Nané Lénard

SchattenSchnee


Скачать книгу

Hause, aber er musste zugeben, dass er mit diesem Momo Dietsch schon mal ein, zwei Bierchen getrunken hatte. Wenn er sich auch nicht mehr daran erinnern konnte, ob das im „Lilly’s“ oder im „Bistro“ gewesen war. Möglicherweise auch in der „Falle“.

      „Ist doch prima“, freute sich Detlef und klopfte ihm auf die Schulter. „So ein Vertrauensverhältnis muss man ausnutzen.“

      „Ich will aber doch gar nichts von ihm“, wandte Peter ein.

      „Vielleicht doch“, überlegte Detlef, „man weiß ja nie. Möglicherweise hat er was gehört oder gesehen. Frag ihn einfach. Ich mache jetzt Feierabend. War ein langer Tag.“

      Nadine seufzte. „Stimmt, wir schließen uns an. Du kommst den Moment doch alleine klar, oder?“

      „Ja, ja, haut ruhig alle ab“, brummelte Peter, meinte es aber nicht so. Lange würde er sich mit dem Pressefritzen sowieso nicht aufhalten, weil sie beschlossen hatten, kaum etwas preiszugeben. Schwerfällig stapfte er die Treppen hinab. Vom langen Sitzen war er etwas steif geworden. Es war tatsächlich Dietsch, der da unten im Flur saß und auf ihn wartete.

      „Na, dann mal rein in die gute Stube“, sagte er und wies ihm den Weg.

      Falls Momo gehofft hatte, irgendwelche Fotos oder Spekulationen an den Wänden zu entdecken, musste er enttäuscht sein. Peter brachte ihn in einen Raum, in dem nichts vom aktuellen Fall zu sehen war.

      „Was kann ich für dich tun?“, fragte Peter.

      „Komm, jetzt tu nicht so scheinheilig“, antwortete Momo. „Wen habt ihr heute im Herminenpark gefunden?“

      Peter stellte sich doof und zuckte mit den Schultern. „Wie meinst du das?“

      „Erzähl mir nicht, dass ihr da das große Programm fahrt, wenn es nur um Körperverletzung oder Raub geht. Ich habe den Seppi von der SpuSi gesehen. Das ist ja wohl eindeutig. Es geht um Mord.“

      „Dann weißt du mehr als wir“, hielt Peter ihn hin. „Selbst wenn da einer tot lag, gibt es immer mehrere Möglichkeiten. Zum Beispiel Unfall, Totschlag, um nur zwei zu nennen.“

      „Du bist nicht sehr kooperativ“, beschwerte sich Momo. „Könnte sein, dass ich euch weiterhelfen kann. Ich weiß nämlich längst, dass es sich um eine tote Frau handeln muss, jung und schön wahrscheinlich.“

      Jetzt war Peter verdutzt. „Schießt du hier einen Versuchsballon ab, oder was?“

      „Nee, was denkst du, warum ich hier bin. Ich hatte eine Informantin, wenn auch eher durch die Blume.“

      „Ich verstehe nur Bahnhof“, gab Peter zu.

      „Gibst du zu, dass ihr eine Tote gefunden habt?“, hakte Momo nach.

      „Na gut, das ist ja nicht länger zu verheimlichen“, lenkte Peter ein. „Woher weißt du das?“

      Momo schmunzelte. „Ich hab da so eine verhuschte Alte als Nachbarin. Die hat sie wahrscheinlich als Erste gesehen, aber falsch interpretiert.“

      „Wie kann man eine Leiche fehlinterpretieren? Tot ist tot“, bemerkte Peter.

      „Ich nehme mal an, die Frau war verkleidet?“, wollte Momo wissen.

      Peter fehlten die Worte. „Äh, ähm, also …“

      „Also ja“, nahm Momo ihm den Satz ab. „Und wie sah sie genau aus?“

      „Tut mir leid, aber von den Details soll noch nichts nach außen dringen“, berichtete Peter.

      „Ist es aber längst“, erklärte Momo. „Euren Engel könnt ihr nicht mehr geheim halten.“

      „Scheiße“, entfuhr es Peter, und Momo war mehr als zufrieden mit diesem Zugeständnis.

      „Ist halt Schicksal, wenn betagte Frauen mit seniler Bettflucht frühmorgens durch Parks geistern“, sagte der Journalist.

      Peter atmete einmal tief durch.

