und bete die ganze Fahrt hindurch. Was auch sonst? Horoskope befragen? Das Universum oder die universelle Energie um Hilfe bitten? Keine Alternative für mich!
Im Krankenhaus angekommen, warte ich, bis mein Onkel geröntgt und notversorgt ist. Als ich zu ihm darf, liegt er kreidebleich und schwach in seinem Bett.
„Onkele, weißt du noch, wie oft wir über Jesus gesprochen haben und wie du stets gemeint hast, es sei egal, an wen und was man glaubt? … Aber es ist eben nicht egal, an wen wir unser Herz verschenken und wem wir von ganzem Herzen vertrauen. Gott kam doch in Jesus zu uns, um uns mit sich zu versöhnen, und um uns den Frieden zu schenken, den uns diese Welt nicht geben kann … Mach doch heute Nacht Frieden mit Gott, Onkele, ja … ?!“
Mit dankbaren Blicken lauscht er meinen Worten. Es scheint, als könne er zum ersten Mal etwas von mir für sein Herz nehmen.
Am nächsten Morgen gehe ich zum Juwelier und kaufe ihm eine silberne Halskette mit einem Kreuzchen. Mit meinem Liebesgeschenk bewaffnet, eile ich ins Krankenhaus zu meinem Onkel.
„Na, hast du mit dem Boss gesprochen?“, frage ich, als ich an sein Bett trete, und er antwortet:
„Ja, vorhin habe ich mit dem Oberarzt geredet.“
Ich musste lächeln: „Nein, Onkele, nicht mit diesem Boss, sondern mit dem da oben!“ Ich zeige zum Himmel.
Er lächelt und flüstert: „Ja, mit ihm hab’ ich heute Nacht auch gesprochen. Nun habe ich Frieden mit Gott gemacht …“
Frieden mit Gott, ja, um diesen Frieden geht es von der ersten bis zur letzten Sekunde in unserem Leben. Nicht ständig um das, was man tun muss, was man darf und nicht darf, Leistung hier und Leistung da … Es geht um Frieden mit Gott; dem Gott, der Liebe ist – nichts als Liebe. Je mehr wir in, mit und durch diese Liebe leben, desto mehr wird das Gute in uns selbst „hervorgeliebt“.
Liebe liebt das Gute in uns hervor.
Ein paar Tage später besuchen wir Onkel Heinz – meine Frau, meine Tochter und ich. Beim Verabschieden beugt sich meine Frau über sein Bett und drückt ihn herzhaft. Danach beuge auch ich mich über ihn und sage ihm, dass ich ihn liebhabe. Seine Antwort ist ein Flüstern: „Ich hab’ dich lieb, Miggi!“
Kaum traue ich meinen Ohren; nach all den Jahren kommt es zum ersten Mal über seine Lippen. Während meine Augen ihn kurz etwas verdutzt anschauen, haben mein Herz und mein Mund schon geantwortet: „Ja Onkele, ich dich auch – soo sehr!“
Ich laufe halb um sein Bett herum und stehe am Fußende. Da muss er es mir noch einmal sagen: „Hörst du, Miggi? Lieb hab’ ich dich! Und pass auf dich auf!“
Tief berührt und um Fassung ringend antworte ich: „Ja ich hab’ dich auch lieb! Na klar, pass ich auf mich auf!“
Ich folge meiner Frau und meiner Tochter zur Türe, doch bevor ich sie hinter mir schließen kann, höre ich noch einmal seine Stimme: „Miggi?!“
„Ja?“ Ich schiebe meinen Kopf zurück durch die Tür. (Jetzt, während ich schreibe, treffen sich in der Rückschau noch einmal unsere Blicke.)
„Ich hab’ dich lieb, vergiss das nie!“ Sein Herz steht himmelweit offen und strömt über vor Liebe und Frieden. All die Fragen, die ihn sein Leben lang beschäftigten, die wie Wellen auf hoher See waren, sind zur Ruhe gekommen, weil er nun den in seinem Herzen trägt, der Wind und Wellen stillt.
„Ich hab dich auch lieb, Onkele“, flüstere ich ein letztes Mal in Resonanz auf dieses wunderschöne Herz …
***
Zwei Tage später klingelt unser Telefon. Meine Frau geht dran, legt kurz darauf fast wortlos wieder auf und sagt flüsternd, was ich in meinem Herzen schon weiß: „Onkel Heinz ist heute Nacht in den Himmel gegangen.“
***
In der Friedhofskapelle verabschieden wir uns noch einmal von ihm, doch es ist nur seine Hülle, sein Zelt, in dem er wohnte, als er hier auf der Erde war. Ich sehe diesen toten Körper, in dem er gelebt hat, mein Vorbild und mein Held. Kein Leben mehr darin. Meine Tante küsst und streichelt ihn. Unendlich viele Tränen fließen und sie flüstert immer wieder: „Bitte geh nicht, bleib bei uns …“
Ich verlasse den Raum und weiß, wir sehen uns wieder.
