verblindet den Kerngehalt der Zubereitung: die Vermischung von tierischen und pflanzlichen Rohstoffen (= Biomolekülen), die in der Regel durch Kochsalz Geschmacksfülle erhalten. Des Weiteren ist theoretisch bedeutsam, dass (meist) aromatisch wenig ansprechende Rohstoffe mit geschmacklich ebenfalls unattraktiven Rohstoffen kombiniert werden und in dieser neuen Einheit 'wie von Zauberhand' unseren Genusswünschen entsprechen. Ein »aromatisches Paradox« oder »sensorisch inverses« Phänomen, das Schüler erst realisieren müssen.
Die vielfältigen Funktionen der Rohstoffe innerhalb einer Zubereitung (Anteile und Mengen) ergeben sich aus ihren stofflichen und aromatischen Eigenschaften. Dabei geht es im Kern um die Herstellung einer »vom Organismus gewollten« sensorischen Qualität – einem biologischen Mosaik aus evolutionären, genetischen, kulturellen und individuellen Komponenten. Schon deshalb ist die Kombination von Primärstoff und Sekundäranteilen nicht beliebig, sondern gehorcht Regeln der sensorischen 'Passung' und weiteren pharmakologischen und ernährungsphysiologischen Zwecken, die auch einen jahreszeitlichen Bezug haben. Beispielsweise müssen Sekundäranteile eine stofflich-aromatische Nähe zum Primärstoff haben, wenn sie sensorisch 'passen', seinen Eigengeschmack betonen und verbessern sollen. Die Ergänzung eines Obstsalates mit einer Fruchtsäure- und Zuckerkomponente hat u. a. hier ihre sensorische Begründung. Dieser übergreifende Sachverhalt lässt sich im Unterricht theoretisch betrachten und bewerten. Vor diesem Hintergrund wird Zubereitung zum theoretischen und praktischen Experimentierfeld, das den menschlichen Organismus mit seinen individuellen Bedürfnissen, Empfindungen und Gefühlen in den Mittelpunkt stellt.
Auch lassen sich die in der Speisekarte genannten Angebote anhand der Primär- und Sekundärstoff-Systematik definieren, die von der kleinsten Einheit der Zubereitung (der Speise) ausgeht. Alle weiteren gastronomischen Produkte, wie Gericht, Menü etc. sind danach systematisierte Speisenkombinationen.
1 In Gesher Benot Ya'aqov (Israel) – übersetzt: „Brücke der Töchter Jakobs“ – wurden 790 000 Jahre alte verbrannte essbare Pflanzen, wie Oliven, wilde Gerste und wilde Trauben gefunden; dazu: GOREN-INBAR. M.: Die acheulische Stätte von Gesher Benot Ya'aqov, Israel: Umwelt, Homininkultur, Lebensunterhalt und Anpassung am Ufer des Paläo-Hula-Sees
2 Paläoanthropologen können anhand der Fossilgeschichte die Herkunft des Menschen zurückverfolgen und Entwicklungsverläufe hin zum aufrechten Gang, der Vergrößerung des Gehirns und der Verkleinerung des Kauapparates erklären. Ihre Annahmen stützen sich weitestgehend auf Indizien und Vermutungen, die nicht selten durch neue Funde und immer öfter auch aufgrund genetischer Erkenntnisse korrigiert werden müssen. Ernährung wird nur im Hinblick auf Rohstoffe, nicht aber deren Garerzeugnisse betrachtet. Aktuell werden Fragen einer »Paleo-Ernährung« (Steinzeit-Diät) unter dem Aspekt präventiv medizinischer Relevanz diskutiert.
3 Von lat. coctum: das Gekochte; abgeleitet von coquere: kochen, sieden, backen, braten, fermentieren, zubereiten; dazu auch coquus: Koch. Das deutsche Wort leitet sich ebenso davon ab wie das englische »to cook«: a. a. O.
4 Der Begriff Altsteinzeit ist an den Beginn der ersten Steinwerkzeuge gekoppelt, die in Afrika vor etwa 2,5 Millionen Jahre begann.
