Kanghan YUAN

Einer der auszog, um reich zu werden


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CNY schon durchgeplant, sie möchte es mit ihrer ganzen Verwandtschaft verbringen. Natürlich werde ich mich dann auch wieder auf Chinesisch oder besser gesagt auf Suzhounesisch mit der ganzen Familie unterhalten, wobei das für mich sehr anstrengend werden wird, da sie zwar mein Chinesisch verstehen, ich aber ihr Suzhounesisch nicht. Trotzdem freue ich mich immer wieder, dass ich als Laowai, die chinesische Bezeichnung für Ausländer, so herzlich in der Familie aufgenommen worden bin. Das ist in China keine Selbstverständlichkeit, da die chinesische Gesellschaft Fremden gegenüber generell misstrauisch gesinnt ist. Die Geschichte lehrt uns, dass sie dazu leider auch allen Grund hat.

      Jeder wollte ein Stück vom chinesischen Grund und Boden, was dem einen mehr, dem anderen weniger gut gelang. Die Quintessenz des 1. Opiumkriegs Mitte des 19. Jahrhunderts war die Abtretung Hongkongs an Großbritannien, beim 2. Opiumkrieg wenige Jahre später mischte zusätzlich Frankreich mit und letzten Endes wurde der Opiumhandel legalisiert und China konnte sich nicht mehr gegen internationale Handelsbeziehungen wehren. Chinas Wirtschaft brach ein und mit der Vormachtstellung in Asien war es vorbei, aber auch das war den Großmächten nicht genug. Nun standen Großbritannien, Russland, Japan, Frankreich und Deutschland im Wettstreit miteinander um die größten Bissen bei der Aufteilung Chinas.

      Zu jener Zeit befand sich die Qing-Regierung in einer schweren finanziellen Krise. Da ihre Jahresbruttoeinnahmen bei Weitem nicht ausreichten, die Ausgaben zu decken, sah sie sich gezwungen, Geld bei den westlichen Ländern zu leihen und ihre Seezolleinkünfte zu verpfänden. Dadurch gewannen die Großmächte die Kontrolle über Chinas Finanzen, gründeten Bankniederlassungen, über die sie ihre Kapitalexporte abwickelten und Banknoten ausgaben. So konnten sie die chinesische Finanzwirtschaft manipulieren. Allein in den fünf Jahren nach 1895 bauten sie in China knapp eintausend Fabriken. Sie dominierten den Eisenbahnbau, den Schiffstransport und den Bergbau.

      Erstaunlicherweise spielten die USA bis Ende des 19. Jahrhunderts überhaupt keine Rolle bei Eroberung Chinas, doch das sollte sich ändern. Der Vorschlag der USA, der amerikanischen Großmacht gleiche Vorteile und Chancen auf dem chinesischen Markt einzuräumen, wurde unblutig akzeptiert und so setzten sich auch die Amerikaner in China immer mehr fest.

      Nun genug der Unannehmlichkeiten. Die bevorstehenden Feiertage nehme ich zum Anlass, wieder mehr Chinesisch üben zu wollen, am besten auf dem Notebook, das ich Hong zu Weihnachten geschenkt habe. Ach herrje, bald ist ja auch wieder Valentinstag …

      Als hätte sie meine Gedanken gelesen, ist Hong aufgewacht und kommt zu mir gekrochen. Um das Haus herum pfeift der Wind bei etwa 14 Grad, drinnen wie draußen. Vor ein paar Tagen war es schon mal kälter. Hong hustet wieder, vielleicht sollte ich ihr zu einem Arztbesuch raten.

      Hong ist in einem Pferdejahr, das sich alle zwölf Jahre wiederholt, geboren, daher trägt sie jetzt rote Unterwäsche, denn nach chinesischem Glauben soll das die bösen Geister vertreiben oder zumindest milde stimmen. Ein chinesischer Freund hat mir einmal erzählt, dass das Jahr des Pferdes kein gutes Jahr wäre, da nur halb so viele Kinder geboren würden wie im Jahr des Drachen. Ob das wirklich stimmt, weiß ich nicht. Ich erzähle Hong besser nichts davon.

