informieren, so dass ich nur noch eilig das Nötigste zusammengetragen konnte und nachts im Hotel eine Kalkulation erstellen musste. Zum Glück wurde ich rechtzeitig fertig, obwohl die an mich geschickten Lieferscheine alle auf Chinesisch waren. Hier kamen mir meine fachlichen Chinesisch-Kenntnisse zugute.
Kurz darauf erhielt ich eine Mail auf Deutsch mit der Bitte um rechtzeitige Übersetzung derjenigen ins Englische und Chinesische. Ein deutscher Manager würde bereits am folgenden Tag zu einem chinesischen Lieferanten reisen und brauchte Unterstützung, um notwendige Daten für die anschließende Kostenkalkulation auf Englisch und Chinesisch zu erfragen. Ich leitete die Mail gleich zum Übersetzen an eine deutschsprechende chinesische Mitarbeiterin im Shanghai-Büro weiter, stellte jedoch auf der gestrigen Autofahrt zum Büro fest – nochmal zur Erinnerung, ich fahre nicht selbst, ich habe einen Chauffeur –, dass dies nicht erledigt worden war. Mir blieb daher nichts anderes übrig, als die Mail selbst zu übersetzen. Das ging auch aus meiner Sicht ganz gut, denn mein Fachvokabular beherrsche ich auf Englisch und auch leidlich auf Chinesisch.
Allerdings konnte ich die Datei nicht im Auto absenden und musste warten, bis ich im Büro war. Es war schon nach neun Uhr morgens. Zum Glück hatte sich keiner beschwert. Ich wunderte mich ein weiteres Mal darüber, warum hier alles immer auf den letzten Drücker geschehen musste. Man konnte schließlich davon ausgehen, dass die Reiseplanungen nicht erst seit vorgestern feststanden. Und warum sprechen die deutschen Manager eigentlich kein Englisch? Schließlich sind wir doch ein internationales Unternehmen. Oder sind sie einfach zu faul und wollen die Arbeit von anderen erledigt haben? Als ich mich bei einem anderen deutschen Kollegen im Büro darüber aufregte, meinte der nur, dass sowieso alle Mails immer auf Deutsch geschrieben würden. »Warum sollen sich auch Deutsche auf Englisch unterhalten? Einmal hat ein neuer Kollege genau dies versucht durchzusetzen. Er war unter den Deutschen nicht sehr beliebt und hat nach kurzem die Firma wieder verlassen«, erzählte er noch.
Ein weiteres Thema bei meinem amerikanischen Chef war die kostensparende Zusammenlegung mehrere Büros in einem höhergelegenen Stockwerk. Hierdurch könnte eine ganze Etage aufgegeben werden, aber mein Büro würde dann komplett gestrichen werden. Ich benötigte das ja nicht, klärte mich mein Chef auf, denn ich sei sowieso die meiste Zeit außer Haus, bei Lieferanten oder bei Treffen mit Einkäufern in meinem Büro in unserem Fertigungswerk in Taicang.
Ich machte ihn darauf aufmerksam, dass das Management-Team schwerlich zusammenhalten und an einem Strang ziehen könnte, wenn ich weitab in Taicang säße und auch an den Teambesprechungen, die meinem Chef so am Herzen lagen, nicht mehr teilnehmen könnte. Wenige Stunden später hatte ich mein Büro in Shanghai wieder.
Meine Frau war stolz auf mich, weil ich für meine Sache gekämpft hatte. Als ob ich sonst nicht kämpfen würde … Ich tue alles, um Fuß zu fassen. Auch morgen ist wieder Arbeit angesagt. Es ist zwar Sonntag, aber aufgrund der Feiertags-Politik in China wurde dieser Sonntag als offizieller Arbeitstag festgelegt. Generell arbeiten die Büroangestellten wie in Deutschland von Montag bis Freitag, die Arbeitszeiten sind gesetzlich geregelt und dürfen vierundvierzig Stunden in der Woche nicht überschreiten. In Ausnahmefällen kann auch an Wochenenden und Feiertagen gearbeitet werden, mit dem Unterschied, dass Überstunden mit mindestens hundertfünfzig Prozent des Lohnes vergütet werden müssen. Sollte Arbeit an Wochenenden nötig sein und nicht anderweitig ausgeglichen werden können, dann steigt der Zuschlag auf mindestens zweihundert Prozent. Bei Arbeit an Feiertagen müssen sogar mindestens dreihundert Prozent gezahlt werden.1 Inwieweit das auch so gehandhabt oder durch Sonderregelungen umgangen wird, bleibt allerdings offen.
