Kanghan YUAN

Einer der auszog, um reich zu werden


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genießen das leckere Thai-Essen und beobachten den Sonnenuntergang. Hong nutzt die Gelegenheit, um mir eine neue Lektion in Sachen Geschäftsessen mit Chinesen zu erteilen. Mit seinen Lieferanten essen zu gehen, ist ungemein wichtig – so viel weiß ich schon. Obwohl ich seit fünf Jahren in China privat und geschäftlich unterwegs bin, glaubt Hong, ich habe von den Chinesen noch nicht viel gelernt, da sie alle Geheimnisse für sich behalten, um dem Ausländer gegenüber im Geschäftsleben im Vorteil zu sein.

      Recht hat sie, denn ich bewege mich nicht in der chinesischen Kultur, spreche meist nur Englisch und verhalte mich deutsch. Also bin ich Hong dankbar, dass sie mir elementare Grundsätze beibringen möchte, auch wenn ich einige schon kenne.

      »Mitarbeiter scheuen sich normalerweise, direkt neben dem Chef zu sitzen. Aber zu weit weg zu sein, ist auch nicht so gut. Wer sich neben den Chef setzt, wird vielleicht für einen Schleimer gehalten, wer zu weit weg sitzt, könnte in den Augen des Vorgesetzten desinteressiert wirken. Oder der Chef könnte dann glauben, der Mitarbeiter könne ihn nicht leiden.«

      »Dann wird ja jeder versuchen, irgendwo in mittlerer Entfernung zu sitzen.« Das Gerangel stelle ich mir gerade bildlich vor. »Irgendjemand muss aber den Schwarzen Peter ziehen.«

      Hong nickt und erklärt weiter: »Auch bei der Bestellung im Restaurant können Neulinge in China Fehler machen. Außergewöhnliche Speisen erregen immer Aufmerksamkeit und das ist gar nicht gut. Chinesen neigen mehr zum Understatement.«

      »Also bloß nicht auffallen?«, folgere ich.

      »Genau! Und solltest du zufällig auf die Idee kommen, Affenhirn zu bestellen, könnte man dich als gewalttätig einstufen, denn um an das Gehirn zu gelangen, schlägt der Koch einem lebendigen Affen den Schädel ein.«

      Meine Gesichtsmuskeln verziehen sich schmerzhaft und angeekelt. »Danke für den Tipp, aber Affenhirn werde ich wohl zu Lebzeiten nicht probieren.«

      Beim chinesischen Geschäftsessen läuft es folgendermaßen: Jeder bestellt eine Speise, die dann auf ein großes drehendes Rondell in der Mitte des Tisches gestellt wird. Üblicherweise ordert der Gastgeber ein Gericht mehr, als Gäste am Tisch sitzen, denn niemand soll schließlich denken, der Chef sei ein Geizkragen.

      »Und es ist höflich, von allem etwas zu probieren«, mahnt Hong. »Auf keinen Fall solltest du dich nur auf deine Leibspeise konzentrieren und alles andere links liegen lassen.«

      Mein Gedankenkarusell ist aktiviert, denn schon des Öfteren habe ich bei Geschäftsessen nur das gegessen, was ich mag. Hoffentlich ist das keinem aufgefallen. Vielleicht bekommt man ja auch als Ausländer einen kleinen Nachsichtigkeitsbonus.

      »So ein gemeinsames Essen mit der Firma ist natürlich auch eine gute Gelegenheit, mit dem Chef ein bisschen zu plaudern. Bei Fragen solltest du jedoch niemals zugeben, etwas nicht zu wissen, sondern einfach irgendeine plausibel klingende Antwort geben, auch wenn sie falsch ist. Chefs mögen vor allem Leute, die sich Zahlen, Daten und Fakten merken können.«

      »Moment mal«, unterbreche ich meine Frau verwirrt. »Ich soll lieber falsche Antworten geben als gar keine?«

      »Richtig«, bestätigt Hong, »denn die Antwort nicht zu kennen, wird man dir als Gesichtsverlust auslegen, und das ist immer peinlich. Wenn du fertig gegessen hast, alles stehenlassen und gehen. Der Gastgeber wird bestimmen, welche übrigen Speisen eingepackt und mitgenommen werden. Das Einpacken übernimmt die Bedienung. Das kennst du ja schon. Und dann …« Der letzte Satz geht in Husten unter.

      Das gefällt mir gar nicht und ich rate ihr, dringend etwas dagegen zu unternehmen, denn Dauerhusten kann zu chronischer Bronchitis und schließlich zu einer Lungenentzündung führen.

      Hong hat momentan andere Probleme, denn sie schlägt sich mit Fliegen und Moskitos herum. Weil sie ihr Moskitospray vergessen hat, muss sie alle Viecher von Hand totschlagen.

      Mich lassen diese Insekten in Ruhe, aber ich schreibe mir in Gedanken bereits eine Einkaufsliste für wichtige Dinge. Dabei trinke ich noch ein Glas Wein.

