und Parteimitglieder für die chinesische Regierung gearbeitet hatten, sehr bedeutend und wurde daher mit dem Namen ihrer Tochter verewigt.
Hong ist mit ihren 1,60 Metern Körpergröße fast zwanzig Zentimeter kleiner als ich, hat eine gute Figur und ihre Stimme klingt etwas tiefer als die der meisten Chinesinnen. Aber sie verwahrt sich dagegen, dass es sich um eine Raucherstimme handelt, denn sie hat nie geraucht. Ihre Erklärung ist ungleich interessanter, denn sie führt die stimmliche Rauheit auf ihre Kindheit zurück, in der sie tagsüber von ihrer Mutter getrennt bei Verwandten gewesen war, da ihre Eltern während der Kulturrevolution unzählige Stunden auf dem Feld gearbeitet und lange Wege dorthin zurückgelegt hatten. Offenbar fehlte Hong die mütterliche Zuneigung, was sie durch andauerndes Schreien unmissverständlich kund tat und so Heiserkeit provozierte.
Glücklich zu sein ist das Wichtigste, habe ich gestern Abend noch zu meiner Frau gesagt. Und das versuche ich täglich umzusetzen. Ich lebe seit Mitte des letzten Jahres in Taicang, einer kleineren chinesischen Stadt im Norden von Shanghai. Je nach Tageszeit kann man die Metropole mit dem Auto in ein oder zwei Stunden Fahrtzeit erreichen. Trotzdem war ich in den vergangenen drei Tagen nicht zuhause, denn ich bin zurzeit beruflich sehr eingespannt. Zwei Tage lang habe ich meine Lieferanten besucht, ihre Werke besichtigt und dabei Verbesserungsvorschläge gemacht, Wichtiges notiert und Vorlagen ausgefüllt. Zudem war ich gestern noch im Büro der Asienzentrale in Shanghai.
Heute wird es nicht besser, denn ich muss schnellstens die Kosten von Einkaufsteilen kalkulieren und die Entscheidungsfindung für die anstehenden Vorstandssitzungen in der deutschen Hauptniederlassung vorbereiten. Hierzu arbeite ich mit den leitenden Einkäufern der einzelnen Warengruppen zusammen.
Im Moment bin ich als Kostenreduzierer im Einkauf bei der Firma Schluckauf eingestellt, die in Shanghai, Taicang und Anting agiert, und habe einen üblichen lokalen Arbeitsvertrag wie die hier lebenden Chinesen auch. Aber ich war clever und habe neben der Übernahme der Wohnungsmiete auch einen Mittelklassedienstwagen von Shanghai-Volkswagen mit Chauffeur herausgehandelt, mit der Begründung, mich dann besser auf meine Arbeit konzentrieren zu können. Um selbst in China ein Fahrzeug lenken zu dürfen, muss man extra einen chinesischen Führerschein machen, denn weder der deutsche noch ein internationaler Führerschein gelten hier. Für Chinesen in Deutschland ist das wesentlich einfacher, zumindest für das erste halbe Jahr, denn hierfür genügt ein vom Notar beglaubigter chinesischer Führerschein. Da sag noch einer, die Deutschen wären bürokratisch.
Da ich vor sechs Jahren den chinesischen Führerschein gemacht habe – bei Vorlage des deutschen Führerscheins wird übrigens nur die Theorie-Prüfung verlangt –, weiß ich, dass die Prüfungsfragen den deutschen sehr ähnlich sind, aber dennoch unterscheiden sich die Verkehrsregeln. Den Arbeitgebern ist das bewusst, und da sie ihre Mitarbeiter lieber bei der Arbeit in ihren Firmen als bei langwierigen Diskussionen mit den chinesischen Behörden sehen, akzeptieren sie solche extravaganten Wünsche. Als Ausländer in China muss man wissen, dass man nicht nur bei einem Unfall, sondern auch bei generellem Kontakt mit der Polizei meist auf sich alleine gestellt ist, was sich durch sprachliche Hürden oft als sehr zeitintensiv erweist. Das musste ich bereits mehrfach am eigenen Leib erfahren, so zum Beispiel in meiner früheren Firma, für die ich ab 2008 in Shanghai und Suzhou gearbeitet hatte, aber ich will noch nicht zu viel verraten, erst einmal der Reihe nach.
In meiner jetzigen Firma habe ich zwei Büros, eins in Shanghai und eins im Produktionswerk in Taicang. Da ich neu bin, sind mir meine Aufgaben und die Prozessabläufe noch nicht ganz klar. Vor allem weiß ich nicht, welchen Nutzen ich für die einzelnen Chefeinkäufer eigentlich habe, denn mein Team und ich werden erst spät in den Arbeitsablauf eingebunden. Ob absichtlich oder nicht sei einmal dahingestellt, doch so gerate ich unter Druck, rechtzeitig gute Arbeitsqualität an die Zentrale zu liefern.
