Dieter Breuer

Grimmelshausen


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Friedensschriften. Die Suche nach der eigenen Identität ist für Simplicius mit zunehmender Bewußtheit die Suche nach Möglichkeiten eines friedlichen Lebens: Jupiterepisode (III, 3–6), Mummelsee-Episode (V, 12–16), die Reflexionen über die Lebensform der Ungarischen Wiedertäufer (V, 19), Traum vom höllischen Reichstag (Cont. 2–8) führen zu der resignierenden Einsicht, daß auf ein friedliches Zusammenleben der Christen in Europa wie der Menschheit insgesamt nicht zu hoffen ist und ein christliches Leben unter glücklichen Umständen „gantz wunderbarlicher weiß“ nur dem Einzelnen, dem Einsiedler, möglich ist, fernab von der unverbesserlichen Kriegsgesellschaft141. Der christliche Pazifismus des Erasmus ist damit auf seinen Kern, Wunschdenken, reduziert.

      Der erste Anstoß dazu kommt von außen. Auf dem Höhepunkt seiner Kriegsverfallenheit begegnet der „Jäger von Soest“ dem „überstudierten Narren“, der sich einbildet, der auf die Erde herabgestiegene höchste Gott Jupiter zu sein und die Menschen für ihre Laster mit Krieg strafen zu müssen. In dieser erzählerischen Versuchsanordnung wird die herrschende Lehre gleich in zwei zentralen Punkten der satirischen Kritik überantwortet: einmal die Hoffnung, daß der moderne Fürstabsolutismus (auf ihn bezieht sich im Sinne der zeitgenössischen Herrscherpanegyrik die Jupiter-Allegorie142) und sein zentralistisches Staatswesen die Pazifizierung der europäischen Christenheit bringen werde, zum anderen die mit der absolutistischen Herrschaftsauffassung verknüpfte und neu bestärkte theologische Rechtfertigung des Krieges als einer Hauptstrafe Gottes zur Besserung der Menschen. Das Theodizee-Argument, das nicht „ahn sich selbst“, sondern nur für den einzelnen Gläubigen Überzeugungskraft hat, führt nach der bisherigen Lebenserfahrung des Simplicius in Aporien143:

       Ach Jupiter, deine Mühe und Arbeit wird besorglich allerdings umbsonst seyn/[…] dann schickest du einen Krieg/so lauffen alle böse verwegene Buben mit/welche die friedliebende fromme Menschen nur quälen werden; schickestu eine Theurung/so ists ein erwünschte Sach vor die Wucherer/weil alsdann denselben ihr Korn viel gilt; schickestu aber ein Sterben/so haben die Geitzhäls und alle übrige Menschen ein gewonnen Spiel/in dem sie hernach viel erben; wirst derhalben die gantze Welt mit Butzen und Stil außrotten müssen/wenn du anders straffen wilt.

      Bei einem späteren Zusammentreffen mit dem Narren in dessen Heimatstadt Köln, dem Zentrum traditionalistischer Theologie, kurz vor dem Friedensschluß von 1648 muß Jupiter denn auch selbst eingestehen, daß dieses Argument sich ad absurdum geführt hat. Die göttlichen Hauptstrafen haben nicht nur nicht zur Besserung der Menschen geführt, sondern diese noch viel schlimmer gemacht. Krieg und Frieden werden von den Menschen, insbesondere den gemeinen Leuten, auch gar nicht mehr unter dem Aspekt von Strafe und Lohn beurteilt, sondern unter dem Aspekt des materiellen Nutzens144, Jupiters Drohung geht ins Leere. Entsprechend kommt der höllische Reichstag nach dem Friedensschluß von Münster zu dem Resultat, daß für den Teufel Krieg und Frieden in gleicher Weise einträglich seien145: „könnte den Menschen/und zwar den Christen/ein geruhiger Fried/welcher den Wollust auf dem Rucken mit sich bringt/nicht schädlicher seyn als Mars?“

      Damit ist aber nicht nur dem Hauptstrafen-Argument der Boden entzogen, sondern auch dem Friedensappell des Erasmus an die christlichen Fürsten, mit den Mitteln der Politik Frieden zu schaffen. Der Plan zur Pazifizierung der Welt, den Jupiter dem skeptischen Simplicius bei der ersten Begegnung entwickelt, sollte daher als Satire auf die mit dem absolutistischen Staat verbundenen Friedenshoffnungen verstanden werden146. Jupiter entwickelt die Utopie eines zentralistischen deutschen Machtstaats unter einem Führer, dem „Teutschen Helden“, der mit einer Hochenergiewunderwaffe die Herrschaft über die damalige Welt erringt und ein ewiges Friedensreich auf der Basis von sozialer Gleichheit begründet und durch eine vereinheitlichte Staatsreligion ideologisch absichert. Simplicius interessiert sich nicht so sehr für die sozialen und kulturellen Errungenschaften des Plans, sondern veranlaßt Jupiter durch geschickte Fragen, die brutalen Mittel zur Erreichung dieses ldealstaates preiszugeben: der Teutsche Held wird zunächst den Widerstand der alten ständischen Gewalten gegen seine politische Neuordnung Deutschlands und Europas brechen, indem er seinen Gegnern „auff einmal die Köpf herunder hawen“ wird, „also daß die arme Teuffel ohne Köpf da ligen müssen/ehe sie einmal wissen wie ihnen geschehen!“147 Ebenso wird er in den eroberten Gebieten „allen Zauberern und Zauberinnen […] die Köpf herunder hauen“ und auch „alle Mörder/Wucherer/Dieb/Schelmen/Ehebrecher/Huren und Buben auff die vorige Manier umbbringen“, auch diejenigen, die Widerstand leisten, „hinrichten“, gleichfalls die verrucht lebenden Fürsten, während die kriegerischen Fürsten mitsamt allen „Kriegsgurgeln in gantz Teutschland“ ins unterworfene Osmanische Reich deportiert werden sollen. Ähnlich blutrünstig wie die machtpolitischen Probleme werden die religiösen geregelt. Wer die vom „Teutschen Helden“ mit Drohung und Gewalt zustandegebrachte „geläuterte“ Einheitsreligion nicht anzunehmen bereit ist, „den wird er mit Schwefel und Bech martyrisiren/oder einen solchen Ketzer mit Buxbaum bestecken/und dem Plutone zum Neuen Jahr schencken“148.