      »Wein enthält viele Sulfite, aus denen werden Sulfate und daraus kann Krebs entstehen.«

      Um ihre eigene Gesundheit macht sich Hong offenbar keine Sorgen, dafür umso mehr um meine. Seufzend gebe ich mich geschlagen und bestelle einen Traubensaft. Chinesische Investoren kaufen immer mehr Weingüter auf der ganzen Welt auf, da bleiben in China noch viele Gelegenheiten für einen guten Tropfen.

      Mein Magen schmerzt mal wieder. Das Sodbrennen nährt meinen Verdacht, dass auch in dem Thaiessen zu viel Zucker und künstliche Geschmacksverstärker verwendet worden sind. Sodbrennen führt zu Magengeschwüren und die können sich eines Tages ebenso zu Krebs weiterentwickeln, nehme ich Hongs Denkweise auf. In China kaufen viele Ausländer mittlerweile Obst und Gemüse frisch auf dem Markt und bereiten es zuhause selbst zu, das ist am gesündesten und am billigsten. Eigentlich müsste man nur kochen können und alle Probleme wären gelöst.

      Mal wieder ohne Zusammenhang meint Hong, wir würden gut zusammen passen.

      Da stimmt was nicht, ahne ich und sollte Recht behalten.

      »Ich bin schnell, du bist langsam. Ich bin klug, du bist dumm. Ich bin reich, du bist arm, ich bin hübsch und du bist hässlich, ich bin hart und du bist weich, ich bin großzügig und du bist geizig. Außerdem bin ich stark und du bist schwach.«

      »Ein tolles Team sind wir«, sage ich zum Spaß, da ich weiß, dass Widerspruch nur Ärger bringt.

      Zwei Tage später steht der Umzug in das andere Hotel in Süd-Pattaya an, das mehr in der Natur und näher zur Stadtmitte liegt. Gestern haben wir uns einen Ausruhtag gegönnt, da Hong trotz des Hustensaftes immer noch stark hustet und sich erholen wollte. Ich habe mir etwas Bewegung in einem Tai-Chi-Kurs und im Swimmingpool verschafft.

      Nun fahren wir mit dem kostenlosen Hoteltaxi auf der morgendlichen Route in die Stadtmitte. Da es leider nicht bis zu unserem Ziel fährt, gehen wir mit unseren rollenden Koffern die letzten paar Meter zum Krankenhaus zu Fuß, um den Husten endlich richtig behandeln zu lassen.

      »Wäre es nicht sinnvoller gewesen, uns mit einem Taxi bis zum neuen Hotel fahren zu lassen, einzuchecken und die Koffer wenigstens abzustellen, statt mit Sack und Pack ins Krankenhaus zu gehen?« Hong schaut mich fast anklagend an.

      Ich sehe das anders. »Das neue Hotel liegt im Süden, wir würden viel Zeit verlieren. Zudem können wir erst nach dem Mittagessen einchecken. Wir hätten uns direkt mit dem Taxi zum Krankenhaus fahren lassen können, aber das hätte wieder Geld gekostet und du willst ja nicht so viel ausgeben. Ich denke, wir haben den preiswertesten und schnellsten Weg gewählt.«

      Unsere Diskussion hat zur Folge, dass wir schon in der Klinik angekommen sind. Die Untersuchung zeigt, dass Hong glücklicherweise noch keinen Lungenschaden hat. Sie bekommt einige Medikamente verschrieben und muss sich an die Anweisungen halten, wie die Tropfen und Tabletten einzunehmen sind. Zudem soll sie sich schonen und braucht nicht wiederzukommen, wenn eine Besserung eintritt. Sie bezahlt alles mit ihrer Kreditkarte.

      Für die Fahrt zum Fünfsternehotel nutzen wir doch ein Taxi, da ein Spaziergang mit sämtlichem Gepäck sicher nicht zu Hongs Schonung beiträgt. Aber ganz so schlecht scheint es ihr nicht zu gehen, denn nach dem Einchecken wirft sie mir fast feindselig vor, die schwarzhaarige Thai-Dame in rotem Kleid an der Rezeption angelächelt zu haben, die sogar zurückgelächelt haben soll.

      Das hatte ich weder bemerkt noch beabsichtigt. »Es ist im Tourismusbetrieb üblich, dass die Angestellten an der Hotelrezeption die Gäste mit einem Lächeln begrüßen und deren Angelegenheiten auch so regeln«, rechtfertige ich mich, denn ich will im Urlaub keinen Streit wegen Hongs übertriebener Eifersucht hervorrufen. Es gab schon mehrere solcher Fälle und ich glaube, sie beruhigt sich wieder, wenn ich den Ball flach halte.

      Abends spazieren wir am Strand entlang und genießen ein gutes Essen. Doch Hong beklagt ihre Mückenstiche und beschwert sich bei mir: »Du liebst mich nicht, sonst hättest du an das Moskitospray gedacht«.

      Ich habe anschließend gleich Moskitospray gekauft.

      In der Nacht regnet es. Bevor