Kanghan YUAN

Einer der auszog, um reich zu werden


Скачать книгу

Restfahrkarten an, allerdings zu überteuerten Preisen, aber was tut man nicht alles für die Familie.

      Nach dem Frühlingsfest entspannt sich die Preispolitik um die Fahrkarten wieder, trotzdem bleibt die Lage während der Stoßzeiten vor allem für die vielen Leute mit wenig Geld dramatisch. Sie kommen meist nicht rechtzeitig heim, um mit der Familie zu Abend zu essen, und schaffen es auch nicht, wieder rechtzeitig zurück in die Stadt, in der sie arbeiten.

      Nach dem Festessen bekommen Hong und ich von ihren Eltern ein kleines Goldstück mit einem Pferdekopf geschenkt, mit dem Hinweis, auch Hongs Kinder würden einmal so ein Goldstück erhalten. Es scheint ein Lockmittel zu sein, damit wir doch endlich Nachwuchs zeugen mögen und Hongs Eltern Enkelkinder großziehen können. Hong hat ihren Eltern vor einiger Zeit erzählt, dass Kinder bei dieser Luftverschmutzung nicht gesund aufwachsen könnten und sie lieber im Ausland Kinder haben möchte. War das der Grund für die neue Lockmittelstrategie ihrer Eltern?

      Am ersten Neujahrstag bleiben die Chinesen meist zuhause, denn der Aberglaube behauptet, wer andere Familien besucht, dem fließt das Geld ab und geht zu diesen über. Und wer gibt schon gern Geld an andere ab? Bleibt man dagegen zuhause, wird das »Shou Cai« genannt, das Vermögen schützen und halten.

      Trotzdem fahren Hong und ich mit der neuen Metrolinie, die zur Wertsteigerung des elterlichen Hauses beigetragen hat, in die Stadt, um dort im herrlichen Sonnenschein am Fluss spazieren zu gehen. Der Weg am Fluss ist eine Fußgängerzone, nur Einheimische fahren dort mit dem Elektro-Moped oder dem Auto in den engen Gassen. Die Bauern verkaufen ihre Waren hauptsächlich an Touristen, aber bei den kleinen Straßenständen können Hong und ich nicht widerstehen und gönnen uns Tofu-Suppe, gegrilltes Lammfleisch am Spies und Fladenbrot. Auf dem Rückweg fahren wir mit dem Boot durch den Kanal, nehmen die Metro und kommen so rechtzeitig wieder heim, wo wir von Hongs Eltern schon zum Abendessen erwarten werden.

      Nach einer weiteren Übernachtung bei den Schwiegereltern besuchen Hong und ich ihre sehr alten Großeltern und die Kinder der Cousinen und Cousins und übereichen jedem einen Hongbao, denn es ist Tradition, dass Paare den Verwandten mit Kindern Geld schenken. Zum Glück wohnen alle in der Nähe und es sind nicht viele Besuche, denn die Wohnungen sind ungemütlich kalt.

      Hongs Eltern haben bereits die Verwandten väterlicherseits, die bei unserer großen Hochzeitsfeier in China natürlich auch dabei gewesen waren, mit Hongbaos beschenkt, so können wir uns entspannt zurücklehnen. Hong knüpft an den Wink ihrer Eltern an und meint in ihrer überaus hervorstechenden Logik, solange wir keine Kinder hätten, gäben wir nur Geld aus, wenn wir aber welche hätten, bekämen wir auch wieder welches zurück.

      Der zweite Neujahrstag hat noch eine weitere Bedeutung: Schwiegersohn-Tag. An diesem Tag sollte ich die Familie meiner Frau besuchen. Glücklicherweise bin ich ja bereits da, so dass dieser Punkt ohne größeren Aufwand schon abgehakt ist.

      Am dritten Neujahrstag fährt Hong morgens mit mir und ihren Eltern zum Wetland Park am Taihu Lake. Wir gehen dort wandern und machen eine Bootsfahrt. Es regnet nicht, aber es hängt schwerer, kalter Nebel in der Luft. Nichtsdestotrotz wollen wir unseren Ausflug genießen und fahren weiter zu den heißen Quellen. Dort sind verschiedene Quellen unter einer riesigen beheizten Kuppel untergebracht und man kann in ihnen baden. Wir begeben uns zum Empfang, doch unsere Pechsträhne will nicht abreißen, denn wir erfahren, dass wir ohne Reservierung keine heißen Quellen zu sehen bekommen. Ich schaue meine Begleiter an … wer hatte diese nutzlose Idee?

      Uns bleibt nichts anders übrig, als nach Hause zu fahren, ohne das warme Wasser genießen zu können. Aber mir ist das ganz recht, schließlich ist es sehr voll hier und Hong ist auch noch erkältet.

