so vollkommen geschildert109, daß man den Autor mit einem Kriegsberichterstatter verwechselte und nicht bedachte, daß er stofflich aus den bekannten Kriegschroniken schöpfte110 und im Erzählverfahren engen Anschluß an den derzeit modernen realistischen roman comique suchte, wie ihn Scarron und Sorel aus dem Picaroroman musterhaft entwickelt hatten111. Die eigene fünfzehnjährige Militärzeit hat dagegen, wie schon Könnecke gezeigt hat, kaum Eingang in die Kriegsdarstellung des Simplicissimus Teutsch, der Courasche und des Springinsfeld gefunden112. Wenn der Autor eigene Erfahrungen erzählt, dann noch am ehesten in der Kurzform der Geschichten oder Datumsnotizen seines Ewigwährenden Kalenders, darin den begrenzten Mitteilungsmöglichkeiten der Autobiographen seines Jahrhunderts ganz ähnlich113. Dem Autor liegt offenbar mehr an der exemplarischen Darstellung kollektiver Erfahrungen, nicht individuellen Erlebens. So gibt er für die eindrucksvolle Darstellung des Überfalls der Soldaten auf den Spessarter Bauernhof des Knan (ST I, 3–5) und das Spessartdorf (ST I, 13–14) das literarisch vermittelte exemplarische Deutungsmuster gleich selbst an: die Illustration zum Buch Hiob aus der Lutherbibel114. Der vermeintliche Erlebnisbericht über die Schlacht von Wittstock (ST II, 27) ist inzwischen als geschickte, satirische Distanz schaffende Übernahme einer Schlachtbeschreibung aus Sir Philip Sidney’s Roman Arcadia (1590) in der deutschen Übersetzung von Hirschberg und Opitz (1629/38) erkannt worden115. Die Perspektive, aus der die erfahrene Welt gedeutet wird und die wir in allen Schriften des Autors wiederfinden, ist die der Verkehrtheit der Welt. Folgt man der dritten Kalendergeschichte, dann muß ein illustrierter Einblattdruck zum Thema „Verkehrte Welt“, den der siebzehnjährige Musketier im schwäbischen Winterquartier 1638/39 an der Wand einer Kunkelstube entdeckte, so etwas wie ein literarisches Schlüsselerlebnis bewirkt haben116:
Zuvor hatte ich die verkehrte Art der Welt wenig beobachtet/und noch weniger daß ich selbst mit interessirt wäre; […] Derowegen setzte ich mir vor/ich könnte alle dergleichen Posten so die verkehrte Welt verfügen würde/hinfüro genaw beobachten; umb mich darauß zubessern und meinen wenigen Verstandt zu schärpffen […].
Dies gilt jedenfalls auch für die Kriegsdarstellung im simplicianischen Erzählzyklus; sie ist, ob auf eigene Erfahrung oder Lektüre zurückführbar, immer schon exemplarisch als Erscheinung der Verkehrtheit der Welt gedeutet und in die satirische Perspektive gerückt. Niemals verselbständigt sich die Darstellung des Krieges, niemals ist sie so angelegt, daß sie irgendwelche heroischen Gefühle hervorrufen könnte. Das satirische Erkenntnis- und Darstellungsmodell der „verkehrten Welt“ schließt jegliche Verherrlichung kriegerischer Taten und Tugenden aus. Und wenn Grimmelshausen, zu Beginn seiner ersten Schrift, des Satyrischen Pilgram, sich seiner satirischen Erzählerrolle begibt und eine eigene Lebenserfahrung unvermittelt preisgibt, dann die, daß er als ein vom Krieg nachhaltig Geschädigter und um seine Bildungschancen Betrogener diese Erfahrung anderen ersparen will117:
Betreffend meiner Person Wenigkeit/daß ich nehmlich nichts studirt, sonder im Krieg uffgewachsen/und allda wie ein anderer grober Esel keine Wissenschafften/gefast habe/dahero auch nicht genugsamb seye Bücher zu schreiben […]; solches ist niemand leider als mir; Aber da wisse du und deinige/daß ich mich vor keinen Doctorem außgebe/zumahlen mir nichts destoweniger zu einiger Schand nicht gereichen könnte/daß ich die Gelegenheit/darhin zu gelangen nicht haben mögen; sondern vielmehr zu Ehren dienet/daß dennoch mit dem wenigen so ich erfahren/meinem Nebenmenschen zu dienen begehre.
Erklärtes Ziel des Autors ist es hier und anderwärts, die eigenen, so sauer erworbenen Lebens- und Leseerfahrungen in den Dienst des „Nebenmenschen“ zu stellen: „Schrei: Irrender steh still“118. Dies gilt insbesondere für seine Erfahrungen des Teutschen Krieges; er selbst deutet sein Hauptwerk, den Simplicissimus Teutsch, im letzten Kapitel des Satyrischen Pilgram ausdrücklich als Antikriegsschrift und empfiehlt es den „jungen Schnautzhahnen“, die nach zwanzig Friedensjahren gerne einen Krieg sähen, zur Lektüre. Er tut dies indes, und darin liegt die im folgenden zu zeigende Besonderheit des Simplicissimus Teutsch, von den Voraussetzungen seines Erkenntnismodells „Verkehrte Welt“ aus und mit Vorbehalten gegenüber der erasmianischen oder wiedertäuferischen Tradition des christlichen Pazifismus119.