Als Hong vor ein paar Tagen zu ihren Eltern nach Suzhou gefahren war, war ich noch unterwegs gewesen. Die Stadt Suzhou mit ihren etwa zehn Millionen Einwohnern liegt ungefähr zwei Busstunden westlich von Taicang in der Nähe des drittgrößten Binnensees der Volksrepublik mit dem Namen Tai-See und wird wegen ihrer vielen Kanäle auch liebevoll »Venedig des Ostens« genannt. Die gute Anbindung durch Schnellzüge, Autobahn und Kaiserkanal lässt Suzhou in der Riege der schnellwachsenden Städte des modernen Chinas, den sogenannten Boomtowns, mitspielen. Auch im Ranking um die ältesten Städte im Yangtze-Becken steht diese Stadt mit ihrer mehr als zweitausendfünfhunderjährigen Geschichte recht weit oben und gilt als Wiege der Wu-Kultur, die mit der Gründung der Stadt durch den legendären König Helu von Wu begann. Gern erinnere ich mich an die fantasievolle Geschichte, die meine Frau mir mal erzählt hat, denn ihr Familienname ist Wu und sie nimmt diese Zusammegehörigkeit als Anlass, sich als Kaiserin von Suzhou zu bezeichnen. In einem kleinen Ort im Bereich Suzhou trugen alle den Nachnamen Wu und einst wurde Jingniang Wu, ein von dort verschlepptes Mädchen, von Kaiser Song, einem tapferen, mutigen Krieger, gerettet. Der Weg zurück zum Dorf war weit und die beiden hatten während der Reise eine Affäre, aus der ein Baby hervorging … Hongs Ur-Großmutter. Glücklicherweise weigerte sich Kaiser Song trotz der Drohungen des Vaters, Jingniang Wu zu heiraten, und so behielt dieser Familienzweig den Nachnamen Wu. Allerdings haben sich Kaiser Songs Gene, besonders die kämpferischen Erbanteile, auch ohne Namensänderung durchgesetzt und machen mir bisweilen zu schaffen.
Nun zurück zur wahren Geschichte der Stadt. Seit Urzeiten als Zentrum von Handwerk und Handel bekannt bekam Suzhou einen besonderen Aufschwung mit der Fertigstellung des Kaiserkanals, der längsten von Menschenhand erbauten Wasserstraße der Welt, die auf diesem Weg Bejing mit Hangzhou über etwa zweitausend Kilometer miteinander verbindet. So gelang es Suzhou, sich als »Seidenhauptstadt« durchzusetzen, aber auch neben der Seidenproduktion die Fortschritte der Hightech-Industrie bis in die heutige Zeit nicht zu vernachlässigen. Touristen zieht es eher in die sehenswerte, Wolkenkratzer freie Altstadt, denn hier ist die maximale Bauhöhe von Gebäuden noch immer auf vierundzwanzig Meter beschränkt. Einige Stadtparks haben es sogar geschafft, ins UNESCO-Weltkulturerbe aufgenommen zu werden. Das große Los ist ein hùkǒu aus dieser Altstadt, ein »eingetragener ständiger Wohnsitz« von unschätzbarem Wert, den kein Inhaber wie die beneidenswerte Hong jemals aufgeben würde, auch bei einem Umzug nicht. In Deutschland hängt man eher nicht an einem Hauptwohnsitz und lässt sich als Student mit Gutschein gespickten kleinen Gefälligkeiten auch gern mal von einem Wechsel überzeugen.
Im Suzhous Norden haben Hongs Eltern vor einigen Jahren zu erschwinglichen Preisen ein Reihenhaus gekauft und sind dort eingezogen. Seit der Eröffnung einer Metrostation im letzten Jahr ganz in der Nähe sind die Immobilienpreise drastisch gestiegen. Wertsteigerung par excellence – welch Glück für die Familie.
Die Zeit ohne mich war Hong wohl zu einsam, daher machte sie sich auf den Weg zu ihren Eltern. Wobei die Sehnsucht wohl mehr am elterlichen Verwöhnprogramm und nicht so sehr an meiner Abwesenheit lag. »Der Vorteil des Daseins als Einzelkind liegt darin, dass die Eltern einen von morgens bis abends mit Essen und Trinken verwöhnen«, erzählte mir Hong in ihrer unverblümten Art. Im elterlichen Heim gehört Hong ein Arbeits- und Schlafbereich in ruhiger Lage in den obersten Stockwerken, getrennt von ihren Eltern, die sich meist im Wohnzimmer und der Küche aufhalten.
Aufgrund der Lage im Inneren der Wohnsiedlung ist es besonders nachts recht ruhig und es lässt sich gut leben. Ein paar Pflanzen schmücken die Treppe zur Terrasse, mehr Garten gibt es nicht. Über die Terrasse, die ein kleiner Hund namens »bingjiling« bewacht, und die Bewohner freudig bellend begrüßt, erreicht man durch die Eingangstür direkt das Wohnzimmer. Meine Schwiegeeltern haben ihren Hund auf Deutsch Eiscreme genannt, weil er so gerne das kalte Element schleckt, und gut erzogen, so daß er auch ins Haus darf.
Kaum hat man das Haus betreten, tauscht man Straßenschuhe gegen Hauspantoffeln, denn Schmutz und Dreck sind auch in einem chinesischen Haushalt nicht gern gesehen. In Deutschland befänden