hatte (PFAFFENZELLER 2016), (HARRER 1988).86, 87 Immer dann, wenn ein natürlicher Vorgang Aufmerksamkeit auslöste, der auch »mit Händen und Füßen« nachgemacht oder herbeigeführt werden konnte, lag in diesem Gesehenen ein »Urmuster« für eigenes Tun. Nur wenige Beispiele mögen das belegen:
Das Hineinblasen in die schwach glimmende Glut erzeugt die gesehene Wirkung starker Winde, und das Löschen von Flammen mit Wasser hatte u. a. der Regen vorgemacht. Sicher nicht zuletzt deswegen verlagerte Homo sein Lagerfeuer vorzugsweise unter Felsüberhänge (Abris) oder in Höhlen (so diese vorhanden waren), wodurch er als »Mitnahmeeffekte« die Erwärmung des Raumes (und die Wärmespeicherung der Wände) und das Abplatzen von Gesteinsflächen (bei extremer Feuerwirkung) beobachten konnte (HARRER 1988).88 Ein umgestürzter Baum überbrückte eine gefährliche Stromschnelle und regte eine Holzüberquerung da an, wo der Weg sonst zu Ende gewesen wäre; ein im Wasser treibender Stamm war das Vorbild des Einbaums. Josef REICHHOLF vermutet sogar, dass die Frühmenschen das Aufschlagen von Röhrenknochen und Schädelkalotten von zwei Geiertypen abgeschaut haben könnten: von den Bartgeiern, die Knochen aus der Luft über Felsen abwerfen, um nach dem Zersplittern an das Mark zu gelangen und den Schmutzgeiern, die mit Steinen im Schnabel Straußeneier aufschlagen (ihre Schnäbel wären dazu nicht hart genug) (REICHHOLF 2008).89 Homo habilis wird nach diesen Beobachtungen faustkeilartige Steine (Chopper) verwendet haben. Schließlich haben u. a. Lavaströme im ostafrikanischen Grabenbruch gezeigt, wie Steppenbrände entstehen und welche Folgen diese für ihren Lebensraum hatten: verkohlte Landstriche, heiße Steine und Böden, verendetes Getier, denaturierte Knollen im Boden. Dies alles lieferte ein ganzes Bündel beobachtbarer Effekte, die allesamt mit Feuer in Verbindung stehen. Für den gezielten manuellen Einsatz von Feuer als »ernergetisches Werkzeug« (eine kognitiv anspruchsvolle Ebene der Anwendung von Beobachtetem) waren vermutlich jedoch nicht die verheerenden Steppenbrände entscheidend, sondern vielmehr der dauernde Kontakt an kleineren Feuerstellen: den Lagerfeuern.
3.3 Der Fellverlust zwang zum Aufenthalt am Lagerfeuer
Der Aufenthalt am Lagerfeuer war für die in der Savanne lebenden HomoSpezies spätestens nach dem Verlust ihrer Körperbehaarung notwendig geworden, da die nächtlichen Temperaturen von etwa 10°C bis 12°C ihnen zu kühl gewesen sein mussten. Nächtliche Lagerfeuer wurden deshalb zur zentralen Existenzsicherung. Deren Wärmestrahlung sorgte aber nicht nur für wohlige Wärme, sondern wirkte auch auf erbeutetes Fleisch, wenn dieses (ohne Felldecke) nahe an der Glut lag: die Oberfläche begann stellenweise zu rösten und inneres Muskelgewebe zu denaturieren. Genau hier lag die für die Entwicklung von Gartechniken alles entscheidende Erfahrung: Diese Stellen waren aromatisch auffällig, sie schmeckten besser (!) als rohes Fleisch (dazu: Der Tagesspiegel 2015). Die dafür notwendige Prozessdauer (die u. a. mit dem Abstand zur Glut variiert), wurde aus unzähligen Lagerfeuererfahrungen verinnerlicht. Das Produktziel, schmackhafteres Fleisch, war ohne Wartezeit (ein Aspekt der Impulskontrolle) nicht zu erreichen – eine unhintergehbare Notwendigkeit.
Neben dem Hauptfaktor Feuer90 waren für das Entstehen und die Entwicklung von Vor- und Zubereitungstechniken eine Vielzahl weiterer Naturbeobachtungen und Erfahrungen vorausgegangen: Der häufige Umgang mit Wasser ließ Quellvorgänge erkennen; ebenso Trocknungseffekte und deren Auswirkung auf das Aroma (besonders bei Pflanzen oder süßen Früchten), wenn diese länger lagerten. Auch lernte Homo, Verdorbenes und Giftiges rechtzeitig u. a. am Duft zu erkennen – zu riechen war stets ungefährlicher als zu probieren. Ein weiterer bedeutender Schritt war die Entdeckung der »Wasser-Aromatisierung« und die Möglichkeit, »neue« Aromen durch Rohstoffkombinationen (insbesondere auch in Flüssigkeiten) herzustellen. All diese Beobachtungen zusammen bildeten den praktischen und kognitiven (durch Erfahrungslernen erworbenen) Hintergrund für den gezielten Umgang mit Nahrung, den wir heute als »Kochen« bezeichnen.
