Kanghan YUAN

Einer der auszog, um reich zu werden


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Wohnung wieder ziemlich ausgekühlt, weil Hong die Klimaanlage ausgeschaltet hat. Ich frage mich, was wohl günstiger wäre: die Wohnung jetzt wieder von 13 Grad auf 20 Grad hochzuheizen oder das Gerät einfach bei 20 Grad laufen zu lassen.

      Hong sieht das pragmatisch: »Ist doch klar: Die Heizung anderthalb Stunden für umsonst laufen zu lassen, ist auf jeden Fall viel teurer! Du kannst von uns Chinesen noch viel über das Sparen lernen«. Chinesen seien echte Sparkünstler, referiert Hong weiter, sogar heißes Abwasser würde verkauft, es könne direkt bei den Fabriken wie Stahlwerken, die Wasser zur Kühlung ihrer Maschinen nutzen, bestellt werden. Das so erwärmte Wasser würde mit LKWs zu den Kunden, meist öffentliche Badeanstalten, transportiert und alle profitierten davon. Mich erstaunt, dass Kaufpreis und Transportkosten offenbar unter den Heizkosten für das Wasser liegen und sich das Ganze tatsächlich rentiert.

      So viel zur Wasserqualität! Ich überlege unwillkürlich, wie oft ich in China schon in diesem Brackwasser gebadet habe. Ist es vielleicht sogar radioaktiv?

      Mit einer noch absurderen Sparidee reißt mich Hong aus den Gedanken: »Wenn du richtig Geld sparen willst, dann mach die Heizung aus und zieh warme Kleidung an.«

      Frauen haben doch sowieso immer das letzte Wort, in China erst recht. Wir werden uns wahrscheinlich noch oft über dieses Thema streiten, die Mentalitäten sind einfach zu verschieden. Ich möchte zwar auch sparen, aber doch nicht auf Kosten unserer Gesundheit.

      In der Nacht können wir beide vor lauter Sodbrennen nicht schlafen. Entweder haben wir viel zu viel gegessen oder in dem Grillgewürz war mal wieder zu viel Glutamat. Die Wahrscheinlichkeit, dass beides zutrifft, ist sehr hoch.

      Am nächsten Morgen, dem ersten Arbeitstag nach dem chinesischen Neujahrsfest, haben wir immer noch Sodbrennen. Auch das Wetter sympathisiert mit uns, denn es regnet in Strömen. Leider muss ich heute nach draußen, denn ich habe mich von meiner Frau überreden lassen, den umständlichen Weg für den Geldtransfer zu gehen. Hong holt unseren Fahrer ab, sie wechseln die Sitzplätze und wir machen uns auf den Weg. Pünktlich zur Schalteröffnung halb neun heben wir zwei große Bündel Geldscheine ab und zahlen es bei der anderen Bank ein. Die Zählmaschine scheint auch noch im Urlaub zu sein, denn sie hat sich verrechnet. Der Bankangestellte zählt nun die Scheine solange von Hand nach, bis alles stimmt. Danach folgt der obligatorische Formularkrieg. Ich staune immer wieder, wie viele Formulare man unterschreiben muss, um etwas Geld einzuzahlen, da unterscheidet sich China nicht von Deutschland. Immerhin fallen die Zinsen für Neukunden heute ein kleines bisschen höher aus als in den letzten Tagen.

      Nach dem Stress in der Bank muss Hong schnell weiter in das thailändische Konsulat in Shanghai, um ein Visum für den gemeinsamen Urlaub zu beantragen. Als Deutscher darf ich visumfrei in Thailand einreisen, wenn ich bei der Einreise ein gültiges Rückreiseticket vorweisen kann. Da die Vertretung bereits halb zwölf mittags die Tore schließt, ist Eile geboten. Ich fahre ein Stückchen bis zur Firma mit und dann lasse ich Hong mit dem Fahrer allein.

      Als ich gegen halb elf im Büro im zweiundzwanzigsten Stock ankomme, ist es kalt. Von meinen Kollegen erfahre ich, dass die Zentralheizung im Gebäude noch ausgeschaltet und die Kantine im fünften Stock auch geschlossen ist. Die Verwaltung will wohl nur Miete kassieren, aber die Betriebskosten sparen! Die meisten Angestellten kommen erst am nächsten Montag oder einfach nur etwas später zur Arbeit. Mein amerikanischer Chef ist auch da und wir unterhalten uns über das Budget und die weiteren Kostenreduzierungsmaßnahmen. Mittags laufen wir ins Restaurant nebenan und er bezahlt. Er hat den typischen Gang eines Seemannes und bringt mich damit immer zum Schmunzeln. Anschließend habe ich bis sechs Uhr abends ein Meeting mit meinem Mitarbeiter Dr. Zhang, um die Kalkulationstermine der Unternehmenszentrale in Deutschland zu erfüllen.

      Zuhause erzähle ich Hong von meinem Mittagessen im Restaurant mit meinen Geschäftsfreunden. Als ich dort erwähnte, dass ich nur E-Mail und Skype zur Online-Kommunikation benutzen würde, haben sie mich ausgelacht. Ich sei »out«, denn heute hat doch jeder das chinesische WeChat oder WhatsApp.