Zu den elf gesetzlichen Feiertagen kommen je Dauer der Betriebszugehörigkeit noch fünf bis fünfzehn Urlaubstage, die wie im Westen zeitlich frei gewählt werden können. Feiertage, die auf ein Wochenende fallen, werden sozusagen nachgeholt, was wie in diesem Jahr zu einer erheblichen Verlängerung der freien Zeit führen kann. Nächstes Wochenende beginnt das Chinese New Year, gern auch mit CNY abgekürzt, das neue Jahr nach dem chinesischen Mondkalender. Normalerweise gibt es hierfür drei gesetzliche Feiertage, aber da das Fest direkt an einem Wochenende liegt, wurden diese beiden Tage hinten dran gehängt. Um diese zusammenhängende Zeit noch etwas zu verlängern, wurden der morgige Sonntag und der erste Februarsamstag kurzerhand vom Staat als Arbeitstage festgelegt und aus drei Feiertagen werden sieben. So kann man auch bequem die langen Entfernungen in China überwinden, um ein paar Tage mit der Familie verbringen zu können.
Mir ist der Arbeitssonntag ganz recht, denn ich selbst habe die Einkäufer unter Druck gesetzt und Einladungen zu Meetings rausgeschickt.
Rückblickend waren die ersten Wochen des noch nicht sehr alten Neuen Jahres sehr stressig, denn nicht nur beruflich, auch privat war einiges los. Vor ein paar Tagen waren Hong und ich beim monatlichen AHK-Treffen, dem Treffen der deutschen Auslandshandelskammer, in Shanghai. Dort habe ich zum ersten Mal die neue evangelische Pastorin getroffen, die nun für den Großraum Shanghai zuständig ist. Die Metropole hat ihr eine kleine Kirche im westlichen Qingpu-Distrikt zugeteilt – daher nenne ich sie Qingpu-Kirche –, in der sie die Gottesdienste der chinesischen evangelischen »Drei Selbst Kirche«, so die offizielle Bezeichnung, abhält. Interessanterweise ist Religion, egal welcher Art, in China ein heikles Thema, da sie sich nicht so gut mit der staatlichen Philosophie verträgt. Mittlerweile gibt es offiziell anerkannte Religionen, die allerdings strikten Anweisungen des Staates unterliegen, dazu gehören Katholizismus, Protestantismus, Buddhismus, Taoismus und Islam. Anhänger anderer Religionen werden auch heute noch verfolgt.
Bereits im 13. und 14. Jahrhundert hatten Katholiken erste Versuche der Missionierung angestrengt, sind aber gescheitert. Vor etwa zweihundert Jahren kamen die ersten protestantischen Missionare nach China und hatten mäßigen Erfolg, aber einige ließen sich doch überzeugen, so dass die Mitgliederzahl, wenn auch anfangs sehr langsam, aber stetig wuchs. Fünf Jahre nach Gründung der Volksrepublik China wurde allem zum Trotz die jetzige evangelische Kirche unter dem Namen »Drei Selbst Kirche« gegründet.
»Wie ist dieser Name zustande gekommen?«, wollte ich von Hong wissen.
»Während der Kulturrevolution hat jeder seine Religion verheimlicht, auch Buddhas wurden vernichtet und stattdessen Mao-Bilder aufgehängt. Wenn du überleben möchtest, musst du mit der kommunistischen Partei kooperieren. So hatte die evangelische Kirche nur die Möglichkeit, sich von der westlichen Organisation zu lösen und sich nicht mehr davon beeinflussen zu lassen. Die Kirche bekam Kirchengebäude und hauptamtliche Mitarbeiter, allesamt Parteimitglieder. Selbst entscheiden, selbst finanzieren, selbst ausbreiten – das ergibt die drei Selbst im Namen der Kirche.«
Die aktuellen Mitgliederzahlen sind schwer zu erfassen, da es neben den staatlich anerkannten Kirchen auch unzählige nicht registrierte Gemeinden gibt. Man geht davon aus, dass etwa ein bis sechs Prozent der chinesischen Bevölkerung Christen sind.2 Im Gegensatz zu Deutschland mit fast sechzig Prozent im Jahr 2013 – Katholiken und Protestanten halten sich hier in etwa die Waage – ist das doch ein sehr geringer Anteil der Gesamtbevölkerung.3 Dabei darf man allerdings nicht vergessen, dass Deutschland im Vergleich zu China eine sehr geringe Einwohnerzahl hat. Legt man die angenommenen sechs Prozent chinesischer Christen zugrunde, deckt sich diese Anzahl mit der Gesamtbevölkerung Deutschlands … Also doch kein so kleiner Anteil.
Auch den katholischen Pastor Peter Kreuz, den wir von früher kennen, haben wir beim AHK-Treffen getroffen. Die katholische Kirche heißt »CCPA, Chinese Catholic Patriotic Association«. Diese musste sich vom Papst lossagen, um in China offiziell anerkannt zu werden. Das ist bei diesem Glauben, der den Papst als sein kirchliches Oberhaupt ansieht, nicht gerade eine Kleinigkeit.4
Peter Kreuz arbeitet nun in Anton Rebes Unternehmen und hatte diese Firma auf seiner Visitenkarte stehen. Er hatte sich hierzu nicht äußern wollen. Ich weiß jedoch, dass ausländische Priester in China keine Arbeitserlaubnis und somit kein langfristiges Visum bekommen, weil sie nicht für die chinesischen Kirche arbeiten. Sie müssen bei einer legalen Firma in China angestellt sein und tragen aus