5 Das 'mondsichelförmige' Winterregengebiet zwischen Israel und Iran
6 Homo erectus, »aufgerichteter Mensch«, lebte sowohl in Afrika (1,9 Mio. bis 500 000 Jahre) als auch in Asien (1,9 Mio. bis 27 000 / 12 000 Jahre). Aufgrund morphologischer Unterschiede bezeichnen Paläoanthropolgen den frühen afrikanischen Homo erectus als Homo ergaster (»Handwerker«); die asiatische und die europäische Form wird weiterhin als Homo erectus bezeichnet; im Folgenden wird die Bezeichnung Homo erectus gewählt
7 Der Zweig der Hominini (Unterfamilie der Hominiden), der zum modernen Mensch führt
8 Zählt zu den evolutionär ältesten kortikalen Strukturen des Gehirns, in denen Informationen verschiedener sensorischer Systeme zusammenfließen; Vergrößerungen im Hippocampus sind vielfach nachgewiesen, u.a. aufgrund sensomotorische Übungen / Erfahrungen (etwa beim Klavierspielen); ebenso zwischen bestehenden Nervenzellen (synaptische Plastizität), was den Erwerb neuer Gedächtnisinhalte befördert
9 Da Hirn etwa die Dichte von Wasser hat, entspricht das Volumen ungefähr der Masse in Gramm
10 »Ein wachsendes Denkorgan muss ausreichend mit bestimmten 'Schlüsselfettsäuren' versorgt werden, damit überhaupt neues Gehirngewebe entstehen kann:(…) langkettige, vielfach ungesättigte Verbindungen: Docosahexaen- und Arachidonsäure (DHA und AA). Der Säugetier-Organismus kann sie nur begrenzt durch Umbau aus anderen Substanzen herstellen – also muss er sie über die Nahrung aufnehmen«; L. CORDAIN; in: HOFFMANN 2014, S. 162,163
11 Mit der Oldowan-Kultur wird die archäologisch älteste Steinwerkzeugkultur bezeichnet, die vor etwa 2,5 Millionen Jahren begann. Der Name ist von den Funden aus der Olduvai-Schlucht (Ostafrika) abgeleitet
12 Erste aufwändige Zubereitungen und Rezepturen mit vielfältigen Rohstoff- und Gewürzanteilen sind aus Persien überliefert – einige Tausend Jahre vor der christlichen Zeitrechnung
13 Der Nucleus accumbens, eine Kernstruktur im unteren (basalen) Vorderhirn, spielt eine zentrale Rolle im mesolimbischen System, dem »Belohnungssystem« des Gehirns, sowie bei der Entstehung von Sucht (ROTH 2014; S. 73, 75)
Teil I
Ursprung und Entwicklung der Gartechniken
1 Zu den Anfängen der Nahrungszubereitung
1.1 Warum wir kaum etwas darüber wissen
Obwohl bereits Charles Darwin »Kochen als die wahrscheinlich größte Entdeckung des Menschen außer der Sprache« (WRANGHAM 2009)14 bezeichnet hat, ist die Fähigkeit des Menschen, aus sensorisch unattraktiven Rohstoffen schmackhafte Speisen zu machen, kein Gegenstand anthropologischer Forschung. Diese Technik entspricht der Leistungsebene, die es uns auch ermöglicht, z. B. Klavierspielen zu erlernen oder sportliche Höchstleistungen zu erbringen. Es sind Fähigkeiten, die wir unserer Hominisation verdanken – und nicht umgekehrt. Dennoch bleibt die Frage, weshalb nur Homo sapiens das Kochen erfunden hat, nicht aber seine nächsten Verwandten, die Menschenaffen. Sie sind dem Menschen nicht nur anatomisch (und genetisch) sehr ähnlich, sondern verwenden Werkzeuge, um an Essbares zu gelangen (GOODALL 1991). Obwohl sie ungenießbare bzw. weniger attraktive Teile ihrer Nahrung entfernen (mithin »Vorarbeiten« kennen) (HESS 1989), haben sie keine echten Zubereitungsverfahren entwickelt. Nur die Hominini (die direkten Vorläufer des Menschen) kannten bereits Formen der »Food Preparation« und Feuergartechniken, mit denen sie ihre Nahrungsressourcen vergrößerten und die Qualität ihrer Nahrung optimierten. Auf diese Weise wurde der Mensch zum Nahrungsgeneralisten, der problemlos viele verschiedene organische Substanzen wie Fleisch oder Pflanzen verwerten und sich rasch an klimatisch bedingte und/oder regional begründete Rohstoffvarianzen anpassen kann (BEHRINGER 2010).
Hintergrundinformationen
Die Entwicklungslinie der Hominini beginnt mit den afrikanischen Urahnen: Homo rudolfensis (benannt nach dem Fundort Rudolfsee – heute: Turkana-See in Kenia) und Homo habilis: »geschickt«, »fähig«, »begabt«; beide werden als frühe Homo-Typen gesehen. Ihnen folgen der Frühmensch: Homo ergaster; »der arbeitende Mensch« (gilt als die frühe afrikanische Form des Homo erectus) (HOFFMANN 2014; S. 157. Die asiatische Form wird unverändert Homo erectus genannt. Aus verschiedenen ausgestorbenen vor-menschlichen Arten entwickelte sich der archaische Homo sapiens (ältester Fossilfund ist etwa 195 000 Jahre alt) und schließlich der anatomisch moderne (rezente) Mensch (Jetzt-Mensch) Homo sapiens (die einzige überlebende Homo-Art), der in der Zeitspanne zwischen 200 000 und 100 000 Jahren vor heute bereits in Afrika existierte. Voneinander unabhängig haben sich zuerst Homo erectus und dann Homo sapiens über die Kontinente ausgebreitet.
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