Joe Martin

Buchreihe:Respekt - Wirtschaft -


Скачать книгу

auch dich, denn die große Masse der Menschen leidet direkt unter der Inflation und muss immer mehr netto aufwenden, um einigermaßen zu überleben. Die meisten müssen auch immer mehr von Nettogehalt für ihre Mietzahlungen aufbringen und können sich einen Umzug nicht mehr leisten. Das geht solange gut, bis der Vermieter die Wohnung renovieren will oder gar das Mietverhältnis kündigt.

       Das alles hat mit dem Kapitalismus zu tun, und zwar speziell mit der Art des Kapitalismus, in dem wir leben. Es ist eine Nebenwirkung des Turbokapitalismus, der auch unter dem Namen Raubtierkapitalismus bekannt ist. Bei dieser Spielart des Kapitalismus kommt es nur auf den maximalen Profit an.

      Maximaler Profit statt Menschenrechte

       Ein kurzes Beispiel gefällig? Im August 2020 machte sich die Politik daran Unternehmen zu verpflichten, dass sie sicherstellen sollten, dass in ihrer Lieferkette alles menschenwürdig vorging. Eine unverschämte Forderung, die die deutsche Wirtschaft massiv belasten würde.

       „Mit einem Lieferkettengesetz wird die Axt an das bisherige Erfolgsmodell der deutschen Wirtschaft mit stark internationalisierten Wertschöpfungsketten und einer starken Produktion im Ausland gelegt“, sagte der Chef der „Wirtschaftsweisen“, Prof. Lars Feld, der Deutschen Presse-Agentur.

       Der deutsche Sozialminister Hubertus Heil (SPD) und der Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) verfolgen ein anderes Ziel: Sie wollen, dass in weltweiten Lieferketten zur Herstellung etwa von Kleidern, Schokolade oder Elektrogeräten Menschenrechte eingehalten werden. Menschenrechte einhalten – unerhört!

       Das fand auch der CDU-Kollege von Müller. Er hatte Bedenken. Wegen eventueller Haftungsregeln. Heil ist uneinsichtig: „Wir reden hier über den Kampf gegen Kinderarmut und Ausbeutung.“ 9

       So sieht es eben aus im Raubtierkapitalismus.

      Die ungleiche Vermögensverteilung

       In Deutschland verfügen 1 % der Erwachsenen über ganze 35 % des Gesamtvermögens10. In anderen Worten: In Deutschland verfügen ca. 700.000 Erwachsene über 3 % des gesamten Vermögens.

       Weitere 9 % verfügen über weitere 32 % des Gesamtvermögens. Das macht in Summe ca. 8 Millionen Menschen, also ein Zehntel der Bevölkerung, die 67 %, also zwei Drittel von allem, besitzen.

       Bleibt der Rest von 90 %, also rund 72 Millionen Menschen, die sich die restlichen 33 % von allem aufteilen dürfen, beziehungsweise müssen. Mehr als 100 % stehen ja leider nicht zur Verteilung an.

       Dieser Rest, die 90 %, sind die Krankenschwestern, die Zugführer, Maurer, Reinigungskräfte, Angestellte, Polizistinnen, Sozialarbeiter, Arbeiter, Verkäuferinnen und andere Arbeitnehmenden, sowie diejenigen, die keine Arbeit finden und in sozial schwachen Verhältnissen leben.

       Das ist das Ergebnis einer Studie, zu deren Ergebnis Johannes König, einer der Verfasser ebendieser Studie, sagte: „Deutschlands ohnehin schon hohe Vermögensungleichheit wurde bisher deutlich unterschätzt.“

       Die Studie zeigt aber auch noch ein weiteres interessantes und erschreckendes Detail: 50 % der Erwachsenen in Deutschland besitzen rund 98,6 % des Gesamtvermögens. Das heißt, die ärmere Hälfte besitzt nichts! Ist das die Art von Kapitalismus, in der wir leben wollen?

      Das meint ein deutscher Milliardär

       Man muss differenzieren. Reinhold Würth, ein Pionier, ein Unternehmer und auch ein deutscher Milliardär hat dazu eine Meinung, die er im Alter von 85 Jahren ganz klar formuliert. Eine seiner Kernaussagen in einem Interview11 trifft mitten ins Herz meines Buchs: „Was machen die Reichen, die viel Geld besitzen, damit?“

       Das, so der Milliardär und einer der reichsten Menschen Deutschlands, sei die wichtigere Frage, als die nach der Gerechtigkeit, wenn jemand sein Vermögen selbst erwirtschaftet habe. Würth selbst hat das Unternehmen seines Vaters übernommen und weitergeführt. Er habe „malocht wie selten ein Mensch“. Aus dem kleinen Unternehmen seines Vaters, welches er im Alter von 19 Jahren mit 2 Mitarbeitern übernommen hatte, wurde die heutige Firma mit 78.000 Mitarbeitern und 14,3 Milliarden Umsatz in 2019.