      Der von Jupiter verkündete starke teutsche Friedensstaat ist folglich ein egalitärer Zwangsstaat der schlimmsten Art. Stärker als andere Utopisten der frühen Neuzeit betont Grimmelshausen den mörderischen Weg zu einer neuen, den „Universal-Frieden der gantzen Welt“ garantierenden politischen Ordnung. Im vorgegebenen Rahmen der politischen Allegorisierung der olympischen Götter ist darüber hinaus auch eine satirische Kritik der an der politischen Neuordnung beteiligten Personen, Fürst und Hofstaat, möglich; Grimmelshausen nutzt diese Möglichkeit, um zu zeigen, daß das politische Reformkonzept schon aufgrund der menschlichen Schwächen von Regent und Hofstaat unrealistisch ist. Simplicius provoziert Jupiter mit den Topoi der moralischen Mythologiekritik; die Olympier hätten bei den Menschen „allen Credit verloren“149:

       du selbst/sagen sie/seyest ein Filtzlausiger Ehebrecherischer Hurenhengst/mit was vor Billichkeit du dann die Welt wegen solcher Laster straffen mögest? […] Mars sey ein Mörder und Rauber; Apollo ein unverschämter Huren=Jäger; Mercurius ein unnützer Plauderer/Dieb und Kuppler/Priapus ein Unflat/Hercules ein Hirnschälliger Wüterich/und in Summa die gantze Schaar der Götter sey so verrucht/daß man sie sonst nirgends hin als in deß Augei Stall logiren könnte/welcher ohne das durch die gantze Welt stinckt.

      Mit einer Kanonade von Verwünschungen über die aufsässigen Menschen, seine Untertanen, bestätigt Jupiter den Verdacht des Simplicius; er droht mit drakonischen Zwangsmitteln; vom Idealstaat seines Teutschen Helden ist nicht mehr die Rede – der Unterschied ist realiter auch nicht groß. Und wenn Jupiter, der allegorische Inbegriff des absoluten Herrschers, schließlich vor den Augen der Soldaten „ohn einige Scham“ die Hosen herunterläßt, um sich seinen Flöhen zuzuwenden, „welche ihn/wie man an seiner sprencklichten Haut wol sahe/schröcklich tribulirt hatten“, dann ist der Anblick dieser bemitleidenswerten menschlichen Jammergestalt zugleich eine Antwort darauf, was von seinem Reformkonzept zu halten sei: nichts. Grimmelshausen desillusioniert die idealistische Selbstüberschätzung der „Götter dieser Welt“ und des absolutistischen Machtstaates als der angeblichen Voraussetzung für Frieden im Innern und nach außen.

      Diese skeptische Einschätzung der menschlichen Friedensfähigkeit unter den konkreten politischen Bedingungen der Zeit wird in der Mummelsee-Episode (V, 10–17) ins Grundsätzliche erweitert. Die Erforschung des Sylphenreiches in der Tiefe des mit allen Gewässern der Erde verbundenen Schwarzwaldsees führt auch in der Frage nach Überwindbarkeit des Krieges ins „Centrum terrae“. Die von Erasmus beschworene naturhafte Friedensordnung, das ergibt sich aus der Befragung des Sylphenprinzen durch Simplicius, ist reklamierbar nur für Lebewesen, die keine Freiheit zur Sünde, keine Wahl zwischen moralisch richtigem und falschem Verhalten haben. Dies trifft für die paracelsischen Sylphen zu, die gemäß ihrem niederen Rang in der göttlichen Schöpfungsordnung (Engel-Mensch-Sylphen-Tier) „keiner Sünd/und dannenhero auch keiner Straff/noch dem Zorn Gottes/ja nicht einmal der geringsten Kranckheit unterworffen“ sind, die in ihrem außermoralischen, nur auf „diese Zeitlichkeit“ beschränkten Status herrschaftsfrei und in Frieden leben können150. Dem Menschen jedoch, der mit einer unsterblichen Seele und Willensfreiheit zu deren Bewährung ausgestattet ist, geht die instinktartige Sicherheit des Verhaltens der Sylphen ab; die Freiheit auch zu sozialschädlichem Verhalten impliziert die Notwendigkeit von Herrschaft und schränkt die Möglichkeit eines friedlichen, herrschaftsfreien Lebens