Frage diskutiert, „ob deß Fürsten Schatz besser und sicherer bey seinen Unterthanen/oder in seiner Fürstlichen Schatzkammer seye“.92 Der Autor entscheidet sich gegen die Politik der Schatzbildung, wie sie noch Contzen vertreten hatte,93 und für die Vermehrung des Geldumlaufs; es sei „besser und sicherer/deß Fürsten Schatz sey bey seinen Underthanen“:94
Gleich wie es eine ungestalt eines Menschen/und daß umb denselben nicht wohl stehe/noch lang mit ihm währen könne/ein gewisses Zeichen ist/wann der kopf übernatürlich groß/dick/und geschwollen ist/der leib aber und alle desselben gliedmassen gantz dürr/gar mager/und außgeschmachtet seind: Also stehet es nicht wohl umb das Land/dessen Regent alle der Underthanen Güter und vermögen an sich zeucht/oder dieselben mit ungebürlichen aufflagen außsäuget/und sie arm/sich aber reich machet.
Eine solche Schatzbildungspolitik läuft nach Meinung des Autors Gefahr, den Zweck des Fürstenstaates, die bessere Sicherung des Gemeinwohls, zu verfehlen; der Fürst habe zu bedenken,95
daß ihn Gott umb der Underthanen willen geschaffen habe; Underthanen könten auff allen fall ohn Fürsten wohl leben/und sein/Aber Fürsten können keine Fürsten sein/sie müssen Underthanen haben. […] Dann Gott uns alle eben frey und einem den anderen gleich erschaffen/die Regenten sein allein zu der Underthanen nutz erschaffen/damit sie desto leichter die menschliche und Burgerliche Societät erhalten.
Diese Argumentation greift nun Grimmelshausen in der Fortsetzung der Joseph-Histori, dem Musai (1670) auf. Pharao hat die „schläfferige Andacht“ der Bevölkerung bei einer staatlichen Kultfeier beobachtet und, in Kenntnis der politischen Funktion der Staatsreligion, als Indiz für eine Gefährdung seiner Herrschaft interpretiert:
[…] sollte die Andacht des Volcks samt den Göttlichen Diensten/die sie meinen Vorfahren zuerzeigen gewohnet seyn/fallen; So wäre zubesorgen/daß mein Königlicher Gewalt endlich auch einen Stoß nehmen dörffte. (163)
Joseph, der die Ursache des bedrohlichen Popularitätsverlusts klären und beseitigen soll, berät sich mit seinem Schaffner und Ökonomen Musai, und dieser fordeß dert nun unter Berufung auf göttliches und natürliches Recht mit Vehemenz, die Politik der Mehrung des Staatseigentums zu revidieren:
Ha! Antwortet Musai/was bedarffs vieler Nachgründung? Die arme Tropffen seynd von aller Reichthum und Barschafft durch die Königliche Cammer dergestalt ausgesogen und in Armuth gesetzt worden/daß ihnen Freud und Muth wohl vergehen muß; […] warum hätt er hiebevor dem Pharaone ein Rath geben/dardurch alle Reichthüm der halben Welt in seine Schatz-Cammer zusammen geflossen? Sehet mein Herr! Darum trauret das erarmte Land; dessen Inwohner weder eigne Aecker/noch Häuser/noch Viehe/noch Geld besitzen/noch eigne Herren über ihre eigne Leiber mehr seyn/denen doch Gott und die Natur solche so wohl als dem König den Seinigen zum Eigenthum angeschaffen; Warum liegen die Kauffmanns-Händel allerdings vergraben? Darum/daß dem seuffzenden Volck keine Mittel übrig gelassen worden/gleich: und mit anderen Nationen zu handeln; das arme Volck hat kein Gelt und Pharao läßt es hingegen übereinander verschimlen; Weßwegen ohne Zweiffel mancher arme Tropff Rach über dich schreyet […]. Ich könnte nur zuverstehen geben/daß mich bedunckte/du habest dem Gesetz der Natur nicht so gar gemeß gehandelt/daß du so viel und grosse Schätz allein dem Pharaone zugeeignet/die doch von der Natur gegeben worden/daß nit nur der König/sondern alle Menschen deren geniessen und sich ihrer erfreuen sollten. (163f.)