      Eigentum verpflichtet

       Er ist der Meinung, dass Eigentum verpflichtet und dass es die Aufgabe der Reichen sei, dem Gemeinwohl zu dienen.

       Das ist übrigens nicht nur seine Meinung, sondern steht sogar klipp und klar im Artikel 14 des deutschen Grundgesetzes: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“

       Über diesen Artikel 14 unseres Grundgesetzes habe ich lange nachgedacht und habe ihn beim Schreiben dieses Buchs immer als Ankerpunkt genommen. Ist es ok, dass jemand Milliarden verdient oder erbt, wenn gleichzeitig die Hälfte der Bevölkerung nichts hat? Meine Antwort ist ein klares Jein. Herr Würth hat seine Milliarden sicher verdient.

       Zu Recht weist er darauf hin, dass ohne seine unternehmerische Leistung über 70.000 Menschen keinen Job hätten. Er verweist auch darauf, dass er und seine Familie sich viel im Bereich Kultur und Kunst engagieren und sich um Menschen mit Behinderung kümmern. Er nimmt den Artikel 14 ernst, aber er ist einer der wenigen Reichen, für die Eigentum verpflichtet – nach meiner Analyse. Die meisten sehen das zumindest lockerer. Natürlich ist bei Würth auch nicht alles Gold, was glänzt, wenn man genauer hinschauen würde, aber um den Einzelnen geht es nicht.

       Dass die oberen zehn Prozent über zwei Drittel des Vermögens verfügen, bewerten einige natürlich auch als unkritisch. So habe ich einen Kommentar gefunden, der das auf den Punkt bringt und sicher für viele spricht: „Ich weiß nicht, wo hier das Problem liegen soll. Die oberen 10 % gehören (zu einem großen Teil) zu den Leistungsträgern unserer Gesellschaft. Das ist gelebter Kapitalismus!“12

       Genau diesen Kommentar las ich zu einem Artikel in der Zeit Online. Der Kommentator hat natürlich absolut recht. Das ist gelebter Kapitalismus!

      Wollen wir in einem solchen Kapitalismus leben?

       Die Frage ist nur: Wollen wir in einem solchen Kapitalismus leben? Wollen wir in einem Wirtschaftssystem leben, in dem die „Leistungsträger“, die 10 % der Bevölkerung darstellen, 67 % des gesamten Vermögens besitzen? In einem kapitalistischen System, in dem die untere Hälfte nichts besitzt?

       Das sind drastische Zahlen und ich habe sie auch bewusst dramatisch präsentiert. Bevor du aber jetzt voreilige Schlüsse ziehst und aufhörst dieses „kommunistische Manifest“ zu lesen: Dies ist kein kommunistisches Buch und auch kein sozialistisches.

       Es ist ein kritisches Buch. Ablehnend gegenüber dem Kommunismus und ablehnend gegenüber dem Sozialismus. Es befürwortet den Kapitalismus und lehnt den Casinoskapitalismus ab. Verwirrt? Ich habe auch lange Jahre gebraucht, um zu verstehen, dass es viele Arten des Kapitalismus gibt.

      Kapitalismus ist nicht gleich Kapitalismus

       Im Laufe der Jahrhunderte ist unsere gesellschaftliche und, damit einhergehend, unsere wirtschaftliche Ordnung entstanden. Die Menschheit hat sich von einfachen Menschen, die in Höhlen lebten, zu Menschen entwickelt, die bald per Rakete auf den Mars fliegen, mit autonomen Autos herumdüsen, mithilfe künstlicher Intelligenz Probleme lösen, Krankheiten bekämpfen und den eigenen Planeten zerstören.

       Im Moment stehen wir jedoch an dem Punkt, an dem die Ungleichheit so groß ist, dass sie schon gefährlich wird. Wir stehen an dem Punkt, an dem die Ausbeutung der Natur so groß ist, dass es gefährlich wird.

       Das wird immer weiter beschleunigt und wenn es uns nicht gelingt diese Trends zu stoppen und umzukehren, dann wird es böse enden. Das ist nicht nur meine Meinung, das ist die Meinung von sehr vielen.

      Der Respektfilter

       Was fehlt, ist ein Konzept. Ein einfaches Konzept, dem alle folgen können. Ein Konzept, welches leicht zu verstehen und jederzeit anwendbar ist. Dieses Buch zeigt dieses Konzept. Eigentum verpflichtet, ist eine Grundlage. Der Respekt vor anderen Menschen, der Respekt vor dem Tierwohl und der Respekt gegenüber der Natur ist die Formel, die jeder anwenden kann und sollte.

       Das ist der Entscheidungsfilter für alle reichen Menschen,