Dieter Breuer

Grimmelshausen


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Quellenfrage unter dem Aspekt der politischen Argumentation im einzelnen noch nicht genügend geklärt ist und auch im Rahmen dieser Untersuchung nicht geklärt werden kann. Schon jetzt möglich indes ist eine vergleichende Lektüre von staatstheoretischen und staatsrechtlichen Lehrbüchern sowie historisch-politischen Nachschlagewerken der Zeit, auch solcher, die Grimmelshausen nachweislich benutzt hat.68 Aufgrund der hierbei gewonnenen Kriterien soll in einem ersten Versuch entschieden werden, in welchem Umfang Grimmelshausen politische Fragen seiner Zeit behandelt hat, mit welchen er sich vornehmlich auseinandergesetzt und zu welchen er, offen oder verdeckt, eine Stellungnahme riskiert hat, schließlich, wie diese Stellungnahmen in den Auseinandersetzungen um die absolutistische Staatsreform situiert sind. Ich beziehe mich dabei vor allem auf seine Joseph-Histori. Um dem Gesichtspunkt einer möglichen Veränderung der politischen Argumentation Rechnung zu tragen, möchte ich abschließend noch den Simplicissimus und Proximus und Lympida zum Vergleich heranziehen.

      II

      Grimmelshausens Histori vom Vortrefflich Keuschen Joseph in Egypten ist wie alle Schriften dieses Autors gegen die Gattungsnorm der Zeit geschrieben. Ein Vergleich mit dem Joseph-Traktat des oberdeutschen Erfolgsautors Jeremias Drexel, seit 1643 in deutscher Übersetzung benutzbar, macht bei manchen Gemeinsamkeiten im Verständnis der Gattung „Historia“ doch deutlich, daß Grimmelshausen die biblische Vorlage (1. Mos. 37–50) sehr eigenwillig umakzentuiert hat, allerdings nicht, wie bisher geurteilt wurde, in Richtung auf „das Familiäre“, das angeblich „vor den hohen Staatssachen“ rangiere.69 Die Familiengeschichte ist im Gegenteil auf ein Minimum reduziert, die politischen Momente jedoch, die die biblische Vorlage bietet, überproportional und in aktualisierender Weise herausgearbeitet.

      Das beginnt – in der Erstfassung von 1666 – bereits beim Obertitel: „Exempel Der unveränderlichen Vorsehung Gottes. Unter einer anmutigen und ausführlichen Histori“. Diese Formulierung deckt sich nur scheinbar mit der geistlichen Argumentation Drexels. Drexel faßt die Joseph-Historia als Darstellung einer mustergültigen christlichen Lebensführung auf. Seine den Erzähltext begleitende Kommentierung („Betrachtung“) berührt alle ihm wichtig erscheinenden Bereiche christlicher Lebensführung, wobei er sich übrigens wie auch sonst auf überkonfessionelle Aspekte beschränkt; er schreibt einleitend:70

       Die Historia deß Josephs schicket sich wol auff alle Menschen/weß Stands sie seyen/hohen/niedrigen/reichen/armen/verheurathen vnd vnverheurathen/alten/jungen Männern/Weibern gar wol. Hie finden sie/was Alters/Geschlechts vnd Verstands sie auch nur seyen/lehren genug/sie finden zubetrachten vberflüssig. Der verkauffte Joseph ist ein Meister vnd Spiegel der grössesten Tugenden […]: Von Joseph werden wir all vnterrichtet.

      In der Bibel gibt es seiner Meinung nach „keine Histori vnd Geschicht/die zu Einrichtung eines heiligen vnd wol gezierdten Lebens dienlicher“; zu diesem „warhafftigen Controfeyt der herrlichen Gedult/grossen Lieb/wunderbaren Keuschheit/sonderlichen Standhafftigkeit“ gehört nach Drexel u.a. auch vorbildliches Verhalten im politischen Bereich: Joseph ist auch „ein rechtes Muster der hohen Obrigkeit/eines rechtschaffenen Fürstens Controfeyt“.71 Zum Nutzen dieser Historia gehört aber darüber hinaus die vorbildliche Veranschaulichung des Zusammenwirkens von göttlicher Vorsehung und menschlichem Planen und Handeln:72

       Diese Historia allein setzet vns die Vorsehung Gottes/als ein rechte Schiltwacht/so nicht vberrauschet [sic] noch vbergangen könnte werden/gantz vor Augen.

      Mit einiger Genugtuung macht Drexel den Leser darauf aufmerksam, daß die Joseph-Historia „gleichsamb ein Schrein vnd Behalter bey nahe aller deren Lehren [ist]/welche ich von der Ehnlichkeit vnd Confirmation deß Menschlichen gegen Gottes Willen in meinen Schriften an Tag geben“.73 Soweit Drexel.

      Grimmelshausen nun schränkt die bei Drexel noch vorhandenen vielfältigen Interpretationsmöglichkeiten der Joseph-Historia auf einen speziellen Gesichtspunkt ein, eben den politischen. Der Hinweis auf die „providentia Dei“ im Obertitel steht dieser Auffassung keineswegs entgegen, sondern verweist einerseits wie bei Drexel auf die Zweckbestimmung der Gattung „Historia“, andererseits aber auch, anders als bei Drexel, auf das zentrale Argument gegen die machiavellistische Begründung der Staatsräson und führt damit mitten in die zeitgenössische Auseinandersetzung um die politische Moral im absolutistischen Staat.

