Joe Martin

Buchreihe:Respekt - Wirtschaft -


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Turbokapitalismus stehen stellvertretend für die letzten 30 bis 40 Jahre unseres Wirtschaftssystems und sind der Grund für Ungerechtigkeit, massive Umweltzerstörung, soziale Spannungen und das Aufkommen von Nationalisten, bis hin zum Wiedererstarken von Nazis und Faschisten.

       Die Unruhen, die Spaltung, die Armut und der Niedergang ganzer Gesellschaften, wie wir das im Jahr 2020 in den USA mit Schrecken erleben, sind direkte Konsequenzen eines unregulierten Kapitalismus. Ungezügelte kapitalistischen Systeme sind am Ende und führen in den Abgrund. Deshalb müssen wir umsteuern und – nachdem weder Kommunismus noch Sozialismus funktionieren oder zu empfehlen sind – brauchen wir eine bessere Gesellschafts- und Wirtschaftsform, die Frieden und Freiheit, Gesundheit und Glück aller ermöglichen.

      Deshalb plädiere ich für einen Kapitalismus mit Herz.

       Ich plädiere ausdrücklich nicht für eine vollständige Systemänderung oder eine Systemabkehr. Ich plädiere für eine Systemverbesserung.

       Lass mich den Kapitalismus mit Herz, zur Sicherheit, für diejenigen, für die das Glas immer halbleer ist, auch gerne als Kapitalismus mit Leitplanken beschreiben.

       Jetzt gibt es natürlich den ein oder anderen, der sagt, diesen Kapitalismus mit Leitplanken haben wir schon und das ist nicht gut. Wenn einer so etwas sagt, dann nennt man ihn einen Neoliberalen. Denen sind die Leitplanken, die heute bestehen, zu groß, zu hoch oder zu eng gestellt. Man kann anstelle Leitplanken auch Gesetze sagen. Eingriffe des Staats in die Wirtschaft durch Gesetze, Vorschriften, Auflagen und Bestimmungen. Je weiter diese Leitplanken stehen, desto freier können die Unternehmer und Manager entscheiden, was gemacht wird.

       In einer ganz freien Marktwirtschaft kann jeder machen, was er will. In einer dermaßen freien Marktwirtschaft ist aber auch die Sklaverei eine sehr lukrative Angelegenheit.

       Alleine daran erkennst du also schnell, dass es ohne Leitplanken in einer zivilisierten Gesellschaft eigentlich gar nicht gehen kann.

       Das bedeutet, dass wir definieren müssen, wie weit entfernt die Leitplanken stehen und wie hoch sie sind. Das sind die Debatten, die ständig geführt werden. Die einen sagen so und die anderen so. Beide Seiten, wenn es nicht sogar mehr als zwei Seiten gibt, verfügen über gute Argumente. Alle Seiten stützen sich auf Studien von renommierten Männern und wenigen Frauen.

       Auf allen Seiten wird stolz auf berühmte Männer und seltener auf Frauen verwiesen, die eine bestimmte Denkrichtung entwickelt haben. Jeder scheint recht zu haben und oft wird erbittert gestritten.

       Dabei könnte es so einfach sein, wenn wir wüssten, was wir wollen. Das ist nämlich gar nicht immer eindeutig zu identifizieren. Die Linken wollen alles verstaatlichen und alle gleich machen. Alle gleich arm. Die Konservativen und Freie-Markt-Anhänger wollen staatliche Eingriffe minimieren. Das kann ich verstehen, denn der Staat – also die Politiker und Verwaltungsbeamten – sind in vielen Fällen einfach überfordert. Manche sind auch zu einfach zu beeinflussen. Oft habe ich den Eindruck, dass Inkompetenz auf Lobbyismus trifft. Das ist keine gute Mischung. Was also wollen wir?

      Aufschreiben, was mir stinkt

       Im Laufe meines Lebens habe ich viel Neues entdeckt. Vieles war interessant und vieles war spannend. Aber es gab natürlich auch das Fiese, das Unangenehme. In aller Regel habe ich immer mit natürlichem Interesse alles hinterfragt und versucht den Dingen auf den Grund zu gehen. Der Status quo hat mich nie interessiert und anstelle „warum“ zu fragen, fragte ich „warum nicht“.

       Vieles von dem, was ich gesehen habe und vieles von dem, was ich dahinter gefunden habe, hat mich entsetzt. Dann habe ich tatsächlich gedacht „warum“. Das hat mich natürlich nie weitergebracht, ist aber menschlich und nachvollziehbar. Mit einigem Abstand gelang es mir dann aber wieder, nach den Hintergründen zu forschen. Bei vielen Dingen forsche ich immer noch und komme einfach nicht weiter.

