Kanghan YUAN

Einer der auszog, um reich zu werden


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Kardamon und Ingwer, den ich letztes Jahr von einer Dienstreise aus Indien mitgebracht hatte.

      Hong ist sehr impulsiv und wechselt oft unvermittelt die Themen, so dass es mir manchmal schwerfällt, ihren Gedankengängen zu folgen. Vielleicht liegt es auch daran, dass sie etwa zwanzig Jahre jünger ist als ich. Auch in diesem Augenblick blieb sie sich treu, als sie während des Films plötzlich fragte: »Was sind deiner Meinung nach die häufigsten Geschenke, die männliche Chinesen einander schenken?«

      Ich wunderte mich nicht über diese weithergeholte Frage und tippte auf Wein, Bücher und Tee. Doch ich lag falsch.

      »Wein, Armbanduhren und Reisen«, korrigierte mich Hong.

      Bei den Frauen war ich nicht besser dran. Meine Vermutung war Essen, Reisen und DVDs, doch meine Frau belehrte mich eines Besseren und nannte Blumen, Armbanduhren und Wein. Gut, zur Kenntnis genommen.

      Wir schauten weiter den Film »Der Teufel trägt Prada« und – passend dazu – begann eine kurze Diskussion über Geld und Reichtum, die mit Hongs nicht sehr geistreichem Statement »Lieber reich und gesund als arm und krank« endete.

      Trotz der nächtlichen Stunde begab ich mich ins Arbeitszimmer, um meinen Laptop einzurichten und meine E-Mails zu lesen. Eine Nachricht sprang mir ins Auge: Eine Bank sandte mir Übersichten zu meinen Investmentfonds und zu meinem Entsetzen erkannte ich, dass eine der Geldanlagen deutliche Wertverluste erlitten hatte. Ich erinnerte mich an die E-Mail eines Verwalters aus Australien vor einiger Zeit, der mich darüber informierte, dass eine Firma Konkurs angemeldet hatte und er nun mit der Prozessabwicklung beauftragt worden war. Natürlich hatte ich mich daraufhin gleich bei meinen beiden britischen Finanzberatern Alan und Michael aus Shanghai gemeldet, aber sie schickten eine Entwarnung: Meine Geldanlage sei nicht betroffen.

      Hong kam zur Tür herein und stocherte ein bisschen herum, frage dies und das, suchte wohl das Gespräch. Ich nutzte die Chance und bat sie um Rechtsberatung.

      »Meine australischen Fonds sind ins Bodenlose gefallen, aber meine Finanzberater versicherten mir, die Geldanlage sei gegen Wertverluste geschützt. Das heißt, wenn im schlimmsten Fall kein Geld erwirtschaftet werden sollte, bekäme ich zumindest mein angelegtes Kapital zurück. Da der Fond von der Deutschen Bank verwaltet und von einer der ältesten australischen Fondsgesellschaften aufgelegt wird, könne ich auch weiterhin Vertrauen haben. Aber nach der heutigen Nachricht traue ich dem nicht mehr.«

      »Falls die Firma in Australien doch pleitegehen sollte, könntest du zumindest die Finanzberater-Firma in Shanghai verklagen. Doch zuvor müsstest du dich nach einem anderen Berater umsehen, der die Verwaltung der Fonds offiziell übernimmt. Privatpersonen dürfen nicht unmittelbar Geschäfte mit Finanzinstituten abwickeln«, klärte mich Hong auf und bot mir weitere Hilfe an, wenn ich alle relevanten Unterlagen zusammengesucht hätte. Mit der Deutschen Bank hatte sie schon ihre Erfahrungen gemacht, denn als Hong in Deutschland gelebt hatte und eines Tages Geld bei eben diesem Kreditinstitut abheben wollte, erklärte man ihr anhand ihrer Kontoauszüge, das kein Geld mehr verfügbar wäre. Hong war sich sicher, ihr Konto nicht bis zum letzten Cent geleert zu haben, und ihr Kampfgeist war geweckt. Akribisch wie ein Detektiv agierte sie und deckte letztendlich alles auf. Teilnahmelisten bestätigten, dass Hong die Abhebung in Frankfurt nicht hatte durchführen können, weil sie nachweislich im Unterricht in Bonn gesessen hatte, um für die Zugangsprüfung zur Erlangung der Hochschulreife zu büffeln. Zum damaligen Zeitpunkt hatte sie in einer WG mit zwei Arabern und einer Chinesin gewohnt. Die Chinesin, die natürlich die chinesischen Schriftzeichen perfekt beherrschte, hatte Hongs Daten kopiert und so mit Hilfe der gefälschten Unterschrift ihre Identität am Schalter in der Frankfurter Filiale vorgetäuscht. Wie für Asiaten Europäer alle gleich aussehen, fällt Deutschen bei asiatischen Menschen eine Unterscheidung schwer, so dass der Schwindel nicht aufflog. Da Hong keine Unterstützung seitens der Deutschen erfuhr, musste sie sich alles allein erarbeiten und erreichte tatsächlich die Erstattung des gestohlenen Geldes. Zudem war sie nun so gut vorbereitet, dass sie problemlos die Zulassungsprüfung bestand.