3.4 Der Faktor Wasser
Homo erectus lebte, wie erwähnt, in wildreichen, savannenartigen Gebieten des ostafrikanischen Hochlands und, besonders während der trockenen Jahreszeit, am Ufer flacher Gewässer (LEAKEY 1980). Das sicherte nicht nur den täglichen Süßwasserbedarf, sondern hier gab es auch viel zu beobachten und wohl auch die Möglichkeit, Tiere in Wassernähe zu erlegen (LEAKEY 1980).91 Was sich über viele Jahrhunderttausende an solchen Wasserstellen tagein, tagaus zugetragen hat, ist für unsere Überlegung nachrangig. Die ältesten Steinwerkzeuge, mit denen Homo erectus Tierkörper zerlegte und Röhrenknochen zerschlagen hatte, wurden am Turkanasee (früher Rudolfsee) in Kenia gefunden.92 Dass er der erste Primat war, der sich auch von Großtieren ernährte, gilt inzwischen als unstrittig (REICHHOLF 2008).
Hintergrundinformationen
Gejagt hat er aber überwiegend in der Weite des Landes, in der es eine Megafauna von Säugetieren in unvorstellbarem Ausmaß gegeben haben muss. Reichholf begründet diesen Sachverhalt mit der Evolution der Geier, die selbst nicht jagen und völlig von der Verfügbarkeit toter Tiere abhängig sind, die es deshalb in Hülle und Fülle geben haben muss. Dass Homo bei der Jagd erfolgreich war, hängt unter anderem mit seiner Fähigkeit zu schnellem Lauf (Sprint) und Dauerlauf zusammen. Nur wer zuerst am frisch verendeten Tier war, konnte sich mit einigen guten Fleischstücken versorgen und sie mit zur Gruppe bringen, bevor andere Großtiere auftauchten. Reichholf vermutet, dass wir deshalb den Sieger bei Wettläufen so bewundern; auch habe sich unser Rechtsempfinden aus dem »Wer-war-zuerst-da«? entwickelt, das das »Recht des Stärkeren« in der Gemeinschaft in Bezug auf den Zugriff von Nahrung ablöste (REICHHOLF 2008; S. 111).
Für unsere Überlegungen zum Faktor Wasser sind vor allem die Lagerplätze in Wassernähe bedeutsam. Da sich Homo erectus nicht ausschließlich von Fleisch ernährte, sondern regelmäßig die Gebiete auch nach nahrhaften Pflanzen, Nüssen, Früchten und stärkereichen Knollen absuchte, wird er dieses Sammelgut auch mit ans Ufer getragen haben. Zufällig (oder aus anderen Gründen) sind Knollen ins flache Wasser geraten, deren anschließender Verzehr das Mundgefühl verbesserte: Sie waren weniger sandig.93 Diesen »Wasser-Reinigungseffekt« gab es sicher auch, wenn starke Regenfälle auf frei liegende Wurzeln und Knollen niedergegangen waren. Der verbesserte sensorische Wert, das angenehmere Mundgefühl, war (und ist) der Impuls, Erdanhaftungen stets zu entfernen (womit zugleich anhaftende Keime mit abgespült werden). Gleiches gilt noch heute, wenn wir Obst, Kartoffeln und Gemüse mit viel Wasser säubern. Es war sicher nur eine Frage der Zeit, bis sich das Reinigen mit Wasser als wiederkehrende, regelhafte »Vorarbeit« etabliert hatte (dazu: CARPENTER 1967, wiss. Film).94 So kamen Rohstoffe nun wiederholt mit Wasser in Berührung, was zu weiteren Beobachtungen führen sollte: Z. B. wurden (an)getrocknete Pflanzen,95 Knollen, Wurzelteile oder Körner, die länger im Wasser gelegen hatten, weicher und saftiger.
3.4.1 Wasser macht quellfähige Rohstoffe weich und saftig
Die Empfindungen 'weich' und 'saftig' signalisieren dem Organismus vorteilhafte Nahrungseigenschaften und werden präferiert (LOGUE 1995). Trockene und harte Substanzen erfordern intensives energieverbrauchendes Kauen und haben eine ungünstigere »Aufwand-Nutzen-Bilanz«.96 Nahezu alle höheren Lebewesen verfügen bei der Wahl ihrer Nahrung über biologische Kontrollmechanismen für Nahrungseffizienz, deren genetische Basis weit in die Anfänge ihrer Evolution zurückreichen. Auf diese Weise werden, wie bereits erwähnt, optimale Nahrungseigenschaften erkannt und langes Kauen auf wertlosen (nährstoffarmen) Anteilen vermieden.
Die moderne Kochkunst steckt voller Techniken, die unsere Rohstoffe weich, saftig und locker (luftig) machen. Gegartes Fleisch muss zart und saftig sein, um uns besonders zu gefallen. Nur Gemüse soll(te) nach heutigem Verständnis noch einen »Biss« haben (was fälschlicherweise mit höheren Nährstoffanteilen assoziiert wird – aber nur vollgares Gemüse kann vom Organismus optimal ausgewertet werden; POLLMER; WARMUTH 2002). Vollgares Gemüse ist nicht mehr »knackig«, hat keinen »Biss«, sondern einen weichen, rohstoffspezifischen Kauwiderstand. Welche Nahrungseigenschaften für den Organismus vorteilhaft sind, entscheidet nicht der Verstand, sondern unterliegt