Josephs Staatsschatzpolitik, die doch ursprünglich nur die zentrale Machtbildung im Interesse und zum Schutze des Gemeinwohls und gegen ständische Partikularinteressen sowie gegen Bedrohungen von außen sichern sollte, hat ihre Eigengesetzlichkeit entwickelt und ist in Konflikt mit dem Gemeinwohl und damit mit den natürlichen Rechten der Untertanen geraten; sie mindert auch nicht mehr die Kriegsgefahr, sondern erhöht sie:
wann ein kriegerischer König auffstünde/der heut oder morgen solchen Schatz zu Waffen und Soldaten anlegte; könnte er nicht als dann die gantze Welt mit Krieg/Mord und Brand betrücken? (164)
Diese von Musai vorgetragene harte Kritik an der Politik des Regenten Joseph gibt insofern Rätsel auf, als sie auch den zunächst selbstverständlichen Vorbildcharakter Josephs in Frage stellt. Die Kritik veranschaulicht, wie ich meine, daß Grimmelshausen seine Auseinandersetzung mit der absolutistischen Staatsauffassung konsequent weitergetrieben hat. Erzählerisches Mittel ist ihm die Figur des Musai. Schon daß Musai religiös weniger stark gebunden ist als Joseph, daß er erst spät (wie übrigens auch Asaneth) durch Josephs Einwirken zum „einigen himmlischen Gott“ (151) konvertiert ist und konfessionelle Toleranz übt (139), daß er sich zeitlebens mit der Magia naturalis beschäftigt und die „Göttliche Allmacht und Wunder an den schönen vielfarbigen Blumen und andern neugebornen Erdgewächsen zu betrachten“ weiß (173), kennzeichnet ihn, von autobiographischen Bezügen einmal abgesehen,96 als Vertreter des neuen irenischen, frühaufklärerischen Denkens, wie es nach 1650 sich im oberdeutschen Raum etwa am Hofe des Mainzer Kurfürsten Johann Philipp von Schönborn herausbildete.97 Dem entspricht sehr genau die naturrechtlich orientierte Kritik an Folgeerscheinungen der frühabsolutistischen Herrschaftspraxis, die Grimmelshausen seiner Musai-Figur in den Mund legt.
Die politische Argumentation der Joseph-Histori korrigierend, macht Grimmelshausen auf das Dilemma aufmerksam, in das Joseph, der scheinbar so erfolgreiche Vertreter des frühabsolutistischen Machtstaates, ebenso übrigens wie die frühabsolutistischen Staatslehrer Lipsius und Contzen, ungewollt geraten sind. Wie diese Theoretiker die Vermehrung des fürstlichen Aerariums gefordert hatten, um (über die Finanzierung einer Heeresreform) die seinerzeit von innen und außen bedrohte Sicherheit des neuen, am Gemeinwohl orientierten Staates garantieren zu können, – und Maximilian I. von Bayern hatte, ihnen folgend, als erster deutscher Fürst eine solche Politik betrieben, – so rechtfertigt auch Joseph seine Schatzbildungspolitik mit der Abwendung einer staatsbedrohenden Hungerkatastrophe:
du wollest aber auch bedencken/daß anfänglich bey Eintritt der wolfeilen sieben Jahr meine Meynung nicht gewesen/das Volck ins künfftig auszusaugen und unter ein solches beschwerlichs Joch zu bringen; sondern solches in den folgenden 7. Theuren Jahren vor dem Hunger zu bewahren […]. (165f.)
Joseph sieht insofern auch keinen Ausweg, als alle wirtschaftlich vernünftigen Investitionen den Staatsschatz nur vergrössern würden. Nur mit Widerstreben läßt er sich auf den Vorschlag Musais ein, die aufgehäuften Schätze in ein monumentales Bauprogramm zu investieren, um auf diese Weise das stillgelegte Geld in Umlauf zu bringen, den Wohlstand im Lande zu heben und künftige kriegerische Abenteuer zu verhindern. Doch erweist er sich auch darin als ein Vertreter der älteren kameralistischen Lehre, daß ihm das Denken in den Kategorien einer dynamischen, auf möglichst schnelle Geldzirkulation zielenden Wirtschaftspolitik schwerfällt; er hält Musais Monumentalbauten für „eitele Thorheit und unnütze Verschwendung“ (167). Er kann offenbar die Anforderungen der neuen Situation, eine Politik der öffentlichen luxuria zu betreiben, mit seiner religiös fundierten politischen Moral nicht recht in Einklang bringen. Er sieht das moralische Dilemma, in das die absolutistische Staatsauffassung mit Notwendigkeit führen muß, und paßt sich widerstrebend an, während Musai in den Fürstenstand aufsteigt.
III
Damit ist die Fragestellung angedeutet, an der sich Grimmelshausen in den auf die Joseph-Histori folgenden Schriften immer wieder abmüht. Wachsende Skepsis gegenüber der Moralität der absolutistischen Staatsordnung führt ihn zu der nun viel grundsätzlicheren Frage: Gibt es überhaupt eine Ordnungsform des menschlichen Zusammenlebens, die zu ihrer „Selbsterhaltung“ (ratio status) nicht in Konflikt mit vorrangigen moralischen Prinzipien gerät? Sowohl der Simplicissimus Teutsch als auch die späte Histori Proximus und Lympida bieten hierzu differenzierte Lösungsversuche an, die, wie die Joseph-Histori, ein erstaunlich hohes Maß an politikwissenschaftlicher Einsicht aufweisen. Ich kann in diesem Rahmen nur einige vorläufige Textbeobachtungen wiedergeben, die das Thema keineswegs erschöpfen.
Die politische Fragestellung ist im Simplicissimus zwar nicht die vorherrschende, doch enthält, auffällig genug, jedes der fünf Bücher einen