Adrienne Fichter

Das Netz ist politisch – Teil I


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und Zerwürfnis in Zürich

      «Paul ist ein Rebell mit einem grossen Sinn für Gerechtigkeit», sagt der ETH-Professor Ernst Hafen. Er ist wie Dehaye ein Verfechter von MyData – einer Bewegung, die für digitale Selbst­bestimmung eintritt. Hafen arbeitete in Zürich mit Dehaye zusammen.

      Zürich hat in Dehayes Laufbahn eine besondere Bedeutung. Es ist die Stadt, in der sein Kampf gegen die Daten­konzerne begonnen hat. Nämlich gegen das amerikanische Unternehmen Coursera, eine Bildungs­plattform zur Über­tragung von Vorlesungen im Internet.

      Die Universität Zürich hielt an Coursera fest. Trotz potenziell groben Verstössen gegen das Schweizer Datenschutz­gesetz. Es kam zum Zerwürfnis zwischen der Universitäts­leitung und Dehaye. Der Aktivist verliess daraufhin die akademische Welt.

      Ernst Hafen war damals einer der wenigen, die Dehayes Engagement gegen die Bildungs­plattform Coursera unterstützten. Und bewunderten. «Paul sieht weiter.»

      «Too big to comply»

      Zuckerbergs Antwort: «Ja, jeder könnte diese Daten herunterladen.»

      Doch das war falsch. «Zuckerberg hat zweimal vor laufender Kamera die Politiker Washingtons und auch die ganze Welt angelogen», behauptet Dehaye.

      Dehaye weiss das, weil er via E-Mail dieselbe Frage an Facebook stellte. Und eine ganz andere Antwort bekam. Das war am 7. März 2018, rund einen Monat vor Zuckerbergs Aussage im Senat. Es war das letzte Schreiben in einem zähen einjährigen E-Mail-Verkehr.

      «Sie schrieben mir: ‹Wir können Ihnen keine Auskunft geben, Ihre Anfrage ist zu kostspielig. Es ist zu aufwendig, alle diese Tracking-Daten aus den Webseiten herauszuziehen.› Dafür sei ihr System nicht gemacht.»

      Mit anderen Worten: Facebook ist too big to comply – zu gross, um das Datenschutz­gesetz einhalten zu können. Dehaye war fassungslos, als er die Zeilen las.

      Dehaye weiss viel über die Praktiken der Tech-Konzerne. Seine Antworten sind wohlüberlegt, berechnend. Kein Wort zu viel, keines zu wenig. Er achtet penibel genau darauf, wem er welche Information aus seinen Recherchen zusteckt.

      Während des Gesprächs im Genfer Impact Hub zieht Dehaye mehrfach sein Smartphone hervor. Mit interessierten Augen blickt er drauf. Auf die neugierige Frage der Reporterin, worum es gehe, will er nicht antworten.

      Später wird er erzählen, dass er damals schon etwas wusste, was die Öffentlichkeit erst vor einigen Wochen dank dem «Guardian» schwarz auf weiss erfahren hat: dass Facebook einmal mehr gelogen hatte. Der Konzern beteuerte mehrfach, dass es seit 2014 keinen Fall wie Cambridge Analytica gegeben habe. Dass man die Zugänge für unberechtigte Daten­abflüsse gekappt habe.

      Immer unter Strom

      Nicht nur Facebook steht auf Dehayes Liste. Ihn faszinieren alle Technologien, in denen soziale Beziehungen in Daten und damit auch in Geld umgewandelt werden, etwa Dating-Apps oder die Sharing-Economy-Plattformen. Tinder ist eine weitere Blackbox, die er fast knackte.

      Doch am Ende erhielten Duportail und Dehaye, was sie verlangten. Ein Dokument von 800 Seiten. Darin steht, wo sich Duportail befand, als sie mit ihrem ersten Match flirtete, welche Musik­vorlieben sie hat, welche Ausbildung sie absolvierte. Duportail bekam zwar nicht alle Informationen, die sie verlangte – schuldig blieb ihr Tinder etwa den Attraktivitäts­score, eine Zahl, mit der das System festlegt, wie schön oder hässlich eine Tinder-Nutzerin ist. Aber immerhin, die 800 Seiten waren ein Anfang.

      «Tinder zeigte sich völlig verblüfft», sagt Dehaye. «Wir waren die Ersten überhaupt, die das taten. 90 Prozent der Netz­aktivisten und Journalisten hätten wohl bei dem juristischen Widerstand aufgegeben. Wir haben weitergemacht.»

      Dehayes Augen leuchten, wenn er von diesen Siegen erzählt. Sie verschaffen ihm Genugtuung: «Es regt die Technologie­konzerne ja so auf, wenn Leute wie ich kommen, ihr Vokabular kennen und sie mit Fragen löchern. Um zu antworten, müssen sie alles mühsam rekonstruieren.»

      Ganz uneigennützig ist seine Medienarbeit nicht. Jeder erschienene Artikel, an dem er mitgewirkt hat, ist Werbung für ihn und für seinen Dienst PersonalData.IO. Ein kostenloser Service, mit dem man bequem persönliche Daten­auskünfte bei allen Technologie­konzernen bestellen kann. Nach der Publikation des Tinder-Artikels hatten 300 Personen über PersonalData.IO ihre Tinder-Daten angefordert.

      Doch Geld verdienen will Dehaye mit seinem Dienst noch nicht. PersonalData.IO bringt dem bald dreifachen Familienvater keinen Rappen ein. Er finanziert sein Angebot mit Spenden und seinen Honoraren aus Vorträgen.

      Kürzlich erhielt er auch finanzielle Unterstützung von der George-Soros-Stiftung Open Society Foundations und dem Data Transparency Lab, einem Forum für Daten­transparenz, hauptsächlich finanziert durch die spanische Kommunikations­anbieterin Telefónica. Damit kann Dehaye seine Mitarbeiter knapp finanzieren. Auch sein neues Amt als Verwaltungs­rat der internationalen Organisation MyData ist ehrenamtlich. Haupt­verdienerin ist derzeit seine Frau.

      Der sanfte Rebell

      Dem «Tages-Anzeiger» erzählte[21] Paul-Olivier Dehaye einmal, dass er seinen Job als Mathematik­professor in Zürich wegen eines Burn-outs nach dem Zerwürfnis mit der Universität Zürich aufgegeben habe und mit seiner Familie nach Genf gezogen sei.

      Doch man hat den Eindruck, dass der