Peter Gerdes

Sand und Asche


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nicht, dass man es gleich auf zwei Schritt Entfernung wittern könnte.

      Oder etwa doch? Er hatte mal irgendwo gelesen, dass die Nase nur fremde, unbekannte Gerüche ans Gehirn weitermeldete. Ein Relikt aus der menschlichen Frühgeschichte: Neues bedeutete entweder Beute oder Gefahr, also Angriff oder Flucht, fressen oder gefressen werden. Bekannte Gerüche waren weder vielversprechend noch gefährlich und wurden unterdrückt. Angeblich funktionierte das Riechorgan heute noch so. In dem Fall konnte es natürlich sein, dass er für andere Leute tatsächlich etwas raubtiermäßig …

      Er schaute nach vorne, in das Schaufenster, vor dem er stand. Damenunterwäsche, Übergrößen. Aha, deswegen. Dann war das mit seinem Körpergeruch also wohl doch nicht so schlimm.

      Der Mann, den er observierte, stand immer noch vor dem Kiosk, offenbar unschlüssig, welches Hochglanzmagazin er nun kaufen sollte. Mats Müller fragte sich, ob er seinen Standort wechseln sollte. Vielleicht gab es ja nebenan eine männergerechtere Auslage. Obwohl, was war in dieser Hinsicht gegen Damenunterwäsche einzuwenden?

      Außerdem schien er ja nicht der einzige Mann zu sein, der sich für so etwas interessierte. Im Schaufensterglas sah er nämlich, dass sich gerade gleich zwei recht männlich aussehende Gestalten neben ihm aufbauten, die eine rechts, die andere links. Eine mittelgroß und schmächtig, die andere deutlich größer. Breitschultrig, massig, stoppelhaarig. Verdammt.

      Hauptkommissar Stahnke legte seine schwere Linke auf Mats Müllers schmuddelige Trenchcoat-Schulter. »Thou art the man«, zischte er ihm ins Ohr.

      »Was?« Der Privatdetektiv zuckte zusammen. »Wieso Sau?« Er schnüffelte erneut, dann protestierte er: »Ich muss … Sie dürfen doch nicht … meine Arbeit! Wissen Sie, ich bin gerade …«

      »Wissen wir«, unterbrach ihn Stahnke knurrend. »Sie observieren gerade das arme Würstchen, das sich an dem Kiosk da vorne eine neue Wichsvorlage kauft. So plump, wie Sie das machen, weiß das doch jeder! Was hat der Typ denn Schlimmes getan? Seiner Schwiegermutter den Rasierapparat geklaut?«

      »Eduard Münzberger, Prokurist bei Weise-Papier«, murmelte Kramer, während er seine Augen scheinbar nicht von einer hautfarbenen Korsage in Killerwalgröße lassen konnte. »Seine Schwiegermutter rasiert sich nicht. Wer die Frau schon mal gesehen hat, weiß das.«

      »Ja, aber … wie können Sie … woher?« Mats Müller schnappte nach Luft.

      »Da staunen Sie, was?« Stahnkes Hand rutschte abwärts und schob sich unter Müllers Ellbogen. »Wir sind eben Profis. Und als Profi müsste ich mal dringend mit Ihnen reden.«

      »Das geht nicht! Was wird mit Münzberger?« Mats Müllers Augen waren kugelrund. Offenbar nicht nur aus Angst vor einer abgebrochenen Observation.

      »Keine Sorge. Kollege Kramer übernimmt so lange«, flüsterte Stahnke. »Jede Wette, das merkt Ihr Objekt bestimmt nicht.«

      »Höchstens, weil er sich plötzlich so unbeobachtet fühlt«, ergänzte Kramer. Sein Gesicht, das sich in der Schaufensterscheibe widerspiegelte, drückte nichts als heiligen Ernst aus. Stahnke beneidete seinen Kollegen sehr um diese Fähigkeit. Vermutlich hatte er so auch Venemas Büroleiterin dazu gebracht, Mats Müllers Namen herauszurücken.

      Dann war Kramer plötzlich weg. Spurlos verschwunden. Noch so eine beneidenswerte Eigenschaft.

      »Kommen Sie«, sagte Stahnke, »ich geb einen aus.« Er verstärkte seinen Ellbogengriff, ehe er ergänzte: »Einen Kaffee.«

      Sie fanden einen freien Tisch vor einem der Eiscafés in der Mühlenstraße. Ein Glücksfall, denn obwohl es zwar schön sonnig, aber noch nicht so richtig sommerwarm war, waren überall die Freiluftsitzgelegenheiten schon sehr gut ausgelastet. Zum Grand Café oder zu den Schönen Aussichten wäre Stahnke nur ungern ausgewichen, denn zwischen Denkmalsplatz und Hafen wimmelte es am letzten Schultag vor den großen Ferien nur so von betrunkenen Schülern.