       Vieles wie zum Beispiel Gier, Rassismus und asoziales Verhalten verstehe ich einfach nicht und bin mir auch nicht sicher, ob man es verstehen kann. Nicht, dass ich aufgegeben habe. Nein, ich denke nur, dass es besser ist, sich mit den 80 % positiven Dingen zu beschäftigen, als den seltsamen 20 % nachzulaufen. Das erkannte tatsächlich schon ein Mann namens Vilfredo Pareto (1848–1923). Seine Erkenntnisse werden Pareto-Effekt oder 80-zu-20-Regel genannt.

       Sie besagt, dass 80 % der Ergebnisse mit 20 % des Gesamtaufwands erreicht werden. Die verbleibenden 20 % der Ergebnisse erfordern mit 80 % des Gesamtaufwands die quantitativ meiste Arbeit. Es macht also Sinn, sich auf die 80 % zu stürzen, denn dafür braucht man nur 20 % der Zeit. Ich glaube fast, dass es sogar 97 % zu 3 % steht.

       Es sind wahrscheinlich nur 3 % der Menschen, die Arschlöcher sind. Vielleicht 5 % oder auch nur 1 %. Ich weiß es nicht, aber ich habe mich dafür interessiert, was diese Minderheit so macht. Das, was ich gefunden habe, schreibe ich in diesem Respektbuch auf, damit du auch davon erfährst.

      Was bedeutet das?

       Nun, ich war kurz davor, alles, was mir stinkt, in diesem Buch anzuprangern. Alles, was für mich unethisch, unfair und ganz einfach eine Sauerei ist, hier aufzuzeigen. Einfach alles aufschreiben, was mir stinkt. Dann aber würde ich, außer eine Stinkschrift zu produzieren, ja nichts erreichen.

       Das wollte ich auch nicht und deshalb habe ich versucht eine Gedankenebene höher anzusetzen und herauszufinden, warum –tatsächlich warum – Menschen sich so verhaltenen, wie sie sich verhalten.

       Ich habe viele Jahre darüber nachgedacht und viel gelesen, viel gehört und viel gesehen. Heute, während ich das schreibe, weiß ich es immer noch nicht. Tja, typischer Fall von denkste, könnte man sagen.

       Ich werde wohl nicht aufhören können nachzudenken und versuchen zu ergründen, warum Menschen so sind, wie sie sind.

      Moralischer Kompass gesucht

       Dennoch war meine Reise nicht völlig umsonst und schon gar nicht sinnlos. Immerhin bin ich nun der festen Überzeugung, dass die meisten Menschen einfach nur einen klaren moralischen Kompass benötigen, um glücklich zu werden. Der moralische Kompass, das ist des Pudels Kern.

       Um diesen geht es in diesem Buch. Die Arschlöcher nutzen einen anderen moralischen Kompass als die allermeisten Menschen. Deren Leitlinien sind ganz andere als die des gemeinen Volks, des einfachen Menschen, als deine und meine. Deren moralischer Kompass ist geprägt von Wirtschaftstheorien, wie dem Neoliberalismus, dem Kommunismus oder durch Gedanken von Vordenkern, wie religiösen Figuren und deren Predigern.

       Andere Arschlöcher hingegen werden von Hass, von Machtgier oder einem stark ausgeprägtem Narzissmus getrieben. Wieder andere sind schlicht und einfach pathologische Lügner, Soziopathen oder Psychopathen. Viele sind vieles gleichzeitig, denn diese asozialen, menschlichen Züge schließen sich leider noch nicht einmal automatisch gegenseitig aus.

       Die wirklich spannende Frage ist jedoch: Warum wählen wir diese Menschen in vielen Fällen zum Anführer, ja sogar zum Regierungsoberhaupt?

       Die kurze Antwort ist, weil wir selbst keinen eigenen inneren moralischen Kompass entwickeln konnten und der, den wir nutzen auf tönernen Füßen steht. Mit anderen Worten, wir unterliegen den Prägungen unserer Kindheit, Schulzeit und des jungen Erwachsenenlebens.

      Woher wissen wir, was falsch und was richtig ist?

       Es beginnt mit der Geburt. In der Regel sind ein Mann und eine Frau an unserer Geburt schuld, wobei Schuld natürlich das vollkommen falsche Wort ist, denn es bedeutet, dass Eltern eine Last auf sich nehmen, die bezahlt werden muss.

       Schon hier scheiden sich die Geister. Für den einen ist es ein großes Glück, sein eigenes Fleisch und Blut zu erleben, für den anderen ist es ein Geschenk Gottes. Und dann gibt es noch die, die sich ärgern oder fürchten und den Moment verfluchen, in dem sie nicht verhütet haben und einfach davonlaufen. Manche gehen, bevor der neue Erdenbürger geboren wird, andere irgendwann, früher oder später, nach der Geburt. Ich geh mal schnell Zigaretten holen, sagte man früher.

       Mit alldem kann das Neugeborene nichts anfangen. Es ist