      Hinweise auf die „göttliche Vorsehung“ finden sich durchgängig in fast allen Episoden der Histori.74 Sie ist Garant für Josephs „künfftige Hochheit“ (14, 17, 19), und an ihr orientiert Joseph sein Handeln als Politiker im Stande der „Hochheit“: „Gott thut Vorsehung in allen Dingen/und hilfft denen zu aller Zeit/die sich auf ihn verlassen.“ (105) Er erkennt sich und seine Gegenspieler in allem, was er und sie auch tun, als Vollstrecker der göttlichen Vorsehung; so äußert er als Regent rückschauend gegenüber seinen Brüdern:

       Dann ich bin dessen nunmehr genugsam versichert/daß euer böser Rahtschlag/mich zu verderben/nicht aus Trieb angeborner böser Eigenschafft entsprungen: Sondern durch die Göttliche Vorsehung also verordnet worden/damit ich zu dieser hohen Würde gelangen/und euch und die eurige in dieser grossen Theurung erhalten möge. (113)

      Wie wichtig Grimmelshausen diese Überlegung zur religiösen Fundierung politischen Handelns ist, geht auch daraus hervor, daß er sie dem Leser gleich zweimal vorlegt: auch Asaneth macht „den Schluß bey ihr selbsten/daß sie [die Brüder] von der Göttlichen Vorsehung hierzu gemüssigt worden wären/damit Josephs Tugenden der gantzen Welt offenbahr: und so wol sie/als das Egyptische Königreich durch ihn erhalten würden“ (106). Aus dieser Einsicht in die metaphysische Bedingtheit allen Handelns resultieren Josephs unablässige Bemühungen, in Übereinstimmung mit der göttlichen Vorsehung zu handeln. Mittel dazu sind ihm Traumdeutung und Astrologie, die somit wie alle übrigen Prognostikmethoden religiös legitimiert werden,75 sowie „sonderbare göttliche Gnad und sein eigenes scharpffes Nachsinnen“ (18), Gebet und rigorose Affektbeherrschung.

      Meine Schlußfolgerung aus diesen Beobachtungen ist einfach: Wenn Joseph, nach religiösen Maßstäben handelnd, als ein überaus erfolgreicher Regent dargestellt wird, dann folgt Grimmelshausen damit ganz der antimachiavellistischen Argumentation, wie sie, richtungweisend für die Staatslehre im 17. Jahrhundert, zuerst von Adam Contzen vorgetragen und von zahlreichen Staatslehrern der Zeit mit Bezug auf ihn übernommen worden ist.76

      „Vnica salus est imperantis, ex Dei lege gerere Rempublicam, iustitiam, aequitatemque tueri“ –, auf diese Formel hatte Contzen seine Auseinandersetzung mit dem von ihm so bezeichneten „Pseudopoliticus“ Machiavelli gebracht, übrigens in einer Dedicatio (1628) an sein „Beichtkind“ Kurfürst Maximilian I. von Bayern,77 in dessen militärischen Diensten ja auch Grimmelshausen zeitweilig gestanden und dem der Dichter in Cap. 18 des Springinsfeld ein literarisches Denkmal gesetzt hat.78

      Welchem Staatstheoretiker der Contzenschen Richtung Grimmelshausen hinsichtlich des religiösen Fundierungsprinzips der Politik gefolgt ist, ist vorerst noch nicht auszumachen. Gewiß ist nur, daß er 1670 einen ganzen Traktat (Zweyköpffiger Ratio Status) in den Dienst der antimachiavellistischen Argumentation gestellt hat. Die Staatsräson bleibt für ihn an moralisch-religiöse Prinzipien gebunden. „Der“ (!) Ratio Status, so heißt es im einleitenden grundsätzlichen Diskurs dieses Traktats, besteht „principaliter nur in zweyerley Gestalt/nemlich in gut und böß/je nach dem er etwan von rechtmässigen/frommen/Gott und der Welt gefälligen Regenten/oder aber von ungerechten/gottlosen Tyrannen/[…] beherbergt/und ihme Folge geleistet wird“.79 Die lipsianische „prudentia mixta“, die Contzen in seiner Staatslehre (1620) gleichfalls zurückgewiesen hatte, läßt Grimmelshausen ebensowenig gelten: „Dann wo er [„der“ ratio status] mittelmässig/das ist lau/oder halb wild/halb zahm erscheinet; da könnte ich nicht glauben/daß er die Mittel-Straß so genau treffe/daß er sich nicht mehr auff die eine als die andere Seite lencken sollte“.80 Und er kommt zu einem Ergebnis, das ihn als Anhänger der theologisch fundierten frühabsolutistischen Staatslehre der Contzenschen Richtung ausweist:81

       Ich wollte sagen/daß er („der“ ratio status) entweder mehrers der Erlaubten ja gebottenen selbst Erhaltung/darzu alles