      Mats Müller hantierte betont umständlich mit seinem Latte macchiato, als wollte er Zeit schinden. Nicht einmal das kann er geschickt verbergen, dachte Stahnke mehr mitleidig als geringschätzig. Er wusste, dass viele seiner ehemaligen Kollegen, die vom polizeilichen Stress und Frust irgendwann einmal die Nase voll gehabt hatten, heute als Objekt- oder Personenschützer oder eben als Private eye arbeiteten. Die wenigstens hatten diese Entscheidung aus Abenteuerlust gefällt; meist war ihnen gar nichts anderes übrig geblieben.

      Dieser Müller freilich war ein Sonderfall. Er kam nicht aus dem Polizeidienst, sondern aus dem Strafvollzug. Schon nach wenigen Jahren in der JVA Oldenburg hatte ihn seine eigene Gier zu Fall gebracht. Seine Bestechlichkeit war ebenso legendär wie hemmungslos; gegen entsprechendes Entgelt war bei ihm praktisch alles zu bekommen. »Vorteilsnahme im Amt« nannten Juristen so etwas. Die aber waren in Mats Müllers Fall nicht zum Zuge gekommen. Die Oldenburger Kollegen hatten es vorgezogen, Müller durch energischen Druck zum Abschied zu bewegen, und ersparten es ihm damit, seine Laufbahn, die hinter Gittern begonnen hatte, auch hinter Gittern zu beenden.

      Kaum zu fassen, dass einer wie Venema einen wie Müller engagierte, dachte Stahnke. Aber der Hinweis stammte aus sicherer Quelle.

      Also brauchte auch nicht lange um den heißen Brei herumgeredet zu werden. »Sie haben im Auftrag des Reeders Kay-Uwe Venema dessen Tochter Stephanie observiert«, sagte Stahnke. »Sie wissen, dass Ihre berufliche Zulassung am seidenen Faden hängt. Uns liegen mindestens zwei Anzeigen wegen Hausfriedensbruchs gegen Sie vor, die zwar beide von den Antragstellern zurückgezogen wurden, was uns aber natürlich nicht daran hindert, von Amts wegen tätig zu werden, wenn wir das für richtig halten. Sie werden mir also alles sagen, was Sie über diese Stephanie rausbekommen haben, und zwar gleich, und wenn Ihnen später noch etwas einfällt, dann eben auch später. Das, oder Sie sind raus aus dem Geschäft. Bedenkzeit entfällt. Los jetzt.«

      Mats Müller setzte seine Tasse ab. Auch ohne den Milchschaum in seinen Bartstoppeln wäre er eine traurige Witzfigur gewesen. Immerhin aber schien er in der Lage zu sein, eine Entscheidung zu fällen.

      »Venema leidet unter Paranoia, was seine Tochter betrifft«, sagte er leise. »So einer ist für unsereins eine Goldgrube. Jeder andere hätte schon nach einem ersten Bericht auf jede weitere Observation verzichtet. Aber der nicht. Alle paar Wochen klingelt der bei mir durch. Da fühlt man sich fast wie fest angestellt.«

      »Kann mich gar nicht erinnern, nach Ihrem Befinden gefragt zu haben.«

      Mats Müller ging mit keiner Miene auf Stahnkes Einwurf ein. »Stephanie ist ein echt sauberes Mädchen«, fuhr er fort. »Anständig, intelligent, gutes Benehmen, richtig nett. Allgemein beliebt. Altersgemäße Kontakte, auch viele davon. Aber wenige enge. Die habe ich alle überprüft. Ein Mädchen ist darunter, das Gras raucht, einer der Jungs hat schon mal geklaut, einer kloppt sich manchmal in Diskos herum. Kleinigkeiten, wenn Sie mich fragen. Und Stephanie weiß nicht einmal etwas davon. Sie trinkt auf Feten manchmal ein Glas Wein, und wenn andere betrunken sind oder bekifft, geht sie nach Hause.« Müller seufzte theatralisch: »Ich wollte, ich hätte so eine Tochter.«

      Ich auch, dachte Stahnke. Laut sagte er: »Sie haben doch überhaupt keine Kinder.«

      »Eben«, sagte Mats Müller. Mit Schwung leerte er sein Kaffeeglas. Eine blassbraune Perle blieb in seinem Mundwinkel hängen. Er schien es nicht zu bemerken.

      »Nur in einem Punkt hat sie gelogen«, sagte er dann.

      Stahnke hob auffordernd die Brauen.

      »Sie hat einen Freund«, fuhr Mats Müller fort. »Seit gut zwei Monaten. Mit dem trifft sie sich regelmäßig. Ihr Vater weiß nichts davon.«

      »Warum tut sie das?«, fragte Stahnke. »Ich meine, warum die Heimlichtuerei? Ist das Verhältnis zu ihrem Vater also doch nicht so vertrauensvoll?«

      »Doch, ist es«, sagte Müller. »Fast schon unnormal eng, wenn man bedenkt, wie sich andere Mädels in diesem Alter so aufführen. Aber Papa Venema neigt zu hochgradiger Kontrolle. Einer wie er will alles bestimmen. Na, und es gibt eben Dinge, in die will man sich einfach nicht reinreden lassen.«

      »Aber warum versteckt sie sich? Hat sie Angst vor einer Konfrontation?«