Anna-Lena Hees

Der Tote auf dem Spielesplatz


Скачать книгу

Der Schock saß dem Pärchen immer noch in allen Knochen. Darüber reden konnten sie gerade nicht. Schweigsam saßen sie im heimischen Wohnzimmer auf dem Sofa. Sie dachten nach.

      »War ‚ne tolle Nacht, was?«, sagte Stefan leise.

      »Sowas von. Mir tut alles weh.«

      »Immer noch?«

      »Ja.«

      »Hm. Na ja. Das wird vergehen. Ich bin sicher. Aber das Oktoberfest war doch nett. Geile Stimmung. Gell?«

      »Ach, dass du noch fröhliche Gedanken hast … Ich kann nur an den jungen Mann denken. Dann berichtet auch noch die Zeitung von dem Fund. Schrecklich!« Isabel schüttelte sich.

      »Ich verstehe dich, Schatz. Wir sollten uns allerdings nicht unterkriegen lassen. Ein paar Mal wird die Polizei noch bei uns auftauchen. Die haben ja unsere Adresse. Wir müssen gerade auf alles vorbereitet sein.«

      »Ich will gar nichts mehr davon wissen.«

      »Du weißt auch so nichts.« Stefan konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Es war ein Glück, dass er nicht laut loslachte. Seine Freundin sah nämlich so aus, als würde sie jeden Moment platzen. Sie war wütend, dass ihr Freund die Sache so locker hinzunehmen schien. »Hör auf zu grinsen, Stefan«, sagte sie auch schon mit recht lauter Stimme. »Wir wissen nichts von dem Toten. Wie er heißt, warum er starb … so was meine ich. Einerseits interessiert es mich. Aber andererseits auch nicht. Ich möchte nicht dauerhaft damit konfrontiert werden. Lass uns bitte über andere Dinge sprechen. Mir reicht es jetzt.«

      »Schon gut, Isa. Ich verstehe dich ja.« Stefan legte einen Arm um Isabels Schultern. Er fühlte mit ihr. Er ahnte, wie es ihr gerade ging. Isabel war weit sensibler als er. Sie konnte den Leichenfund der vergangenen Nacht nur schwer verkraften.

      »Wirklich, Isa«, fuhr Stefan fort, während er über Isabels Haare strich, »wir wissen gar nichts. Aber trotzdem müssen wir für die Polizei da sein, wenn sie kommt und uns Fragen stellt. Tu mir den Gefallen, sei stark. Du warst die ganze Zeit über schon so tapfer. Das finde ich ganz toll.«

      »Danke, Stefan.« Isabel schmiegte sich in seine Arme. Sie konnte es gerade wirklich gut gebrauchen, jemanden wie Stefan an der Seite zu haben. Er baute sie auf und machte ihr Mut. Er war stark, und nichts konnte ihn so leicht aus der Ruhe bringen. Auch kein Leichenfund. Er blickte Isabel in die Augen. Sie hatte schöne, strahlend blaue Augen. Er liebte sie. Sacht drückte er ihr einen Kuss auf den Mund. Isabel schloss die Augen. So ging es ihr gleich viel besser. Nach einer Weile begann sie wieder zu sprechen. »Ich komme nicht darüber hinweg, Schatz«, sagte sie. Dabei schaute sie sich überall um. Gegenüber dem Sofa war an der Wand ein Flachbildfernseher angebracht, darunter stand der Fernsehschrank. Rechts davon waren zwei große Fenster, eines bodenlang, zu sehen. Zu Isabels linker Seite befand sich die Tür, aus der man hinaus in den Hausflur ging. Ans Wohnzimmer grenzte außerdem die Essküche an, die man über eine separate Tür erreichte. Obwohl der jungen Frau die Umgebung doch so vertraut war, hatte sie Angst. Kam da vielleicht noch mehr zu dem Fall?

      »Nimm dir Zeit, Isa. Ich weiß, wie du dich fühlst. Mir sitzt der Schock auch noch in allen Knochen. Trotzdem, der Fund ist schon einige Stunden her. Wir sollten uns wieder beruhigen.«

      »Ja, vielleicht hast du recht.« Isabel nickte. Sie stand auf und wanderte umher. Was sollte sie nun tun? Wie konnte sie sich ablenken? Irgendwie musste es ihr gelingen, auf andere Gedanken zu kommen.

      Im Präsidium der Trierer Kriminalpolizei saßen Ottfried, Sabrina und Hermann in ihrem Büro und überlegten, wie sie nun vorgehen sollten. Sie hatten bereits nach Vermisstenanzeigen gesucht, die Polizeiwachen im gesamten Bundesland abtelefoniert, und weiter versucht, irgendetwas über den Toten herauszufinden. Leichter gesagt als getan. Sie fanden nichts heraus.

      »Irgendwie ist der Fall doch schwieriger als gedacht«, vermutete Hermann. »Sabrina hatte recht, Herr Kommissar.«

      »Das hab’ ich ja gesagt«, platzte es aus Sabrina heraus, noch ehe Ottfried zu Wort kommen konnte.

