Eine vergleichende Genomanalyse zwischen Mensch und Schimpansen zeigt, dass sich die Aktivität ihrer Gene und Proteinbiosynthese im Gehirn – besonders bei den synaptischen Anlagen – deutlich unterscheidet. Auch ist das Wachstum des Gehirns bereits beim menschlichen Fötus (also schon im Mutterleib) größer als beim Fötus der Schimpansen. Zur Entwicklung eines größeren Gehirns trugen vermutlich auch zwei Gen-Inaktivierungen (durch Mutation) bei. Eins, das bei Säugern für die kräftige Muskulatur im Kieferbereich verantwortlich ist.58 Diese war für eine gekochte, weichere Nahrung nicht mehr erforderlich. Nach HANSELL J. STEDMANN besteht ein zeitlicher und funktioneller Zusammenhang zwischen der Rückbildung der Kaumuskulatur und dem Beginn der Gehirnvergrößerung. Der zweite Genverlust betrifft einen DNA-Abschnitt für jene Enzyme, die beispielsweise bei Affen dafür sorgen, überschüssige (nicht mehr benötigte) Neurone wieder abzubauen, die im Laufe der frühen Gehirnentwicklung gebildet werden. Auf diese Weise blieben Neuronen vermehrt vorhanden, die das o. g. Gehirnwachstum (mit) begründen (RENO 2018).
Nur, wo genau liegt der Zusammenhang zwischen geistigen Leistungen und handwerklichem Können? Wird überhaupt – wie im Fall des Kochhandwerks – zur Geschmackshebung Intelligenz benötigt? Nasen- und Zungenreize werden intelligenzunabhängig erfahren, und sensorische Effekte folgen genetischen Programmen, die sich in archaischen Zeiten als vorteilhaft erwiesen haben – und deshalb in der DNA encodiert sind. Handwerkliches Können basiert überwiegend auf motorischen Fähigkeiten, die durch Training verbessert werden (können). Mehr noch: Schmeckt uns etwas, das bisher unbekannt war, reagieren unsere Sinne – nicht aber der Verstand.
Der Verstand ist aber am Erfassen und Erinnern von Geschmackseindrücken (Objektmerkmalen), der Fundstelle und Erreichbarkeit dieser Nahrung stets beteiligt; auch der räumliche und zeitliche Aufwand einer Wegstrecke (lohnen sich die Anstrengungen?) wird von ihm erfasst.59 (OSTERKAMP 2014) Der Verstand »wägt ab«, bevor er den Organismus in Aktion setzt. Dabei gilt: Je höher der sensorische Wert, je wertvoller die Nahrung, desto mehr Aufwand ist er bereit zu investieren.60 Die leckersten Früchte hängen bekanntlich ganz oben im Baum und ihre Erreichbarkeit erfordert mehr körperlichen Aufwand. Dieser Urtrieb, besonders Attraktives haben zu wollen, begründet offenbar auch die Fähigkeit zur Impulskontrolle (STOUT 2016), Rohstoffe nicht sofort, sondern erst nach aufwändiger Bearbeitung zu verzehren.
Bevor aber komplexere Zubereitungstechniken gängige Praxis waren, mit denen aromatische Kochprodukte gezielt hergestellt wurden, gab es einfachere Vorläufertechniken (Proto-Stufen), die nicht qua »Überlegung« entstanden, sondern das Ergebnis zufälliger Beobachtungen waren, die das Bessere von weniger Gutem unterscheiden ließen.
14 A. a. O., S. 137
15 Homo Rudolfensis und Homo habilis gelten als die ersten Vertreter der Gattung Homo, sog. Urmenschen; der Fund von Homo Naledi in Südafrika (in der Höhle Dinaledi) könnte diese »erste« Stellung allerdings noch verschieben; WRANGHAM geht davon aus, dass bereits vormenschliche Primaten, die Australopithecinen (Vormenschen), ihre Nahrung gezielt bearbeitet haben; WRANGHAM 2009, S. 189 ff.
16 A. a. O., S. 173 ff.
17 USOs: Underground storage organs (unterirdische Speicherorgane); belegt sind der Verzehr von »gegarten« Wurzeln (Gattung: Hypoxis) in einer Höhle Südafrikas vor etwa 170 000 Jahren (ZINKANT 2020).
