Kanghan YUAN

Einer der auszog, um reich zu werden


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Gelb als Erde ist noch halbwegs nachvollziehbar, bei Wasser mit schwarz und Holz mit (grün-)blau wird es da schon schwieriger. Die rote Farbe, wie wir ja bereits wissen, steht für Reichtum und Freude, daher findet die Regierung wohl auch Gefallen daran und nutzt sie ausgiebig. Auch Grün wird mit Reichtum assoziiert, aber auch mit Harmonie und Gesundheit, was uns Europäern nicht so weit hergeholt erscheint. Allerdings ist Vorsicht geboten, wenn ein grüner Hut ins Spiel kommt, denn der symbolisiert Seitensprung, Treulosigkeit und einen betrogenen Ehemann. Gelb steht für Neutralität und Glück und gilt als schönste und prestigeträchtigste Farbe, daher sind des Kaisers neue Kleider, und auch Paläste, Altäre und Tempel, nicht unsichtbar sondern gelb. Schwarz ist die Farbe des nördlichen Himmels und wurde als Farbe der Könige und als beständige Farbe verehrt. Neben Helligkeit und Reinheit wird Weiß auch mit Tod und Leiden in Verbindung gebracht und hauptsächlich bei Beerdigungen getragen.10

      Zum Frühstück wartet »yan wo« auf mich, eine teure Spezialität der traditionellen chinesischen Medizin, in Deutschland unter dem Begriff „Schwalbennester“ bekannt. Wenn man bedenkt, dass es sich hierbei um getrockneten Schleim von Vögeln handelt, der mit heißem Wasser aufgegossen wird, wird man unweigerlich daran erinnert, dass gute Medizin angeblich nicht schmeckt. Der Preis schwankt abhängig von der Qualität, bei dem chinesischen Online-Auktionshaus Taobao werden fünf Gramm für knapp einhundertneunzig RMB, rund fünfundzwanzig Euro, angeboten. Ob es hilft, bleibt abzuwarten.

      Aus einer Nachbarwohnung dröhnt laute Musik. Das Verhältnis meiner Schwiegereltern zu den Anwohnern ist recht gut. Die meisten sind Rentner oder Frauen, die zuhause arbeiten, man sieht und hört sich regelmäßig. Auch meine Frau hat hier viele Jahre gelebt und dadurch ebenso gute Beziehungen aufgebaut.

      Am Frühstückstisch diskutieren wir gerade das Thema „Neuer CEO bei Microsoft“. Da es sich um einen Inder handelt, glauben die Chinesen, Indien habe nun das Silicon Valley erobert. Eins kommt zum anderen und auch der Kauf von neun Roboterfirmen durch Google wird angesprochen. Hong meint, Roboter werden in Zukunft auch kochen, putzen und sogar Kinder betreuen.

      Ich zucke zusammen, denn das Wort „Kinder“ könnte bei meinen Schwiegereltern wieder eine neue Tirade zum Objekt ihrer Begierde namens „Enkelkinder“ heraufbeschwören. Bis zum Abendessen halten sie stillschweigend durch, dann bahnt es sich einen Weg an die Oberfläche. Aber diesmal bin ich gar nicht so böse darüber, denn ich erfahre etwas mehr aus der Lebensgeschichte meiner Frau. Hongs Entstehung war alles andere als ein romantischer Akt. Li Gengnan war beim Militär, so die altbekannte Geschichte, und als er einen Monat auf Heimaturlaub war, heiratete er ohne viel Federlesen. Kurz darauf war Wu Meilan mit Hong schwanger. Ganz genau genommen verdankt sie ihr Leben dem Parteiführer Mao Zedong, denn er sagte die Eroberung Taiwans kurz vor der Bestürmung ab und rief damit das Kriegsende aus. Alle, die sich bis dahin durchgekämpft hatten, blieben am Leben und so konnte sich Hongs Großvater um Nachwuchs kümmern. Aber damit waren die Glücksmomente der Familie noch nicht beendet, denn kurz bevor Hongs Eltern Ende 1970 geheiratet hatten, war Li Gengnan an der Grenze zu Russland stationiert und stand mit Tausenden anderen kurz vor einem Krieg mit Russland. Zur Erleichterung aller wurde der Konflikt durch Verhandlungen gelöst und auch er konnte der Tradition folgen, eine eigene Familie zu gründen.

      Auch die Ein-Kind-Politik wird nicht unter den Tisch gekehrt, denn sie hat verhindert, dass Hong Geschwister bekam. Zum Glück ist das mittlerweile etwas aufgelockert worden. Die allgemein bekannte Tatsache, dass Mädchen nicht unbedingt auf dem Zeugungswunschzettel stehen, liegt in der chinesischen Kultur begründet. Im Gegensatz zu Deutschland, wo mittlerweile auch der Name der Frau als Familienname angenommen werden kann, geben in China allein die Männer den Namen weiter. Zudem werden Grundstücke und Felder durch die Gemeinde nur an sie verteilt. Traditionell haben Mädchen kein Erbrecht und sämtliches Vermögen bekommen die Söhne, obwohl das Gesetz inzwischen etwas anderes sagt. Mit all diesem Wissen bin ich meinen Schwiegereltern sehr dankbar, dass sie schon damals moderne Ansichten vertraten und mit den weit verbreiteten Praktiken zur Geschlechterselektion gebrochen hatten.

