Cedric Balmore

Einäugige Killer: 5 klassische Krimis


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werde den Mörder meiner Tochter finden und bestrafen. Sie müssen sich verdammt beeilen, wenn Sie mir dabei zuvorkommen wollen — und jetzt möchte ich mich verabschieden. Guten Tag, meine Herren.«

      Er stand auf und ging zur Tür. Er verließ den Raum, ohne sich nochmals umzudrehen.

      »Was für ein Tag!« meinte Gardner und setzte sich auf das andere Ende des Sofas. »Was soll ich jetzt bloß machen? Was kann ich tun, um Liz zu retten? Das arme Ding stirbt sicherlich vor Angst.«

      »Parrish wird nicht wagen, sie anzurühren«, sagte ich. »Ich glaube nicht mal, daß er Norwich niedergeschossen hat.«

      Gardner blickte mich fragend an. »Sie haben Ihre Meinung geändert?«

      »Das passiert oft in meinem Beruf. Hauptsache, die Richtung stimmt, wenn die Anklage zurechtgezimmert wird. Warum haben Sie mich belogen, Chum?«

      »Das habe ich Ihnen doch erklärt«, sagte er mürrisch. »Ich wurde von Parrish dazu gewungen.«

      »Das meine ich nicht… Ich spreche von dem, was geschah, während ich ohnmächtig’war. Warum ist Price hergekommen? Hat er Sie unter Druck gesetzt?«

      »Nein«, sagte Gardner. »Sie haben ja gehört, was er von mir wollte.«

      Ich verabschiedete mich und ging. Als ich die Straße betrat, war der Dodge verschwunden. Der Junge, dessen Auskünfte ich mit fünfzig Cent belohnt hatte, kam grinsend auf mich zu. »Haben Sie den Mann gefunden, Mister? Ich habe ihn gesehen. Er ist mit Chums Biene weggefahren. In einem roten Dodge.«

      Ich nickte. »Hast du auch den anderen Mann gesehen?« fragte ich. »Er trug einen beigefarbenen Anzug.«

      »Den reichen Pinkel?« fragte der Junge. »Klar, er war mit einem Taxi hier.«

      »Allein?«

      »Ganz allein, der Taxifahrer mußte auf ihn warten.«

      »Hast du den Mann schon mal hier gesehen?«

      »Nein, noch nie.«

      Ich nickte und kehrte zu meinem Jaguar zurück. Ken Price ohne Gorillas! Dahinter steckte etwas. Ich begann ein paar Zusammenhänge zu ahnen, aber das Bild wurde dadurch nicht deutlicher. Es war, als sähe ich es durch ein falsch eingestelltes Prismenglas, unscharf und verschwommen.

      In der Einfahrt, wo mein Wagen stand, schimpften ein paar Männer herum, denen mein Jaguar im Wege stand. Ich entschuldigte mich und fuhr los. In der nächsten Parklücke machte ich halt.

      Ich gab ein Rundtelegramm auf, das Hugh Parrish und seinen roten Dodge betraf. Dann sprach ich mit Milo. Ich berichtete ihm von dem, was sich in Jack Gardners Atelier zugetragen hatte. »Sorge bitte dafür, daß Norwich’ Vorzimmerdame ein Foto von Hugh Parrish vorgelegt bekommt«, sagte ich. »Ich muß wissen, ob er der Täter war.«

      »Ich fahre sofort hin«, versprach mir Milo.

      »Nicht sofort«, bat ich ihn. »Kratz ein paar Informationen über ihn zusammen und laß sie mich wissen. Ich brauche seine Adresse.«

      Drei Minuten später hatte ich die gewünschte Auskunft. Hugh Parrish war nach seiner Entlassung aus Sing-Sing in die Greenpoint Avenue gezogen. Die Straße lag im Stadtteil Queens. Auf meiner Fahrt dorthin telefonierte ich mit dem für Parrish zuständigen Polizeirevier. Er hatte sich dort wöchentlich zweimal melden müssen und war dieser Pflicht korrekt nachgekommen.

      »Hat er ein Mädchen?« fragte ich den Sergeant, mit dem ich telefonierte.

      »Brokat-Lilly — aber ich glaube nicht, daß das etwas Ernstes ist.« .

      Ich ließ mir die Adresse des Girls geben und stoppte um siebzehn Uhr fünfzig vor dem Haus Greenpoint Avenue Nummer 137. Es war eine triste Mietskaserne aus den vierziger Jahren. Parrish’ Wohnung lag in der dritten Etage. Ich war nicht überrascht, daß auf mein Klingeln niemand öffnete. Als ich das Haus verließ, entdeckte ich auf der anderen Straßenseite einen Revierdetektiv, den ich kannte. Ich sprach ihn an und erfuhr, daß er vor einer Minute eingetroffen war, um Parrish’ Domizil im Auge zu behalten. Mein Rundtelegramm zeigte seine ersten Auswirkungen.

