl, wenn mich so ein Anfall packt. Ich sah schrecklich aus. Ganz grau war ich im Gesicht. Sie konnte sehen, wie’s um meine Gesundheit stand — trotzdem hat sie mich