      Auf der Rückfahrt am Nachmittag läuft plötzlich ein Hund auf die Straße vor unser Auto. Hong kann diesem Vierbeiner trotz roter Unterwäsche nicht mehr ausweichen und überfährt ihn. Das sei schon der zweite Hund in ihrem Leben, den sie auf dem Gewissen habe, jammert sie. Ihren eigenen Hund hatte sie damals nicht angeleint, deshalb war er weggelaufen und überfahren worden.

      »Das kann kein gutes Jahr werden, wenn uns schon kurz nach CNY solch ein Unglück passiert! Wir sollten in diesem Jahr lieber keine Kinder bekommen!«, bemerkt sie mit einem Stirnrunzeln.

      Ich muss ein Schmunzeln unterdrücken und werfe einen Seitenblick auf Hongs Mutter, die neben mir auf der Rückbank sitzt. Sie ist sichtlich nicht begeistert.

      Wir stellen fest, dass die Plastikteile und Lampen an der Frontseite des Autos stark beschädigt wurden. Hoffentlich übernimmt die Versicherung den Schaden.

      Normalerweise stehen in China wie auch auf der ganzen Welt die Frauen in der Küche. In Hongs Elternhaus sind die Rollen seit Jahrzehnten umgekehrt verteilt: Wie immer kocht Li Gengnan ein leckeres chinesisches Abendessen. Nach der Tradition dürfen dabei die kleinen runden Reiskuchen – der aufmerksame Leser kennt sie als Nian Gao – nicht fehlen.

      Anschließend skype ich mit Daniel, denn ich habe Fragen zum Erstellen einer Homepage, die Daniel aus dem Stegreif beantworten kann. Sollte er auch, denn er studiert Medieninformatik in Augsburg und hat zwischen den Semestern für eine deutschen Firma Webseiten erstellt. Dieses Wissen kommt mir jetzt zugute. Ich nutze die Gelegenheit und frage nach einem gemeinsamen Urlaub in Thailand, den mein Sohn dankend ablehnt, es sei zu gefährlich dort, liest man ja überall. Hong meint dazu, Daniel sei mit der Welt verbunden und kenne sich aus. Im Gegensatz zu mir als Deutschem kritisieren Chinesen keine anderen Leute, sondern umschreiben alles positiv, um die Harmonie der Beziehungen aufrecht zu erhalten.

      Ich bin anderer Meinung als Daniel, sage aber nichts. Mein Aufenthalt auf einer Ferien-Insel in Thailand vor ein paar Jahren war sehr schön und ich fühlte mich nicht gefährdet.

      Ich habe mir ein Ziel ausgesucht und versuche, Hong davon zu überzeugen: »Was hältst du von einem Strandurlaub in Pattaya, einem großen Touristenort für Ausländer, zwei Autostunden südlich von Bangkok? Ich habe vor Jahren über Alan und Michael eine Wohnung dort angezahlt, doch das Projekt geht schon ewig nicht vorwärts. Wir erholen uns am Strand und machen einen Ausflug dorthin, damit ich mal nach dem Rechten schauen kann. Es lohnt sich auch für dich, denn die Wohnanlage liegt auf einem Berg mit Blick zum Meer.«

      Hong ist mit meinem Vorschlag einverstanden, denn sie will auch sehen, wo ich mein Geld angelegt habe, und bucht nachts trotz Daniels Warnung den Urlaub in Thailand über ein chinesisches Reisebüro. Sie holt ihre Kreditkarte, um die Reisekosten zu überweisen, doch die Bezahlung klappt nicht. Hong schlägt wütend mit der Faust auf die Tastatur, als ob das ihr Problem lösen würde … Interessanterweise tut es das tatsächlich, denn beim erneuten Versuch läuft alles reibungslos. Ich nehme mir für diesen Urlaub die zehn Tage frei, die mir die Firma nach dem gesetzlichen Arbeitsgesetz für meine Heirat gegeben hat. Eigentlich hätte ich nur drei Tage bekommen dürfen, da ich schon einmal verheiratet war. Vielen Dank an die Personalabteilung, die das nicht bemerkt hat. In diesem Bereich sind die Chinesen sehr großzügig mit zusätzlich geschenkten Urlaubstagen, in Deutschland bekommt man im Allgemeinen einen Tag Sonderurlaub für die Hochzeit, den Rest muss man von seinem Jahreskontingent bestreiten. Aber der Staat macht das natürlich nicht ganz ohne Hintergedanken. Er erhofft sich davon, dass die Leute früh heiraten und Kinder zeugen, denn diese braucht China wegen der leeren Rentenkasse dringend.

      Draußen ist es jetzt kalt und nass, morgen soll es laut Wetterbericht wieder einmal schneien. Ich will eine Bank aufsuchen, um mein Erspartes zinsbringend anzulegen. Obwohl die chinesischen Banken auch an Feiertagen geöffnet haben, rät mir Hong von einem Bankbesuch vor dem ersten offiziellen Arbeitstag nach CNY ab, da die Zinsen erst ab diesem Tag berechnet werden.

      Im nächsten Augenblick