und her rutschte. Einmal zeigte er sogar auf seine Uhr, um mir anzudeuten, dass es höchste Zeit für mich war, endlich zu verschwinden. Ich übersah es einfach.
Irgendwann gegen Mitternacht hatte Sharon Lust zu tanzen.
„Gute Idee‟, sagte ich, und Milo grinste säuerlich.
Wir fuhren in eine Diskothek in Chelsea und tanzten, bis wir schweißnass waren. Jedenfalls Sharon und ich. Milo stand die meiste Zeit an der Theke, hielt sich an einem Whiskyglas fest, und plauderte mit ein paar Mädchen, die sich wie zufällig um ihn geschart hatten. Manchmal blickte er zur Tanzfläche herüber. Er tat mir ein bisschen Leid. Aber nicht sehr.
Und dann wurden ein paar Träume der vergangenen Tage wahr.
„Ich will nach Hause, Jesse‟, sagte Sharon. „Und wenn ich den Abend schon mit einem Bullen verbracht habe, soll er mich auch durch die gefährlichen Straßen dieser schlimmen Stadt begleiten.‟
Eh ich mich versah, hing sie an meinem Hals und küsste mich. Es war himmlisch.
Als ich am nächsten Morgen in ihrem Schlafzimmer aufwachte und ihren nackten Körper neben mir sah, war ich hin- und hergerissen. Zwischen Entzücken und schlechtem Gewissen Milo gegenüber.
Ich schrieb ihr ein paar zärtliche Zeilen auf einen Zettel – und natürlich meine Nummer – und fuhr ausnahmsweise mal mit der Underground in die Federal Plaza.
Milo hockte schon am Konferenztisch im Chefzimmer. Jonathan McKee stand neben seinem Schreibtisch und telefonierte.
„Nicht böse sein, Partner‟, raunte ich meinem Partner zu. „Du hättest an meiner Stelle auch nicht widerstehen können.‟
„Ich werd′s überleben, Jesse‟, grinste Milo. Mir fiel ein Stein vom Herzen. „Aber‟, drohend hob er den Zeigefinger, „ich werde mich rächen. Du hast gegen eine Regel unserer Freundschaft verstoßen: Du sollst nicht begehren den Flirt deines Partners!‟
„Was sollte ich denn tun?‟, flüsterte ich. „Ich hab mich verliebt, verdammt noch mal? Kennst du ein Kraut, das dagegen gewachsen ist?‟
„Trotzdem‟, beharrte Milo. „Ich werde mich rächen.‟
Jay Kronburg und Leslie Morell betraten das Chefzimmer. Kurz darauf auch Medina und Clive Caravaggio. Der Chef legte den Hörer auf. Mit der aktuellen Ausgabe der New York Times kam er zum Konferenztisch.
„Der Ermittlungsrichter hat sein Okay gegeben‟, sagte er. „Ab heute werden die Gespräche Sadrs und seines Anwalts abgehört. Außerdem hat die CIA einen Mossad-Mann aus Israel einfliegen lassen. Einen gebürtigen Syrer. Er kennt die Verhältnisse innerhalb der Al-Qaida genau und war eine Zeitlang ziemlich nah an ihrer Spitze platziert. Im Umfeld von Bin Laden.‟
„Was für einen Job hat der Mann in unserem Fall?‟, wollte Milo wissen.
„Er wird heute in Rikers Island eingeliefert‟, erklärte der Chef. „Als Häftling des Hochsicherheitstraktes. Sein Zellengenosse heißt Ali Sadr. Wir hoffen, dass er das Vertrauen des Attentäters gewinnt.‟
Jonathan McKee legte die New York Times auf den Konferenztisch. „Haben Sie schon Zeitung gelesen, Gentlemen?‟
Orry griff sich die Zeitung. „Londoner Islamist verhängt Fatwa über drei New Yorker Künstler‟, las er laut. „Wegen Lästerung gegen die Religion des Islams hat der Clanführer und Religionsgelehrte Kahlid Al Turabi von seinem Versteck in London aus das Todesurteil gegen drei New Yorker Persönlichkeiten verhängt.‟
Er unterbrach sich und blickte auf. „Könnt ihr das glauben?‟ Keiner sagte etwas. Orry las weiter. „Betroffen von der Fatwa sind die Dramatikerin Eve O′Sullivan und die Cartoonisten Michael Valezki und Sharon Lewis. Nach der Fatwa gegen den Schriftsteller Salman Rushdie vor mehr als zehn Jahren ist dies das erste Mal, dass islamistische Fundamentalisten ...‟
Ich hörte nicht mehr zu. Wie vom Donner gerührt hockte ich in meinem Sessel. Ein Stein in meinem Brustkorb schien mir den Atem abzudrücken. Auf meinem Oberarm spürte ich Milos Hand.