      Hong hat natürlich beides auf ihrem Handy. »Du bist sowieso immer zu beschäftigt, um dich darum zu kümmern. Wusstest du, dass es zum guten Ton gehört, eine WhatsApp-Nachricht innerhalb von vier Minuten zu beantworten? Bei manchen Unternehmen sind Service und Vertrieb ohne WhatsApp gar nicht mehr denkbar. Wenn du eine Firma hast, brauchst du jemanden, der sich in Vollzeit darum kümmert.«

      Ich staune und nehme mir vor, mich etwas näher damit zu beschäftigen. Aber heute nicht mehr.

      Meine Frau erwähnt noch, dass sie sich heute Morgen mit meinem Fahrer über den Unfall mit dem Hund unterhalten hat. Der Fahrer gab zu bedenken, dass die Versicherung unbedingt über den Schaden informiert werden müsse, da die Leasingfirma sonst nicht für den Schaden aufkommen werde. Also einigten sie sich kurzerhand darauf, am kommenden Sonntag einen kleinen Unfall für die Polizei in Szene zu setzen, damit die Reparatur während unseres Thailand-Urlaubes, der in acht Tagen beginnt, auf Kosten der Versicherung durchgeführt werden kann.

      Der sechste Tag der Woche ist ein Samstag. Logisch, denkt jetzt jeder Europäer, aber in China ist das nur bedingt logisch, denn hier werden die Wochentage einfach von Montag bis Samstag durchgezählt, also Montag ist die 1, Dienstag die 2 und so weiter. Der Sonntag heißt sowohl Sonnentag als auch Himmelstag. Obwohl der heutige Tag aufgrund der staatlichen Vorgaben zum Ausgleich für den zusätzlichen Feiertag an CNY ein offizieller Arbeitstag in China ist, fehlt noch immer ein Großteil der Belegschaft. Um ein paar Arbeiten abzuschließen, verzichte ich kurzerhand auf das Mittagessen. So schaffe ich einiges und kann früher als sonst nach Hause gehen.

      Hong duscht gerade im kalten Bad, als ich das Haus betrete. Der Gedanke, jetzt an ihrer Stelle zu sein, lässt mich frösteln. Offenbar ist sie wieder genauso abgehärtet wie früher. Beim Abendessen erzählt sie mir, dass sie auch nichts zu Mittag gegessen hat, weil es wichtigere Dinge zu erledigen gab. Übrigens sei auch kein Trinkwasser mehr da, wirft sie wie nebenbei ein.

      Ich verstehe den Wink und laufe noch schnell in einen Supermarkt, um ein paar Flaschen zu kaufen. Danach mache ich es mir auf dem Sofa gemütlich und schaue mir den Film »Die Bourne Identität« an. Dabei wird mir sofort klar: Was der amerikanische Geheimdienst alles kann, kann der chinesische schon lange. Schließlich kann ich mich noch gut an die Zeit erinnern, als ich vor zwanzig Jahren zum ersten Mal nach China kam. Alle Autos und sämtliche Hotelzimmer waren verwanzt und jedes Telefongespräch wurde ungeniert abgehört. Unterkünfte und Fahrzeuge samt Fahrer wurden einem zugewiesen. Westlichen Ausländern stand man damals noch viel misstrauischer gegenüber als heute. Nun stellt sich mir die Frage: Arbeitet der Geheimdienst heute moderner und noch geheimer oder haben sie es aufgegeben und man wird wirklich nicht mehr beobachtet?

      Mir macht die Kälte mal wieder zu schaffen, also schütte ich den Rest meines chinesischen Reisweins in einen Topf und erhitze ihn. Da dieser Wein eine gelbe Farbe hat, wird er in China auch »Gelber Wein« genannt. Reiswein gibt es in auch in Japan, dort heißt er Sake, und in Korea mit Namen Magoli, diese Weine sind jedoch fast klar und nicht gelb gefärbt.

      Nachdem die Wärme des Weins meinen Ansprüchen genügt, gieße ich ihn in ein Glas und begebe mich in mein Büro im dritten Stock unseres Hauses.

      Plötzlich stürzt Hong in mein Büro und schimpft wie ein Rohrspatz: »Das ganze Haus stinkt nach Gelbem Wein, hast du dich erbrochen?«

      Das Weinglas vor meinen Mund haltend, schaue ich sie verwirrt an. »Nein, ich hab mir den nur heiß gemacht.«

      »Säufst du etwa die ganze Flasche?«

      »Beruhige dich doch, es ist ja nur ein Glas«, versuche ich sie zu beschwichtigen.

      »Deine Spermien sind trotzdem besoffen, schwimmen irgendwohin, finden das Ziel aber nicht. Kinder kommen besoffen zur Welt, wenn der Vater so viel trinkt.«

      Hong scheint mit ihrem Kinderwunsch oder Nichtkinderwunsch sehr wankelmütig zu sein. Was will sie denn nun wirklich? Weshalb regt sie sich so auf? Im Reiswein ist weitaus weniger Alkohol als im Schnaps.

      Sie zitiert mich in ihr Büro ein Stockwerk tiefer und ich befürchte schon Schlimmstes, aber es geht um ein völlig anderes Thema. Sie hat im Internet eine Immobilie gefunden, die der