Die Liebe, die er mir im Krankenhaus dreimal zuflüsterte, ist eine ewige. Sie krönte unsere Beziehung, alle diese Jahre. Sie schwappte auf den Grund meines Herzens und löste dort einen Tsunami an Gefühlen aus. Eine Kraft, die nun weiter und weiter geht, die durch diese Zeilen jetzt gerade sogar dich erreicht.
Welchem Menschen kannst du es heute noch zuflüstern?
„Ich hab’ dich lieb!“ – so einfache Worte, so eine unfassbare Kraft!
Lass dich von nichts und niemandem aufhalten, zum Botschafter der Liebe zu werden!
1 Vgl. 1 Petr 2,17.
Kapitel 4: Demenzgeflüster
Es war eine schreckliche Zeit nach dem Tod meines geliebten Onkels. Meine Tante verlor zunehmend an Lebensfreude, obwohl sie von ihrer Natur her ein Sonnenschein war und ist.
Ich hatte ja einen Großteil meiner Kindheit bei Onkel Heinz und Tante Elfriede verbracht, die die Schwester meines Vaters ist. Während mein Onkel mir das Kämpfen und sämtliche Spiele beibrachte, backte und kochte meine Tante, und immer wieder erzählte sie mir (wie auch meine Oma, also ihre Mama) von Jesus.
In schweren Lebenskrisen war sie, so wie Onkel Heinz, immer für mich da gewesen. Ihr herzhaftes Lachen war ansteckend, und oft konnte sie nur sehr schwer damit aufhören.
Sie ist Jahrgang 1933. Im Gegensatz zu Onkel Heinz, konnte sie über die Kriegszeiten offen sprechen und auch darüber, wie sehr ihr Jesus und ihre Mama eine Stütze waren. Ein intensives Erlebnis, über das ich hier nicht näher schreiben kann, hatte dazu geführt, dass ihre Beziehung zu Jesus unerschütterlich wurde. Gott hatte ihr in ihrer Not zur Seite gestanden, und das trägt sie fest in ihrem Herzen.
Kurze Zeit nach dem Tod ihres geliebten Mann tat sie sich immer schwerer damit, alles alleine zu bewältigen. So wurde das kleine Häuschen verkauft und Tante Elfriede ging in eine Einrichtung, welche sich „Betreutes Wohnen“ nennt. Schnell lebte sie sich hier ein; allerdings blieb die Sehnsucht nach ihrem Heinz und nach ihrem gemeinsamen Häuschen riesengroß.
Oft nahm ich sie einfach mit zu uns, zum Essen oder einfach nur so. Manchmal spielte ich ihr von meinem Handy Lieder aus uralten Zeiten vor. Sie liebte die Schlager der 70er- und 80er-Jahre und so manches Heimatlied. Und stets beteten wir gemeinsam. Ein Gebet trug sie mir immer und immer wieder vor:
Dich, o Jesus, bet ich an,
wie die Weisen es getan.
Gold und Schätze kann ich nicht
bringen vor dein Angesicht,
aber meines Herzens Gold
schenk ich dir, o Jesus hold.
Über alles lieb ich dich,
will dich lieben ewiglich!
So beteten und sangen wir fast immer, wenn wir zusammen waren bzw. sind. Der Montag wurde zu „unserem“ Tag. Ich holte sie am Nachmittag ab, dann gingen wir zum Friedhof und in die Kirche und zum Abschluss in unser geliebtes „Café Mayer“.
Zunehmend wurde sie vergesslicher und schwächer, bis der traurige Tag kam, an dem sie wieder umziehen musste. Das Altersheim ist nun zu ihrer letzten Wohnstätte geworden. Mehr und mehr verschwammen wohl ihre Lebensbilder bzw. fand sie die passenden Worte nicht mehr, oder beides. Dann kam die Zeit, in der sie weder meinen Namen noch mich kannte. Das war sehr schmerzlich; ich weiß nicht, ob auch für sie oder nur für mich. Selbst ihren geliebten Mann erkannte sie auf einem Foto nicht mehr und fragte mich, wer das denn sei. Doch eines blieb, war zutiefst in ihr verankert: Wenn