      Bevor ich meiner Frau ins Bett folgte, musste ich mich noch schnell über die aktuellen Aktienkurse informieren. Momentan laufen die Kurse noch bis Mitternacht über den Ticker. Alles im Minus. Ich hörte die Worte meiner Finanzberater: Kein Grund zur Besorgnis, das kann ja mal passieren, ich brauchte nur etwas Geduld und müsste warten, bis sich das Blatt wendete. Ich ging auch ins Bett, doch so leicht wollte sich keinen Schlaf einstellen.

      Hong dreht mir den Rücken zu. Mit meiner Linken umfasse ich ihre linke Brust, die genau in meine Hand hinein passt.

      Schon in meiner Hochzeitsrede in Deutschland nach der kirchlichen Trauung habe ich klargemacht, dass es mir gar nicht so wichtig ist, ob chinesische Frauen der Statistik nach die kleinsten Brüste auf der Welt haben. Im Gegenteil: Wie bereits erwähnt passt die Brust meiner Frau genau in meine Hand und so fühle ich mich am wohlsten, etwas anderes möchte ich gar nicht.

      Mit den Brüsten meiner Frau in den Händen überlege ich, was in China alles anders ist als in Deutschland. Wenn ich das Gartenschloss links herum drehe, schließt es zu, rechts herum geht es auf. Will ich warm duschen, muss ich blau aufdrehen, bei kalt rot. Für Weihnachten werden die Kirchen gelb geschmückt, in Deutschland weiß. Bei Konferenzen zwischen Beamten und Firmenvertretern wird in China viel geschmeichelt und umgarnt, in Deutschland eher über Zahlen, Daten und Fakten geredet. In China sind WeChat und Weibo in, im Westen Twitter und Instagram. Wenn die Börse rot zeigt, steigen die Kurse, bei Grün geht es bergab.

      Mittlerweile ist es sechs Uhr morgens. Draußen zwitschern schon die Vögel. Ich glaube, so etwas wie »Gib mir Schokolade« zu verstehen. Das geht eine ganze Zeit so. Muss das eine Nacht gewesen sein! Was hat der Vogel nur getrieben? Daraufhin zwitschert ein anderer Vogel. Es klingt nach »Fladenbrot …«

      Hong hat sich wohl erkältet, denn sie hat in der Nacht stark gehustet, jetzt schläft sie still. Draußen herrschen Temperaturen um die zehn Grad Celsius. Dank der Einfachverglasung und den dünnen Wänden ist es innen auch nicht wärmer. Meine sparsame Hong hat die Klimaanlage nicht über Nacht laufen lassen. Zudem haben Küche und Bad keine Klimaanlage. Beste Voraussetzungen für eine Erkältung.

      Aber Hong dementierte das mit folgender Erklärung: »Als ich noch klein war, hatten wir im Haus meiner Eltern gar keine Heizung, da war ich abgehärtet, denn im Kalten zu leben und zu arbeiten und mit dem Wintermantel auf der Couch zu sitzen, ist bei uns ganz normal. Aber nach einem vierjährigen Aufenthalt in Deutschland vor einigen Jahren war ich nicht mehr abgehärtet genug gegen die schmutzige Luft und habe mir gleich eine Lungenentzündung zugezogen, kaum dass ich wieder in China war. Der Arzt hat sie noch vorgestern beim Abhören identifizieren können.«

      Hong hat in Deutschland sehr gutes Deutsch gelernt. Zudem beherrscht sie die Fachausdrücke für Beschimpfungen und Gossensprache nahezu perfekt. Daher unterhalten wir uns mehr auf Deutsch als auf Englisch oder Chinesisch. Sehr zu meinem Leidwesen, denn ich hätte mich lieber auf Chinesisch unterhalten. Doch dazu fehlt mir die Praxis und Hong die Geduld. Als ich sie einmal fragte, woher sie die saloppe deutsche Umgangssprache kannte, meinte sie, sie hätte täglich die Bildzeitung gelesen, die wäre in Deutschland am billigsten. Ein Grinsen stahl sich auf mein Gesicht: Ob es wohl in China auch ein Pendant zur deutschen Bildzeitung gab?

      In meinem Arbeitsumfeld benötige ich kein Chinesisch und für den privaten Alltag habe ich Hong, daher ist der Druck, diese doch etwas kompliziertere Sprache zu erlernen, nicht besonders hoch. Arbeitsalltag … mit einem Mal muss ich an meine zurückliegende, anstrengende Arbeitswoche denken. Noch gestern Mittag saß ich im Büro meines amerikanischen Chefs in Shanghai und habe mit ihm Pläne für die Verbesserung der Headcount-Situation geschmiedet. Mein Chef beklagte sich, man habe ihm das Budget drastisch gekürzt und das Geld anderen zugeschoben. Er wüsste nicht einmal mehr, wie er die Löhne zahlen sollte, von den Kosten für Headhunter, die alte und erfahrene Hasen mit ins Boot holen sollen, ganz zu schweigen. Und was würde aus den Stipendien für begabte chinesische Studenten, die man nach ihrem Studium einstellen möchte?

      »Ja dann …«, meinte er schließlich resigniert, »… dann müssen wir wohl alle dieses Jahr den Gürtel etwas enger schnallen«.

      Einen Tag davor war ich zum »Global Sourcing Board«,