II
Wie nahezu alle Themen des erzählerischen Werks hat Grimmelshausen auch das Thema „Krieg“ im Satyrischen Pilgram in einem dialektisch angelegten Diskurs („Satz“ – „Gegensatz“ – „Nachklang“) vorgeklärt. Dieser Diskurs, der den Satyrischen Pilgram abschließt und den ein Jahr später erscheinenden Simplicissimus Teutsch ankündigt, gibt uns eine erste Möglichkeit, die Position des Autors innerhalb der zeitgenössischen Diskussion um die moralische Bewertung von Kriegen näher einzugrenzen.
Die traditionellen Argumente für den Krieg („die Hochheit der Nutz und die Nothwendigkeit des Kriegs“) findet Grimmelshausen im zeitgenössischen Nachschlagewerk des Tomaso Garzoni (Piazza Universale, 81. Diskurs: Vom Kriegswesen insgemein)120. Jedoch relativiert er dessen aus den antiken Schriftstellern gezogene Argumente sogleich durch eine Wenn-dann-Konstruktion: Wenn das Glück des Menschen in der Rache bestehe, dann sei der Krieg das geeignete Mittel, diesen Zweck zu erreichen; gleiches gelte für den Fall, daß das höchste Gut des Menschen „in Hochheit [= hohem Stand]/Reichthumb/eusserlichen Ehren und grossem Gewalt“ bestehe121.
Man sieht, daß für Grimmelshausen die Gründe zur Rechtfertigung des Krieges eine Konsequenz eines bestimmten, jedenfalls unchristlichen Menschenbildes sind, von dem er sich distanziert. Ernsthafter referiert er – immer nach Garzoni – das Argument aus der Politik des Aristoteles, daß der Krieg zur Verteidigung notwendig und damit gerechtfertigt sei: „vergeblich würde es seyn/das Feld zu bauen/und allerhand Arbeit fürzunemmen/sich zu ernähren und auszubringen/wann man nit auch besondere Leuth hätte/die einen ieden bey dem seinigen wider allen Gewalt und Unrecht beschützten/welchs dan ohn Krieg nicht wohl geschehen mag.“ Ein solcher „gerechter Krieg“: „nit zwar zuer Belaidigung [= Angriff]/sonder zu einer nothwendigen Defension“, sei zugleich aber auch ein geeignetes Mittel, ein Imperium, ja die Weltherrschaft zu begründen, die Tugend der Tapferkeit zu üben, Ruhm und Reichtum oder die Freiheit zu erlangen (Letzteres wird am Beispiel des Schweizer und des Niederländischen Freiheitskrieges exemplifiziert). Aus dieser Wertschätzung des Krieges wird sodann, nicht unlogisch, die traditionell hohe Bewertung der Kriegskunst abgeleitet sowie die Verehrung der Kriegshelden, die sich einen „unsterblichen Namen“ gemacht hätten, – angefangen bei den Helden des Trojanischen Krieges und dem Perserkönig Cyrus bis hin zum bayerischen und kaiserlichen Reitergeneral Jean de Werdt aus dem Dreißigjährigen Krieg122. Grimmelshausen bricht die schier endlose Reihe von traditionellen Vorbildgestalten mit dem von Garzoni übernommenen Seufzer ab, daß sie, „wann man sie nach Gebühr alle nennen sollte/ehender die Feder stümpffer als einesten Gedächtniß müeth machen würden“123. Wie man unschwer erkennt, ist das Garzoni-Referat so angelegt, daß es durchaus auch ironisch verstanden werden kann, da sich das theoretische Argument des scheinbar gerechten Verteidigungskrieges bei der kleinsten Konkretion ins Gegenteil verkehrt.
Die ironische Demontage erhabener Kriegsgründe wird im „Gegensatz“ aus der Perspektive der Opfer drastisch bestätigt und ergänzt“124: „Es scheinet als wan dieser Discurs alIerdinges keines Gegensatzes bedörffe/dieweil im verwichenen Teutschen Kriege ein ieder genugsam/und zwar mit unwiederbringlichem Schaden/erfahren haben wird/was der Krieg sey?“ Die bloße Erinnerung an die Schrecken des Dreißigjährigen Krieges müßte eigentlich genügend Evidenz haben, so der Autor, um die Suche nach Argumenten gegen den Krieg überflüssig zu machen. Doch der Schein trügt; die bewußten „jungen Schnautzhahnen“, „die nur deßwegen gern einen Krieg sehen/weil sie nit wissen was Krieg ist“, nötigen den Autor zu unverdrossener, wenn auch letztlich vergeblicher Warnung vor dieser Verkehrtheit jugendlichen Erfahrungsanspruchs, „damit wan sie etwan (so doch der getreue Gott laııgfristlich verhüten wolle/ihren Närrischen Wundsch erlangen/sie sich beyzeit darauff gefast gemacht haben“125. Damit erhält die oben zitierte Intention des Autors: „mit dem wenigen so ich erfahren/sie sich beyzeit darauff gefast gemacht haben“125. Damit erhält die oben zitierte Intention des Autors: „mit dem wenigen so ich erfahren/meinem Nebenmenschen zu dienen“, einen