Kanghan YUAN

Einer der auszog, um reich zu werden


Скачать книгу

werden, veräußert, damit die Banken nicht darauf sitzen bleiben.

      Ich überschlage die Zahlen und erkläre Hong, dass diese Eigentumswohnung zu teuer sei. Der Gerichtshof will verdienen, der Gläubiger auch.

      »Das ist vermutlich auch nur der Einstiegspreis zum Verhandeln«, weiß ich aus Erfahrung. Trotz des hohen Einstiegspreises finde ich das Objekt interessant und schlage eine Wohnungsbesichtigung vor, doch dann bemerken wir, dass die Kaution für die Versteigerung stolze 300.000 RMB, rund 40.500 Euro, beträgt.

      Ich überfliege das Kleingedruckte. »Hier steht, man bekommt später sein Geld zurück, aber die Frage ist wann. Solange die das Geld haben, können die Behörden und Banken damit arbeiten«, gebe ich zu bedenken.

      Hong reagiert aufgebracht: »Das ist chinesische Kriminalität, gedeckt und initiiert vom Staat. Lassen wir lieber Finger davon, denn es ist wie bei einem Hund, dem du ein Stück Fleisch gibst, du bekommst es nie mehr zurück.« Sie muss es ja wissen, sie hatte schließlich mal einen Hund gehabt.

      Am Sonntagmorgen fängt es an, leicht zu schneien. Da Hong weiterschlafen will, jogge ich allein. Danach rufe ich meinen Fahrer an, um mit seiner Hilfe eine Polizeistation in Taicang zu finden, die die Geschichte von dem Autounfall mit dem Hund glaubt. Hong bekommt ein Formular zum Ausfüllen für die Versicherung des Autos. Zum Dank überreiche ich dem Fahrer ein Geschenk, das ich zu diesem Zweck von zuhause mitgenommen hatte. Dieses Geschenk hatte ich vor zwei Tagen von der Bank für meine Geldanlage erhalten. Alles läuft wie geschmiert.

      Während des Tages räume ich mein Büro auf, sortiere Papiere in Ordner oder schreddere sie. Hong zieht mit zu mir nach oben, so dass wir nur noch ein Büro heizen müssen und Geld sparen können. Sie arbeitet an ihrem Laptop gegenüber und ermahnt mich mehrmals, jedes Papier vor dem Schreddern gründlich zu überprüfen. Nun frage ich mich, ob es ihr tatsächlich ums Geldsparen geht oder ob sie mir nur kontrollieren möchte.

      Nach dem Abendessen telefoniere ich mit Daniel in Deutschland und Hong mit ihrer Mutter. Wir gehen diesmal früher als sonst ins Bett. Die Wärmflasche ist schon mit heißem Wasser gefüllt.

      Währenddessen mache ich mich mit dem Flugzeug vom Shanghaier Inland-Flughafen Hongqiao auf den Weg, um einen Lieferanten im etwa fünfhundert Kilometer entfernten Qingdao in der Shandong-Provinz zu besuchen. Der Businesstrip soll zwei Tage dauern und ich habe Hong versprochen, morgen Abend wieder zurück zu sein. Wie in China üblich werden mein Kollege, ein chinesischer Einkäufer, und ich mit einer Limousine abgeholt, um in das Werk des Lieferanten außerhalb der Stadt gebracht zu werden.

      Zu meinem Leidwesen muss ich feststellen, dass die von uns beauftragte Platte wesentlich dicker ist als die der Konkurrenz. Weiterhin bemängele ich, dass das Material auf der Zeichnung nicht für Drehteile geeignet sei. Mein Kollege lenkt ein, es liege an den Standardisierungsbestrebungen der Firma. Ich bin jedoch der Meinung, dass bei dem Materialkostenanteil am Produkt der Verlust wesentlich höher sei als jedwede Einsparung durch Standardisierung. Außerdem produziere das Drehteil lange Späne und bei diesem neuen Material müsste ein Arbeiter diese Abfälle alle paar Sekunden entfernen, sonst würden sie sich um die Drehmeißel wickeln und das könnte richtig gefährlich werden. Mein Einkäufer sagt mir, deren Vorgaben kämen vom Headquarter, die chinesischen Konstrukteure hätten keine Erlaubnis irgendetwas zu ändern.

      Ich verdrehe die Augen. Das alte »Copy-&-paste-Verfahren«. Aber warum beschützt der Einkäufer den Lieferanten, anstatt mir bei der Argumentation zu helfen? Mir wird klar, dass er die gute Beziehung, die er in den letzten Jahren aufgebaut hat, nicht gefährden und so ein angenehmes Arbeiten ohne Stress haben will.