      Aber in gewissem Sinne ist das nachvollziehbar, denn dem Pferdgeborenen wird Ruhelosigkeit, Bewegungsdrang und die Suche nach Abenteuern nachgesagt. Das Jahr des Pferdes wird demnach aufregend, quirlig, bisweilen wahrscheinlich auch stressig und hektisch und in der Liebe abwechslungsreich und überaschend. Daher scheint die Gelegenheit, sich längerfristig festzulegen, in diesem Jahr nicht gegeben zu sein. Aber da ich meine Frau ja bereits etwas länger kenne, bin ich daran gewöhnt. Ich muss nur darauf achten, ihr den Freiraum zu geben, den sie benötigt, und sie nicht einzuengen, denn Zügle lässt sie sich definitiv nicht anlegen. Da ich im Geiste ein moderner Mensch bin, sollte mir das nicht allzu schwerfallen. Wichtig für mich ist die Tatsache, dass das Pferd auch für finanzielle Sicherheit steht, denn die ist leider essenziell, auch wenn man das Materielle eher nicht auf die obersten Stufen seiner Lebenspyramide stellen sollte.

      »Weißt du, dass viele Regierungschefs im Pferdejahr geboren sind: Merkel, Cameron, Hollande sowie auch der türkische Minister.«

      Ich erwidere fröhlich, dass sie dann ja gute Chancen hätte, Premierministerin oder Regierungschefin zu werden.

      »Aber nein, ein weiblicher Premierminister in China?«, rief sie. »Das ist unmöglich, also zumindest bis jetzt. In unserer Geschichte gab es ja auch nur männliche Kaiser. Bis auf die Kaiserin Wu Zhao, die aber beschuldigt wurde, ihren Gatten vergiftet zu haben, um an die Macht zu kommen.«

      Nach dem Aufstehen jogge ich am Fluss entlang. Die Sonne schafft es nicht, sich durch die dicken Smogwolken hindurch zu kämpfen, und so sehe ich nur eine einzige graue Masse vor mir. Der Smog ist in den Wintermonaten am Schlimmsten. Was gibt es Bedrückenderes als China im Winter?, schießt es mir unwillkürlich durch den Kopf. Die mir entgegenkommenden Passanten schauen mich ungläubig an. Ob es daran liegt, dass ich Ausländer bin, oder daran, dass nur ein Wahnsinniger bei diesem Smog laufen würde? Wahrscheinlich an beidem. In diesem Augenblick beschließe ich, nach dem Chinesischen Neujahrsfest mit Hong zur Erholung nach Thailand zu fliegen.

      Nach der Dusche im eiskalten Badezimmer gibt es Brunch. Dann werden Neujahrsgrüße verschickt und die E-Mails auf den Visitenkarten vom AHK-Treffen in LinkedIn, einer internationalen Networking-Website für Geschäftsleute, eingegeben. Man weiß ja schließlich nie, wofür diese Kontakte noch nützlich sein können. Abends gehen wir zur Apotheke, um Hustensaft und Tabletten zu kaufen und um nebenan Nudelsuppe zu essen. Da es unzählige Variationen von Nudeln gibt und der Geschmack auch sehr unterschiedlich ist, wird es nie langweilig und man könnte jeden Tag Nudeln essen. Sie schonen auch den Geldbeutel und machen lange satt. Einziger Wehrmutstropfen für mich ist die überall stark verbreitete Verwendung von Glutamat zur Geschmacksverstärkung, das ich als Europäer nur schlecht vertrage und Sodbrennen bei mir verursacht. Viele Restaurants wärmen nur gelieferte, vorgekochte Waren auf, so dass ich meinen Sonderwunsch „ohne Glutamat“ nur in Restaurants erfüllt bekomme, die ihre Speisen frisch zubereiten und so Einfluss auf die Zutaten nehmen können.

      Nach unserem Nudelmahl bestehe ich darauf, in der Bäckerei noch ein paar Alkohol gefüllte Leckereien zu kaufen. Die werden zur Hälfte gleich zuhause verspeist, während ich einen neuen Film in den DVD-Player lege und Hong im Internet surft. Sie erzählt mir ein paar chinesische Witze auf Deutsch, die ich aber nicht witzig finde oder nicht verstehe.

      Mit Nudeln und Nachtisch im Magen gehen wir ins Bett. Ich vergesse nicht, noch schnell ein Schnapsglas von meinem Kräuterwasser zu trinken, das mir Li Gengnan geschenkt hat. Nach TCM, der traditionellen chinesischen Medizin, stärkt das Getränk sowohl die Gesundheit als auch die Potenz des Mannes beträchtlich, man muss nur fest daran glauben. Hierzu werden sehr teure Zutaten wie zum Beispiel der Penis eines Hirsches oder besser der eines Schneehundes aus den Bergen verwendet. Aus diesen wird ein hochprozentiger Schnaps gewonnen und dann genüsslich getrunken. Einfach herrlich, diese traditionelle Medizin. Frauen dürfen da natürlich nicht ran, zu gefährlich, wegen der Potenz.

      Die TMC insbesondere in Form