„Der Hass der Islamisten auf unser Land hat eine neue Stufe erreicht, Gentlemen‟, sagte unser Chef. Seine Stimme klang leise, und seine schmalen Lippen waren blutleer. „Die Rädelsführer dieser Terroristen hetzen ihre fanatisierten Kämpfer jetzt auch nach New York City ...‟
18
Sie hatten eine kleine Motoryacht gemietet und waren von Long Beach aus auf den Atlantik hinausgefahren. Am frühen Abend gingen sie in der Lower Bay vor Anker.
Mit einem Feldstecher suchte Ismael die Küste von Coney Island ab, während Raphael einen Teil ihrer Ausrüstung auf einer Plastikplane ausbreitete. Eine Kalaschnikow, eine Uzi-Maschinenpistole, mehrere Handgranaten, zwei Pistolen der Marke Jericho, wie sie vom israelischen Geheimdienst benutzt werden, und zwei Schalldämpfer.
„Ich sehe es.‟ Ismael setzte den Feldstecher ab und entfaltete den Plan von Coney Island. Sorgfältig studierte er Straßen, Buchten, und eingezeichnete Gebäude. Von Zeit zu Zeit blickte er durch den Feldstecher und verglich den Plan mit den Geländekonturen und Gebäuden, die er er an der drei Meilen entfernten Küste erkennen konnte.
„Ja‟, nickte er schließlich. „Das ist das Haus.‟ Er steckte das Fernglas in eine große Sporttasche, die neben ihm an der Reling des Oberdecks stand.
Dann half er seinem Bruder, die Ausrüstung zu überprüfen. Sie luden die Waffen und legten sie zusammen mit der Munition und den Handgranaten in die Tasche. Anschließend ließen sie das Schlauchboot ins Wasser und befestigten den kleinen Außenbordmotor daran.
Das Wetter war freundlich, ein erstaunlich milder Wind blies von Osten her über den Atlantik. Zurück an Bord der Yacht standen sie an der niedrigen Reling und betrachteten das Schlauchboot unter sich an der Bordwand. Die Wellen schaukelten es hin und her.
„Es ist eine gefährliche Aktion, Brüderchen‟, sagte Ismael. „Hast du Angst?‟
Raphael schluckte. Im Sudan war er einmal in Feuergefecht mit einem amerikanischen Stoßtrupp verwickelt gewesen. Seine einzige Kampferfahrung bisher. Sein älterer Bruder dagegen hatte als junger Mann zwei Jahre lang auf Seiten der Taliban gegen die Russen gekämpft.
„Hast du Angst?‟, fragte er leise.
„Ein Krieger Allahs hat keine Angst‟, sagte Ismael mit fester Stimme. „Meine einzige Furcht ist, dass wir sterben könnten, bevor wir alle drei Urteile vollstreckt haben.‟
„Sie werden uns jagen.‟ Raphael zog den Knoten fest, mit dem das Schlauchboot an der Reling befestigt war. „Und vielleicht werden sie uns kriegen ...‟
Ismael sah seinen Bruder an. Seine dunklen Augen glühten. Ein verächtlicher Zug spielte um seinen schmalen Mund. „Es muss uns nicht kümmern, was mit uns geschieht, wenn wir die Strafe des Allmächtigen vollstreckt haben. Und selbst wenn wir sterben sollten, kleiner Bruder – wir werden als Märtyrer sterben. Das Paradies steht uns offen. Was gibt es Größeres?‟
Wieder schluckte Raphael. Aber er nickte. „Du hast Recht, Ismael.‟ Sein Mund war plötzlich trocken.
„Sobald es dunkel wird, steigen wir ins Schlauchboot‟, sagte Ismael. Kurz vor der Küste stellen wir den Motor ab