      Am letzten Urlaubstag fahren wir beide nach Taicang, schauen aber vor der Rückkehr in unser Haus noch bei der lokalen Bank of Suzhou vorbei. Vielleicht lohnt es sich ja, ein Konto zu eröffnen und mein Gehalt, dass in den letzten Monaten auf dem Girokonto der ICBC Bank eingegangen war, hier als Festgeld mit gutem Zinssatz anzulegen, doch wir haben die Bürokratie der chinesischen Bank unterschätzt. Für die Kontoeröffnung muss ich mehrere Dokumente ausfüllen und handschriftlich in Chinesisch bestätigen, dass ich das Kleingedruckte zur Kenntnis genommen habe. Die Bankangestellte erklärt uns anschließend, dass Geldeinzüge von anderen chinesischen Banken mit ausländischem Namen von dieser Bank aus nicht so einfach getätigt werden können, da die Apparate nicht darauf ausgelegt seien. Besser wäre es doch, das Geld bei der anderen Bank im Gebäude nebenan abzuheben und hier in bar einzuzahlen. Ich erinnere mich daran, dass ich dies doch schon mal vor zwanzig Jahren so gemacht habe. Damals war eine Online-Überweisung nicht möglich. Hat sich die Welt seither nicht weitergedreht?

      Mir ist das Ganze zu aufwendig, doch Hong erklärt mir, Bargeld von der einen Bank abzuheben und bei der anderen Bank einzuzahlen, ist hier noch gang und gäbe, um Überweisungskosten zu sparen und Bürokratie zu vermeiden. Mittlerweile ist es kurz nach drei Uhr und die Bankangestellte weist uns darauf hin, dass die anderen Banken schon geschlossen sind. An Geldautomaten gibt es eine Höchstgrenze von 20.000 RMB, was in etwa 2.750 Euro entspricht, also verwerfe ich diese Idee gleich wieder.

      Jetzt bleibt mir nur noch die Online-Überweisung, doch auch diese Möglichkeit ist mir verwehrt, denn alle Online-Überweisungen in China laufen über eine Zentralstelle der Bank of China in der Hauptstadt Beijing und die sind ausgerechnet heute noch alle im Urlaub.

      Hong sieht es gelassen und versteht mein Problem nicht. »Morgen ist der erste offizielle Arbeitstag nach dem CNY, da kannst du die Überweisung ausführen.«

      Draußen ist es immer noch kalt. Da wir außer den harten chinesischen Kiwis, die Hongs Eltern uns mitgegeben hatten, nichts weiter zu essen zuhause haben, gehen wir zum chinesischen Grill, einem BBQ-Restaurant. In solchen Restaurants herrscht immer großer Andrang und wir müssen wie üblich eine Nummer ziehen, um einen Sitzplatz zu bekommen. Auf der Toilette treffe ich einen Chinesen, der mir erzählt, er wohne in Australien und sei extra zum chinesischen Neujahrsfest hergekommen. Manchen sind Traditionen offenbar sehr heilig.

      Als ich den rohen Fisch auf die Grillplatte legen will, nimmt Hong mir das Besteck samt Fisch aus der Hand und meint, nur Frauen beherrschten diese Arbeit, Männer könnten nur essen, saufen und schlafen. Hong will mich wieder einmal provozieren, denn sie sollte es besser wissen, da in ihrem Elternhaus immer ihr Vater in der Küche steht.

      Ich murmle vor mich hin: »Ein Fisch am Morgen vertreibt Kummer und Sorgen, aber ein Fisch am Abend …«

      Hong hat es gehört und dichtet zu Ende: »… dann schläft man gut«. Es reimt sich nicht und ergibt keinen Sinn, aber das macht Hong überhaupt nichts aus.

      Ich zahle mit Bankkarte und gebe am Tisch meine Geheimzahl ein. Hong rügt mich dafür, dass die Bedienung die Geheimzahl erkennen konnte.

      »Na und?«, erwidere ich.

      »Vielleicht hast du schon mal davon gehört, dass Bankkarten gefälscht werden?«, kontert sie schnippisch. »Jetzt kennt die Kellnerin deine Kontodaten und die PIN. Wenn die dein Konto leerräumen, siehst du das Geld nie wieder!«

      »Soll ich jetzt zur Bank gehen und die Geheimzahl ändern lassen? Sollte das mittlerweile nicht online möglich sein?«, frage ich genervt zurück. Bei meiner Bank in Deutschland gibt es diese Option im Online-Banking. Mir wird klar, dass das nicht geht, weil ich noch kein funktionierendes Online-Bankkonto habe. Bisher hat Hong alle notwendigen Überweisungen von ihrem Onlinekonto getätigt, daher habe ich mich noch nicht um ein eigenes Onlinebanking gekümmert. Der Aufwand mit der Bank ist mir zu viel und das Essen ist so lecker, dass ich die Angelegenheit einfach vergesse.

      Eine Steuerquittung, in China Fapiao genannt, gibt es heute noch nicht. Erst in zwei Wochen, denn das Restaurant ist brandneu und die Lizenz der Behörden steht noch aus. Das ist zwar illegal, aber in China nimmt das niemand so genau. Glück