      Nach der Besprechung werden wir vom Lieferanten zum Abendessen eingeladen. Wir sitzen an einem runden Tisch im vorbestellten und vorgeheizten Nebenraum eines traditionellen Restaurants. Ich verlange einen warmen Gelben Wein. Der hat weniger Alkohol als Rotwein und Schnaps, macht deshalb nicht so schnell beschwipst und erhält die Denkfähigkeit länger. Seine Wärme tut in dieser kalten Jahreszeit ebenso gut. Ich gebe der Bedienung den Fotoapparat, damit sie von der ganzen Gruppe ein Bild zum Andenken knipst.

      Im Hotelzimmer angekommen beginnt das Sodbrennen und dauert bis in den Morgen. Ich bin mir sicher, dass im gestrigen Essen sehr viele künstliche Geschmacksverstärker enthalten gewesen sein müssen. Die sind immer die Ursache für mein Sodbrennen.

      Beim gemeinsamen Frühstück pflichtet mir mein Kollege bei: »Glutamat ist eine chinesische Tradition, verursacht bei Chinesen jedoch keine Probleme. Chinesische Mägen haben sich seit Jahrhunderten an diesen Stoff gewöhnt, dein Magen verträgt das nicht so gut.«

      Draußen lassen die chinesischen Fahrer die Autos in der Kälte warm laufen, damit die Gäste und der Fahrer nicht frieren. Mir ist die dadurch entstehende Umweltverschmutzung zuwider. Kein Wunder, dass das Land solch hohe Feinstaubwerte erreicht. Jeder denkt hier nur an sich, nicht an die Umwelt. Über die Verschmutzung und den Smog wird nur geredet, keiner tut etwas dagegen.

      Wir werden zu einem Unterlieferanten gebracht, bei dem ich die Daten vom Fertigungsprozess der Platte aufnehme und meine Ideen zur Kostenreduzierung diskutiere.

      Am Nachmittag auf der Fahrt zum Flughafen unterhalten wir uns über die Kulturunterschiede zwischen Ost und West.

      »Ich kenne da einige deutsche Unternehmen, die einfach nicht verhandeln wollen. Die kriegen keine Aufträge und machen schon seit ewigen Zeiten Verluste in China!«, regt sich mein Einkäufer auf.

      Ich erwidere, dass es diesen Deutschen wohl am nötigen Know-how fehle, wie in China Geschäfte gemacht würden. Oft behaupteten sie, sie hätten Vorgaben von der deutschen Zentrale, die sie nicht verändern dürften. Das werde sich nur ändern, wenn die Firma pleite sei und von anderen übernommen würde, die dann das Management austauschten. Ich weiß auch, dass die meisten Deutschen gleich mit dem Kopf durch die Wand wollen. Die Chinesen hingegen gehen um die Wand herum, sie sind pragmatischer und flexibler. Ich mache es mittlerweile genauso und bin nicht mehr so stur wie früher.

      Am Flughafen kaufe ich noch eine Kleinigkeit für meine Frau. An Bord ist es wahnsinnig eng und ich muss meine langen Beine nach außen drehen, damit ich mich hinsetzen kann. Dummerweise habe ich die Essenseinladung vom Lieferanten ausgeschlagen, damit wir den Flug nicht verpassen. Unsere Firma finanziert auf dem eineinhalbstündigen Flug kein Essen, so dass ich Hunger leiden muss. Immer diese Sparmaßnahmen. Hoffentlich wartet zuhause ein leckeres Abendessen auf mich.

      Hongs Eltern sind bereits in Taicang eingetroffen, um gemeinsam mit uns den Abschluss des fünfzehntägigen Frühlingsfestes mit dem Laternenfestival gebührend zu feiern. Wu Meilan hat das Haus mit vielen hübschen Lampions verziert, um den Geistern den Weg nach Hause zu erleichtern. Auch Kerzen werden zu diesem Zweck draußen angezündet und viele Menschen tragen kleine Laternen die Straßen entlang. Kulinarisch gibt es natürlich auch etwas zu bieten. Was dem Deutschen sein Berliner Pfannkuchen in der Karnelvalszeit ist dem Chinesen sein Tāngyuán, ein Klößchen aus klebrigem Reismehl mit süßer Füllung, zum Laternenfest.

      Da es gerade so schön festlich it, überreiche ich Hong fröhlich meine Geschenke zum morgigen Valentinstag, einen Regenschirm und eine Delikatesse aus Qingdao, Guotie genannt. Das sind leicht geröstete Teigtaschen mit Fleisch- oder Gemüsefüllung.

      Während Li Gengnan das Abendessen vorbereitet, gönnen Hong und ich uns noch eine Joggingrunde. Dabei erzählt sie mir von früheren Zeiten.

      »Frauen aus reichen Familien durften aus Sicherheitsgründen ein Leben lang das Haus nicht verlassen.