Kanghan YUAN

Einer der auszog, um reich zu werden


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Einklang mit meinem Körper zu bringen und entspannter durchs Leben zu gehen. Daher bevorzuge ich die Atemübungen statt der Kampfsportarten, die auch den Qi-Fluss regulieren können.

      Am 30. Januar, einem Donnerstag, komme ich wie gewohnt erst gegen sieben Uhr abends von der Arbeit nach Hause. Hong hat bereits ein hervorragendes chinesisches Abendessen mit westlichen Kräutern gezaubert.

      »Du könntest ein Restaurant aufmachen!«, schmeichle ich ihr und gebe ihr einen Kuss.

      »Ach ja, wo denn?«, fragt sie mich.

      »Natürlich hier in China! Chinesisches Essen schmeckt den Chinesen sowieso am besten. Natürlich aber mit westlichen Kräutern, damit du dich von der Konkurrenz abhebst.«

      Im Fernsehen läuft der Film »Australia«. Dieser ist noch lange nicht zu Ende, als wir beide schon aufgegessen haben. Hong steht auf, trägt die Teller in die Küche und spült ab. Ich mixe mir derweilen einen Cocktail und schaue den Film weiter.

      »Heute müssen wir noch im ersten Stock sauber machen!«, ruft sie plötzlich aus der Küche. »Ich hab schon ewig für den zweiten gebraucht!«

      Ich seufze, jetzt ist es wohl vorbei mit dem entspannten Abend. Nach chinesischer Tradition muss ein Haus am Tag vor Neujahr gefegt und geputzt werden, um sich selbst von den Lasten des alten Jahres zu befreien.

      Ich füge mich, helfe ihr, die Stühle hochzustellen, und frage sie, ob sie noch einen zweiten Besen hätte. Darauf meint sie nur, ich käme eh immer erst, wenn die meiste Arbeit schon gemacht sei. Ich gehe leicht beleidigt wieder ins Wohnzimmer, doch der Film ist schon vorbei.

      So begebe ich mich in mein Arbeitszimmer, mache meine Steuererklärung für das letzte Jahr fertig und schaue mir meine Aktienkurse an. Immer wenn ich auf steigende Aktien setze, habe ich das Gefühl, die Aktien gehen nach unten und umgekehrt. Werde ich das jemals begreifen?

      Nun ja, morgen ist Silvester genauer gesagt CNY. Wir wollen noch heute eine preiswerte Urlaubsreise nach Thailand buchen oder sie zumindest besprechen, dann packen und morgen gleich nach meiner Arbeit zu Hongs Eltern fahren, um dort gemeinsam zu Abend zu essen. So will es die Tradition. Wir werden erwartet und alles ist für unsere Übernachtung vorbereitet. Das Neujahrsfest hat in China einen ähnlich hohen Stellenwert wie bei uns in Deutschland Weihnachten und gilt als das wichtigste Fest des Jahres.

      Am folgenden Nachmittag verlassen wir unsere Wohnanlage in Taicang und verteilen Hongbaos als Neujahrsgeschenke. Hongbao setzt sich zusammen aus Hong für Rot, wie wir bereits wissen, und Bao für Tasche. In China ist es üblich, diese roten Taschen mit Geldscheinen zu füllen und zu verschenken, auch zu Geburtstagen und Hochzeiten. Hong erzählte mir einmal von einem Wanderarbeiter mit einer großen Familie, die ihn sehr oft zu Festivitäten einlädt. Von seinen sechzigtausend Renminbi Jahresverdienst hat er fünfzigtausend allein für Hongbaos ausgegeben. Tja, Familienfeiern in China können teuer werden und mit einer Absage kann sich niemand aus der Affäre ziehen, denn gezahlt werden muss trotzdem.

      Der Pförtner unseres Compounds, wie Wohnanlagen in China genannt werden, bekommt einen Hongbao sowie auch mein chinesischer Fahrer, dem wir das Auto abnehmen, denn Hong will selbst fahren.

      Als wir später alle in Suzhou am üppig gedeckten Tisch zusammensitzen, frage ich nach den Speisen, von denen mir einige unbekannt sind. Ich bin zwar schon einige Jahre in China, doch an einem so üppig gedeckten Tisch habe ich noch nie gesessen. Meistens bin ich mit Freundinnen über CNY in den Süden geflogen, um die Sonne und das Meer zu genießen, zuletzt 2012 mit Jasmine nach Bali, 2011 mit Fangfang auf die Philippinen, 2010 mit Shuming nach Malaysia und 2009 nach Yunnan mit meiner chinesisch Lehrerin, deren Namen ich bereits vergessen habe, aber ich kann mich noch gut daran erinnern, dass sie große Mengen Schnaps vertragen hatte. Auch die Jahre vorher war ich nach China gekommen, um Geschäftsleute während CNY zu treffen, denn das ist die beste Zeit für Geschäfte, da alle während der Feiertage viel Zeit haben.

