helfen. Da kam so manches zur Sprache.«
»Memoiren.« Helena horchte auf. »Könnte ich das Manuskript sehen?«
Monika stutzte und bedachte sie mit einem intensiven Blick. »Er hat Tag und Nacht daran gearbeitet. Das war ihm ganz wichtig. Ich hatte ihm letzte Woche die ersten Ausdrucke vorbeigebracht. In einem blauen Schnellhefter. Der muss auf seinem Schreibtisch gelegen haben.«
Helena war irritiert. »Auf dem Schreibtisch lag nichts. Da war alles sehr aufgeräumt. Ganz sicher lag da kein Manuskript.«
Ob die Spusis den Hefter eingesackt hatten? Sie musste unbedingt Marco Baumgart danach fragen.
»Merkwürdig.« Monika zog die Augenbrauen zusammen und hob die Schultern.
»In einer Vitrine standen Tagebücher. Etliche Bände. Die haben wir mitgenommen.«
»Tagebücher. Ja klar. Er hat akribisch Tagebuch geführt.« Monika Blankenhain nickte nachdenklich. Dann stand sie auf und ging hinter den Schreibtisch zu ihrem Computer. Klickte ein paar Mal, wartete einen Moment, dann übergab sie Helena einen USB-Stick. »Versprechen Sie sich nicht zu viel davon. Es ist eine äußerst geschönte Version seines Lebens. Mit etlichen Lücken. Das Manuskript ist auch noch nicht fertig. Da ist noch einiges zu überarbeiten. Aber es gibt einen ersten Einblick über sein Leben. Zumindest wie er es sah. Allerdings, je länger ich mich damit beschäftige, umso mehr fällt mir auf, was für ein positives Selbstbild er hatte. Wenn man seine Memoiren liest, meint man, er war ein vorbildlicher Ritter ohne Furcht und Tadel.«
»Und das war er nicht?«
»Alles, was nicht in sein Weltbild passt, hat er ausgelassen. Dazu gehört auch viel Privates. Das Berufliche kann ich nicht beurteilen, aber ich denke, da wird es sich nicht anders verhalten. Ich hab ihn mehrmals darauf angesprochen. Aber er beharrte darauf, die Politik sei sein Leben gewesen. Das Private müsse privat bleiben. Das ginge die Welt nichts an.«
Helena blickte in Monika Blankenhains Gesicht, das ihr jetzt trotz der Schminke durchsichtig erschien und in dem sie so viel Widersprüchliches gespiegelt sah. Kummer, Schmerz, Trauer, Ärger, und auch das: verlorene Liebe.
»Gibt es ein schönes Erlebnis, das Sie mit Ihrem Vater in Verbindung bringen?«, fragte sie, einer plötzlichen Intuition folgend.
Monika Blankenhain sah überrascht auf. Sie blinzelte ein paar Mal, schien zu überlegen, dann erschien ein kleines, unsicheres Lächeln auf ihrem Gesicht. »Doch. Das gibt es schon. Er war ja kein Unmensch. Nicht, dass Sie das jetzt denken. Einmal, da waren wir in den Bergen wandern. Ich war noch klein, vielleicht sechs oder sieben, und wurde sehr müde. Erst hat er mich angepflaumt, ich solle mich nicht so hängen lassen, da hab ich geweint. Als er merkte, dass ich wirklich nicht mehr konnte, hat er mich auf den Rücken genommen und huckepack getragen. Den ganzen Weg. Ich hatte die Arme um seinen Hals gelegt. Den Kopf an seinem Kopf. Das war schön, ihn so nah zu spüren.« Ihre Augen wurden feucht. Sie schluckte. Zog geräuschvoll Luft durch die Nase. »Und wir haben manchmal Mensch-ärgere-dich-nicht gespielt. Da hat er mich immer gewinnen lassen. Jedenfalls so lange, bis ich ihn durchschaute. Danach sah er mich als adäquate Spielpartnerin. Und da hab ich fast nur verloren.« Eine Träne kullerte ihre Wange hinunter. »Es war das einzige Spiel, das wir miteinander gespielt haben.«
Helena biss sich auf die Lippen. Wieder schob sich eine Episode von früher in ihre Gedanken. Ihr Vater, als er noch ihr Vater war, wie er den Würfel in seiner Hand drehte, wie er spielerisch draufspuckte und dabei Itschi, die Glücksgöttin anrief, ihm doch bitte, bitte eine Sechs zu bescheren. Und wenn er tatsächlich die Sechs gewürfelt hatte, dann gab er dem Würfel einen kleinen unauffälligen Schubs.
Sie stand auf. »Ich danke Ihnen.« Sie nahm den Stick und hielt ihn hoch. »Das hier ist sicher sehr hilfreich.«
»Wenn Sie es durchhaben, dürfen Sie mich gern nochmal kontaktieren. Und …« Sie brach ab.
»Ja?«
»Die Tagebücher. Was geschieht mit denen?«
»Wenn wir sie nicht mehr brauchen, gehen sie an die rechtmäßigen Besitzer zurück. Und das dürften in dem Fall Sie sein.«
Psychologen, dachte sie im Hinausgehen. Sie sollen erklären, wie der Mensch funktioniert, was ihn innerlich antreibt. Nicht selten ergriffen sie diesen Beruf, weil sie ihr eigenes Inneres verstehen wollten. Das nachvollziehen können, was sie selbst antreibt. Den eigenen seelischen Deformationen auf die Spur kommen. Helena hatte etliche dieser Spezies kennengelernt, um dies beurteilen zu können. Diesseits und jenseits des Schreibtisches. Im gleichen Moment dachte sie: Und warum wird man wohl Polizist? Folgte nicht jeder irgendeinem Trieb, der ihn vorwärts brachte und ihn die Dinge tun ließ, die er selbst für notwendig hielt. Genau das hatte auch Heribert Blankenhain getan.
Ich hab sie gar nicht nach ihrem Alibi gefragt, fiel Helena ein, als sie die Tür hinter sich zuzog. Aber das ließ sich nachholen.
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