      Ich fuhr zu Brokat-Lilly. Ihr voller Name war Lilly Tanner. Sie war ein Tingeltangelgirl, das stets irgendeinen heruntergekommenen Freund betreute. Sobald sich die Objekte ihrer Betreuung erholt hatten, hörte das Mädchen auf, sich für sie zu interessieren.

      Brokat-Lilly wohnte in der Jackson Avenue, nur ein paar Fahrminuten von Parrish’ Wohnung entfernt. Als ich bei ihr klingelte, öffnete sie mir die Tür in einem Mini rock, dessen Kürze selbst bei einem jüngeren Mädchen Aufsehen erregt hätte. Brokat-Lilly hatte tadellose Beine, aber ihrem Gesicht war anzusehen, daß sie ihre Nächte nur dann im Bett verbrachte, wenn sie meinte, ihrer Rolle als Trösterin gerecht werden zu können.

      Lilly Tanners Wohnzimmer sah aus, als hätte sie sich von jeder Spielzeugpuppe einen Prototyp gekauft. Sie saßen überall herum, in allen Größen. Sie saßen auf dem Sofa, auf der Kommode, auf den Stühlen und Sesseln, sogar auf dem Fernsehapparat und auf einer Stehlampe.

      »Ich suche Hugh«, sagte ich knapp. »Welchen Hugh?«

      »Hugh Parrish.«

      »Bin ich etwa sein Kindermädchen?« schnarrte Broka.t-Lilly.

      Die Fürsorge, die sie ihrem jeweiligen Freund entgegenbrachte, erstreckte sich nicht auf Fremde. Brokat-Lilly war ebenso bekannt für ihre scharfe Zunge.

      »Er hat ein Ding gedreht und befindet sich jetzt in Gefahr«, sagte ich. »Ich muß ihn warnen.«

      »Sie sehen eher so aus, als wollten Sie ihn hoppnehmen«, höhnte Brokat-Lilly. Sie hatte tizianrot gefärbtes Haar und ein Make-up, das abrupt am Hals endete und ihrem Gesicht etwas Maskenhaftes gab.

      »Vielleicht stimmt das sogar«, sagte ich, »aber ich finde, daß er bei den Behörden besser aufgehoben sein wird als im Jenseits.«

      »Wer will ihm denn an den Kragen?« fragte das Mädchen.

      »Das möchte ich ihm gern selber mitteilen. Wo finde ich ihn?«

      »Keine Ahnung«, sagte das Mädchen. »Hauen Sie ab. Los, gehen Sie!«

      Ich zuckte mit den Schultern und verschwand. Dann setzte ich mich in meinen Jaguar und wartete. Meine Rechnung ging auf. Brokat-Lilly erschien knapp drei Minuten später auf der Straße. Sie schaute sich nach links und rechts um, dann kletterte sie in einen älteren Metropolitan. Ich wartete, bis sie sich mit dem Wagen in den Fahrzeugstrom eingeordnet hatte, und folgte ihr mit meinem Jaguar.

      Zehn Minuten später stoppte das Mädchen im nördlichen Brooklyn vor einem abbruchreifen Haus. Ich schaffte es gerade noch rechtzeitig, den Jaguar in eine Hauseinfahrt zu lenken. Als ich ausstieg und die Straße betrat, hatte Brokat-Lilly bereits ihren Wagen verlassen.

      Ich bummelte die Straße hinab und blieb vor dem Haus stehen, in dem ich das Girl vermutete. Im Erdgeschoß wurde eine Wäscherei betrieben. Die Fenster der darüberliegenden vier Etagen waren gardinenlos und leer. Einige davon waren zerbrochen. Ich betrat den Hausflur, der von dem Dunst und dem Geräusch einiger Wäschereimaschinen erfüllt war.

      An der nach oben führenden Treppe war eine Absperrung befestigt, ein dicker Strick, an dem ein Schild mit der Aufschrift »Betreten verboten« hing. Darunter, etwas kleiner, war zu lesen, daß das Haus baufällig war und vor dem Abbruch stehe.

      Noch während ich das Schild musterte, ertönte ein Schrei. Er war schrill und hysterisch und erreichte eine Höhe, die ihn umkippen ließ. Es war ein Schrei, der von Grauen und Entsetzen geprägt wurde. Ihm folgte ein Wimmern. Dann war Stille.

      Ich schwang mich über den Strick und hastete die Treppe zum ersten Stockwerk hinauf. Die Türen zu den Wohnungen waren bereits ausgehängt. Auf dem Boden lag Unrat. Ich durchkämmte die einzelnen Wohrträume, ohne jemanden zu finden. Ich sprintete in die zweite Etage. Als ich das leise Wimmern hörte, stoppte ich, aber nur eine Sekunde, dann folgte ich dem Geräusch.

      Durch