      „Weißt du, ich bin fair und sage dir jetzt, dass die Alte meint, einen Rauschgoldengel gesehen zu haben. Sie hat es für eine Art Installation gehalten. Moderne Kunst zum Advent in Lebensgröße. Ich ahne natürlich, dass es sich um eine lockige Blonde gehandelt haben muss, die jemand um die Ecke gebracht hat. Wozu sonst dieser Aufwand mit der künstlerischen Darstellung? So was macht doch niemand.“

      Momo sah Peter eindringlich an. „Also? Arbeiten wir Hand in Hand? Ich verspreche auch, nichts preiszugeben, was nicht bekannt werden soll.“

      Peter dachte kurz über die Möglichkeit nach, dass Momo selbst der Täter sein könnte, verwarf diese aber im selben Atemzug. Die Fantasie brächte er vielleicht auf, aber nicht die kriminelle Energie.

      „Okay, Deal“, sagte er. „Komm mit!“ Dann führte er Momo in den Besprechungsraum. Als dieser die Fotos vom Fundort sah, wurde ihm ganz anders.

      „Wenn die nicht so blau wäre, würde ich sagen, sie lebt noch“, staunte Momo Dietsch. „Wisst ihr, wer sie ist?“

      „Leider nein“, gab Peter zu, „aber wir wollen erst mal noch nicht mit einem Foto an die Öffentlichkeit.“

      „Sag mal, steht da oben über ihrem Kopf was geschrieben?“, erkundigte sich Momo.

      Peter nickte. „Ja, aber was, womit keiner was anfangen kann.“

      „Willst du’s mir verraten?“, fragte der Journalist. „Vielleicht fällt mir was ein.“

      „Von mir aus“, sagte Peter. „Da steht ,ALDRIG MOR’. Bist du jetzt schlauer?“

      „Nicht die Bohne“, musste Momo zugeben und stellte all die Überlegungen an, die sie im Team auch erörtert hatten.

      „So schlau waren wir auch schon“, informierte Peter ihn. „Hast du nix Besseres auf Lager?“

      „Noch nicht, aber was nicht ist, kann ja noch werden. Ich schlage vor, wir bleiben in Verbindung.“ Er zückte seine Visitenkarte und Peter gab ihm seine.

      „Stillschweigen über alles, klar?“, machte Peter noch einmal deutlich.

      Aber obwohl Momo nickte und winkte, war er längst mit seinen Gedanken ganz weit fort, als er die Treppe hinabstieg. Vielleicht hatte jeder der Anfangsbuchstaben etwas zu bedeuten und verbarg einen Satz, der die Ermittler weiterbrachte. Das schien ihm die wahrscheinlichste Möglichkeit zu sein – ein Rätsel – und er wollte es entschlüsseln.

      Nächtliche Grübeleien

      Manchmal nervte es Nadja extrem, dass bestimmte Untersuchungen in ihrem Institut so ewig dauerten. Wie lahmgelegt fühlte sie sich dann, zum Warten verdammt. In dieser Zeit konnte sie zwar andere Dinge tun oder Mutmaßungen anstellen, aber es waren doch oft nur Spekulationen, die nicht in die richtige Richtung führten, von einigen Ausnahmen einmal abgesehen.

      Auch jetzt lag sie nachts wach, obwohl sie eigentlich hundemüde war, weil der Fall sie nicht losließ. Das mochte damit zu tun haben, dass sie selbst nach einer Eileiterschwangerschaft nie mehr Kinder haben konnte. Dieser Fall erinnerte sie wieder an die Vergangenheit. Mist, dachte sie, in den Ovarien habe ich überhaupt nicht nachgesehen. Der erhöhte HCG-Wert könnte natürlich auch bei dieser Frau auf so eine Komplikation hindeuten, wenn sich in der Gebärmutter nichts eingenistet hatte. Aber warum war sie dann entfernt und hineingelegt, aber nicht aufgeschnitten worden?, wenn einer Gewissheit haben wollte. So wusste er gar nichts. Sicher, ein Ultraschall hätte den leeren Raum gezeigt, doch bestimmt hatte der Mörder kein solch kostspieliges Gerät zur Verfügung. Und warum hatte er sich nicht sicher sein wollen? Wenn ein Schwangerschaftstest nun auf die Gravidität hingewiesen hätte, überlegte sie, hätte man doch normalerweise darauf vertraut, dass das so stimmt. Doch hier war es nicht so. Abnorme Verläufe waren im Vergleich selten. Darum fragte sie sich: Wie ließen sich die Aktionen des Täters deuten? Sie spielte folgende Gedankenmodelle durch:

      Variante A: Eine Schwangerschaft war nicht gewollt. Der Täter entfernt das Organ und