      »Es wird sich herausstellen«, sagte er. »Aber im Moment scheint ihr beide recht zu haben. Unser Toter wird nicht vermisst. Wir wissen nicht einmal, woher er überhaupt kommt. Von den Kollegen im Land weiß auch keiner was. Es ist rätselhaft.«

      »Eben!« Sabrina nickte immer wieder hektisch.

      »Wir müssen mal abwarten, was wir aus der Gerichtsmedizin hören«, sagte Hermann, um den Kollegen wieder Mut zu machen. »Wir dürfen nicht aufgeben.«

      »Das käme so oder so nicht in Frage«, brummte Ottfried. Er widmete sich schlagartig weiteren Recherchen zum vorliegenden Fall. Schließlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, lachte er laut auf. »Hahaha! Ihr ahnt es nicht, Sabrina und Hermann. Ich habe gerade ein Facebook-Profil gefunden.«

      »Echt? Von wem?« Hermann wurde hellhörig.

      »Ich nehme an, es gehört ihm.«

      »Dem Toten?«

      »Genau. Sein Profilbild zeigt einen jungen Mann, der genauso aussieht wie der Tote auf dem Spielesplatz. Kurzes, dunkles Haar, schmales Gesicht, ein Stoppelbärtchen. Wir haben ihn ja gesehen, Hermann.« Ottfried nickte bekräftigend.

      »Na, so etwas! Und, steht auch ein Name dabei?«

      »Ja. Es handelt sich um einen Tobias Winter. Ich sehe auch gerade, dass er von weiter herkommt. Ruhrgebiet.« Der Kommissar studierte das Profil mit größter Sorgfalt.

      »Dann müssen wir uns im Ruhrgebiet umsehen«, rief Sabrina. »Eventuell finden wir da seine Verwandten. Falls er welche hat.«

      »Sicher. Ich telefoniere mal rum.« Schon griff Ottfried zum Hörer. Er telefonierte alle möglichen Meldeämter im Ruhrgebiet ab, um herauszufinden, in welcher Stadt Tobias Winter tatsächlich gemeldet war. Zunächst schien niemand etwas zu wissen. Aber dann hatte der Kommissar doch Glück: er erfuhr, dass Tobias vor etwas mehr als einem Jahr noch in Dortmund gewohnt hatte, dann aber nach Trier gezogen war, um dort seine Ausbildung als Automobilkaufmann zu beginnen. Lediglich seine Schwester wohnte noch in Dortmund. Ottfried fragte nach Namen und Telefonnummer. Schließlich musste er die Schwester des Toten umgehend kontaktieren.

      Nach dem Telefonat schaute er seine Kollegen triumphierend an. »Wir kommen voran.«

      »Super!« Sabrina klatschte in die Hände. »Ich wusste ja, dass wir im Ruhrgebiet nachforschen müssen.«

      »Aber ...«, ergriff Hermann zögerlich das Wort, »hätten das nicht die Kollegen dort machen können? Sind sie nicht zuständig?«

      »Es wird schon alles richtig sein«, gab Ottfried zurück. Er wusste natürlich, dass die Kollegen in Dortmund sich darum kümmern und Tobias‘ Schwester kontaktieren sollten, aber nun hatte er die Sache in der Hand. Er ermittelte zusammen mit Sabrina und Hermann im Fall des toten Tobias Winter, also wollte er auch dessen Schwester informieren. »Ich werde sie anrufen müssen. Wenn wir sie nicht erreichen, schicken wir die Kollegen aus Dortmund zu ihr. Sie wird so oder so vom Tod ihres Bruders erfahren müssen.«

      »Gut, dann machen Sie das. Wie heißt sie denn, wenn ich nachfragen darf?« Hermann schaute Ottfried fragend und herausfordernd zugleich an.

      »Elena Winter, mehr verrate ich euch aber nicht. Die Daten, die ich bekommen habe, müssen streng vertraulich behandelt werden. Sie dürfen nicht in falsche Hände geraten.«

      »Das ist logisch.« Hermann nickte knapp. Er schaute zu, wie der leitende Kommissar den Telefonhörer erneut in die Hand nahm und Elena Winters Nummer wählte. Eine Weile schien sich nichts zu tun. Dann meldete sich eine weibliche Stimme, die allerdings so gar nicht zu Elena Winter passte. Die Frau hatte eine sehr raue und alt klingende Stimme. Es schien sich, der Stimme nach zu urteilen, um eine etwa 60 Jahre alte Frau zu handeln, die sich gemeldet hatte.

      Ottfried stellte sich vor: »Guten Tag, Kriminalhauptkommissar Ottfried Braun von der Kriminalpolizei Trier. Spreche ich mit Elena Winter?«

      »Nein, mit der Putzfrau. Was gibt’s?«, fragte die Dame.

      »Ist