      Nun ist Zeit, ein paar Worte über meine Schwiegereltern zu verlieren. Beide sind pensioniert und genießen das Leben. Aufgrund ihrer gesunden, frischen Ernährung sind beide recht schlank, was für Wu Meilan von Vorteil ist, da sie ihre Zuckerkrankheit somit gut im Griff hat, obwohl sie in den letzten Jahrzehnten keinen Sport mehr getrieben hat. Li Gengnan dagegenen hat Gymnastik und Yoga in seinen alltäglichen Ablauf eingebunden, so dass er einen 1,75 Meter großen, muskulösen Körper vorweisen kann. Wu Meilan ist wie ihre Tochter etwa fünfzehn Zentimeter kleiner als der Mann im Haus.

      Gespannt lausche ich Hongs Erklärungen zur Bedeutung der verschiedenen traditionellen chinesischen Gerichte auf dem Tisch.

      »Der Fisch hier heißt Li Yu. Yu wird zwar Yü gesprochen, aber Yu geschrieben, bedeutet Fisch und klingt auf Chinesisch wie ›übrig‹, das heißt, im neuen Jahr wirst du viel übrig haben. Du wirst also reich werden.«

      Das freut mich natürlich sehr, hoffentlich wird es wahr.

      Nun deutet sie auf einen kleinen Kuchen aus Reis.

      »Das ist Nian Gao. ›Nian‹ bedeutet ›Jahr‹ und ›gao‹ bedeutet ›Kuchen‹, aber auch ›hoch‹, was man auf das Gehalt beziehen kann. Du wirst also noch reicher.«

      Ich liebe chinesisches Essen zu CNY.

      Hong fährt fort: »Auch die mit Hackfleisch gefüllten Eier, die wir Dan Jiao nennen, tragen zur Vermehrung deines Reichtums bei, wenn du viele davon isst. Man sagt, man bekommt dann viele ›Jin Yuan Bao‹, das war unsere Währung während der Jin-Dynastie.«

      Jetzt wird es mir langsam unheimlich, wohin mit dem vielen Geld?

      Hong deutet auf eine mit gelben Bohnensprossen gefüllte Schüssel, deren Form an »Ru Yi« erinnere, einen Glücksbringer für Gesundheit. Na den werde ich nach dem üppigen Mahl sicher brauchen.

      »Die kennst du aber doch, oder?«, stellt mich meine Frau mich auf die Probe. Ich folge ihrem Finger und erkenne »Rou Yuan«. Diese Fleischbällchen sind ein Zeichen für die Zusammenkunft der Familie am Frühlingsfest, ein weiterer Name für das chinesische Neujahr.

      Ich bediene mich großzügig, doch Wu Meilan ermuntert mich, noch mehr zu essen, und befördert ungeniert immer mehr der Reichtum bringenden Speisen in meine Reisschüssel. Es gibt zwar unzählige Sorten Reis, doch in China wird immer der Klebereis verwendet, der mit Wasser in Reiskochern zubereitet wird.

      Während des Abendessens dreht sich das Gespräch um die alljährlichen Familienfeierlichkeiten und um die Massenwanderung der Chinesen, die zu diesem Zeitpunkt einsetzt. Es gibt sogar eine eigene Bezeichnung hierfür: »Chun Yun«. »Chun« bedeutet Frühling, »Yun« steht für Transport, nicht sehr poetisch, aber es drückt genau das aus, was es ist. Während der Tage vor und nach dem chinesischen Neujahrstag drängeln sich um die achthundert Millionen Menschen in Chinas Züge, um in ihre meist weit entfernten Heimatstädte und Dörfer zurückzukehren. Für die Koordination und die Logistik ist das eine wahre Herausforderung.

      Fahrkarten für diese Zeiten sind online schon innerhalb weniger Sekunden nach Erscheinen ausverkauft, so dass Wanderarbeiter ohne Internetzugang meist schlechte Chancen auf ein Ticket haben. Manche ergattern noch offizielle Fahrkarten ohne Sitzplatz, aber man sollte die Entfernungen hier nicht unterschätzen, die um ein Vielfaches größer als in Deutschland sind. Da kann eine Zugfahrt auch mal vierzig Stunden dauern, was ohne