18 Aus der Phase des Jungpaläolithikums, der jüngere Abschnitt der eurasischen Altsteinzeit, die sich etwa von vor 40 000 Jahren bis zum Ende der letzten Kaltzeit um etwa 9.700 v. Chr. erstreckt
19 Die vermutlich spätestens mit dem Auftauchen von Homo sapiens in Europa vor etwa 40 000 Jahren gängige Praxis wurden
20 Nach einem Fundort in der Dordogne, dem Abri Cro Magnon, wird der moderne Menschentyp (hohe Stirn, kleineres Gebiss, zurückgebildete Augenwülste) als Cro-Magnon-Mensch bezeichnet; (BEHRINGER 2010) a. a. O., S. 53
21 »Erste Köche lebten vor zwei Millionen Jahren« vermuten Forscher im Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“, aufgrund der deutlich kleineren Backenzähne von Homo erectus im Vergleich mit den anderen Primaten; demnach müsste der Frühmensch (Homo habilis) bereits neben üblicher Rohkost zum Teil weiche und zubereitete Speisen gegessen haben
22 GIBBONS nimmt Bezug auf J.HARRIS, der Steinwerkzeuge und verbrannten Ton in der Olduvai-Schlucht in Tansania und in Koobi Fora in Kenia fand, die 1,5 Millionen Jahre alt sind. Spuren von Homo erectus gibt es an beiden Stellen
23 GIBBONS zitiert BRACE, C. LORING: »Feuer hatten die Vormenschen schon vor etwa 800.000 Jahren unter Kontrolle, aber sie haben es weniger als 200.000 Jahre systematisch genutzt, um Speisen darauf zuzubereiten«
24 Er erschien etwa vor 1,8 Millionen auf der Bildfläche der Erde und war der erste Primat, der die Wiege der Menschheit, Afrika, verließ und wahrscheinlich laut neuen Analysen der Funde von Ngandong vor mindestens 143 000 Jahren, vermutlich aber schon vor mehr als 550 000 Jahren ausstarb
25 Altsteinzeit; von griech: palaion, »alt« und griech.-lat.: lithicum, »Steinzeit«; das Paläolithikum ist die früheste und längste Epoche in der Entwicklungsgeschichte des Menschen; Beginn vor etwa 2,5 Millionen Jahren - Ende ca. 10 000 v. Chr.
26 A. a. O., S. 232
27 A. a. O., S. 332
28 Deshalb ist z.B. Dämpfen (ebenfalls ein Terminus technicus) ein feuchtes (gesättigtes) Nassdampfverfahren
29 H. heidelbergensis ging aus H. erectus hervor und entwickelte sich vor etwa 200 000 Jahren in Europa zum Neandertaler (H. neanderthalensis)
30 Die älteste nachgewiesene Feuerstelle ist Gesher Benot Ya‘aqov in Israel und etwa 790 000 Jahre alt. Nach der These des Primatologen R. WRANGHAM müsste H. erectus bereits vor 1,9 Mio. Jahren Feuer genutzt haben (WRANGHAM 2009)
31 Das Wort sapere bedeutet eigentlich »schmecken« und lässt sich nur in einem übertragenen Sinne mit 'verstehen und Weisheit erlangen' übersetzen (wortwuchs.net 2019) – als Substantiv gebrauchten die Römer das Wort nicht nur für den »wahren Weisen«, sondern gleichermaßen für den »Staatsmann« und den »Feinschmecker«
32 Nach Reichholf könnte die Tsetse-Fliege die Vertreibung aus dem 'biblischen Paradies' verursacht haben; alttestamentarisch liegt das Paradies an der Mündung von Euphrat und Tigris (CLINE 2016)
33 Out-of-Africa-Theorie: Sie nimmt an, dass die Ausbreitung von H. erectus von Afrika ausging, da dessen älteste Fossilfunde außerhalb Afrikas rund 1,8 Millionen Jahre alt sind. Die Bezeichnung Out-of-Africa wird jedoch häufig auch auf die Ausbreitung von H. sapiens angewandt – vor etwa 60 000 bis 70 000 Jahren
34 »Vor- und Urmenschen«: Australopithecinen; H. rudolfensis, H. habilis, die vor etwa 4,2 – 1,1 Mio. Jahren lebten
35 Mit denen auch die archäologische Epoche der Steinzeit (Paläolithikum) beginnt – vor etwa 2,6 Mio. Jahren
36 Ein Nachweisproblem der Radiokarbondatierung liegt darin, dass nicht unterschieden werden kann, ob ein Hominine C4-Pflanzen oder das Fleisch von Tieren, die C4-Pflanzen gegessen haben, verzehrt hat. C4-Planzen binden CO2 besser als C3-Pflanzen – eine Anpassung an wärmere Regionen mit höherer Lichteinstrahlung. Vor allem Gräser und Nutzpflanzen, wie Amarant, Hirse, Mais und Zuckerrohr nutzen die C4-Photosynthese; die Bezeichnung 'C4' leitet sich vom ersten Fixierungsprodukt ab, welches durch die Assimilation von Kohlenstoffdioxid entsteht (GROLLE 2015)
37 A. a. O., S. 134 ff.
38 A. a. O., S. 36
39 Bei ausgewilderten Schimpansen hat man