Bernhard Wucherer

Der Geheimbund der 45


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etwas darüber zu erzählen: »Tres est numerus perfectus!«, begann er in bestem Latein und meinte damit, dass die Zahl Drei auf Vollkommenheit hinwies. »Denn erst was sich in der Trias fassen lässt, kann getrost in sich ruhen und ist ein abgeschlossenes Ganzes – genau wie unsere göttliche Dreifaltigkeit!« Kaum hatte er dies gesagt und einen weiteren Schluck genommen, fielen ihm die Augen zu.

      Zum Zeichen dafür, dass die anderen ihn gewähren lassen und um Gottes willen ja nicht seinen himmlischen Schlaf stören sollten, legte der Graf einen Zeigefinger auf seine Lippen. Zu seiner Erleichterung schlief der Prior tatsächlich noch am Tisch ein. Um nichts mehr über das Amulett und den mutmaßlich damit verbundenen Geheimbund hören zu müssen, bedeutete der Graf den anderen mit einer weiteren Geste, sich leise zu erheben und den Speisesaal zu verlassen. In dieser Nacht würde er selbst wohl keinen Schlaf finden, zu sehr würde ihm die Zahl Drei im Kopf herumschwirren.

      *

      Die Zeit verging wie im Flug. Bei der Planung zum Bau des Klosters in Ysinensi lief ebenso alles gut wie bei den anderen Vorbereitungen. Deswegen war Manegold I. Graf von Altshausen-Veringen zu beschäftigt, um ständig an das Amulett denken zu können. Nach wie vor trug er es tagtäglich so unter dem Hemd um seinen Hals, dass niemand es sah. Dennoch war ihm nicht wohl in seiner Haut. Gerade nachts hatte er oft das Gefühl, als wenn sich die Konturen des Amuletts in seine Haut brennen würden. Dies hatte meist zur Folge, dass er heftig schnaufend aufwachte und Schmerzen in der gesamten Brustgegend hatte. Oder bildete er sich dies alles nur ein?

      Was sollte er tun?

      Als es so weit war und in Kürze der Grundstein für das Kloster gelegt werden sollte, hatte er keine Zeit mehr, sich Gedanken um das Amulett zu machen.

      *

      Für Hannes Eberz, Michael Eberz’ Sohn, sollte der Baubeginn zu einem schmerzlichen Akt geraten, weil ausgerechnet er die Holzkirche abreißen musste, die sein Großvater Gerold vor fünfzig Jahren mit seinen eigenen Händen in Fronarbeit errichtet hatte. Dass genau an diese Stelle der Sakralbau der neuen, wesentlich größeren Kirche kommen sollte, machte die Sache nicht leichter für ihn. Aber der gute Fortgang des Kirchenbaus und der restlichen Klosteranlage versöhnten ihn nach und nach wieder mit Gott und der Welt.

      Denn sowohl Graf Manegold als auch der designierte erste Abt gleichen Namens und nicht zuletzt Hannes Eberz selbst, der seinem Großvater etliche Jahre später im Amt gefolgt und vom neuen Grundherrn zum Mair von Ysinensi bestallt worden war, taten alles, um den Klosterbau möglichst rasch voranschreiten zu lassen. Im Gegensatz zum ersten Kirchenbau sorgte nun ein Heer von Baumeistern und Handwerkern aller Gewerke dafür, dass bis zur feierlichen Weihe und zur von Papst Urban II. gesegneten Amtseinführung des Abtes, der für seine Gottesfurcht bekannt war und selbst dem Geschlecht der Grafen von Veringen entstammte, alles nach Plan verlief.

      Kapitel 5

      Die Gründung und die Einweihung des neuen Benediktinerklosters in Ysinensi waren auf Wunsch des neu eingesetzten Abtes Manegold weitaus bescheidener ausgefallen als die Weihe der ersten Kirche vor nunmehr vierundfünfzig Jahren. Die Übernahme der Klosteranlage durch Benediktinermönche aus Altshausen, vornehmlich aber aus Hirsau, war gemäß den Regeln des kontemplativ ausgerichteten Ordens nach vorne gerichtet und nicht auf eine schnell vergängliche Völlerei reduziert. Denn jeder der Mönche musste im Laufe seines Ordenslebens mit »Ora et labora et lege« drei Gelübde ablegen, an die er sich stets zu halten hatte. Bete und arbeite und lies! Diese drei Vorgaben ließen wenig Zeit für profane Dinge. Anstatt die gelungene Klostergründung und den einzugsfertigen Klosterbau tagelang zu feiern, legten die Mönche innerhalb ihrer Mauern weitläufige Gärten an. Dazu sollte auch ein Kräutergarten nach der »capitularis de villis vel curtis imperii« gehören, der überlieferten »Landgüterverordnung« von Karl dem Großen höchstpersönlich.

      Trotz der gottgefälligen Klosterübergabe hatte Manegold I. Graf von Altshausen-Veringen die Gelegenheit genutzt, dem Mair Hannes Eberz in einem eigenen kleinen Festakt den Titel »Herr« zu übertragen. Denn aus dem Sohn des Schwarzfischers und Wilddiebs war längst ein hoch angesehener Mann geworden, der sich durch seine herzliche und verbindende Art sowie durch seine ständig an den Tag gelegte Klugheit und Weitsicht den Respekt seines Grundherrn verdient hatte. Ihm war keine Arbeit zu viel, wenn es um die Belange seines geliebten Heimatdorfes und des Klosters ging. Um Ysinensi in eine gute Zukunft zu bringen, ließ er sich vom Klosterscholaster sogar Schreiben, Lesen und Rechnen beibringen. Außer dem Medicus, den es in Ysinensi mittlerweile gab, und dem Pfarrer war er außerhalb des Klosters der Einzige, der diese Künste bald beherrschen würde.

      Der »Herr Dorfvorsteher«, wie Hannes Eberz mehr und mehr bezeichnet wurde, seine Dörfler, Abt Manegold und seine Mönche taten alles, um nicht nur das Kloster, sondern auch das Dorf weiter nach vorne zu bringen – ein fürwahr schwieriges Unterfangen für beide Seiten. Dennoch siedelten sich immer mehr Handwerker an, aber auch neu hinzugezogene Kaufleute sorgten dafür, dass die hier produzierten Waren den Weg in immer fernere Länder fanden. Von dort brachten die Händler orientalische Gewürze, Seidenstoffe und allerlei mehr oder weniger wichtigen Tand mit, um ihn im gesamten Allgäu, in Westschwaben und um das Mare Brigantium herum unter die Leute zu bringen. Die an Ysinensi vorbeiführende Handelsstraße leistete ihren Beitrag dazu, den Ort in jeder Hinsicht für auswärtige Menschen interessanter zu machen – so interessant sogar, dass sich zum Missfallen des Pfarrers inmitten der christlich geprägten Dorfgemeinschaft auch eine Gunstgewerblerin niederließ. Als er ihr einen Platz hinter der Metzig, weit abseits der Dorfmitte zuwies, wurde Hannes Eberz klar, dass er eine klare Struktur in die Gestaltung seines Dorfes bringen musste. Denn genau so, wie sich die Gunstgewerblerin – ohne den Dorfvorsteher zuvor um Genehmigung gefragt zu haben – mitten im Dorf hatte niederlassen wollen, fingen auch andere Siedler an, ihre Zelte einfach dort aufzuschlagen, wo sie es für richtig hielten. Dies ließ Hannes Eberz nicht zu und wies sie in die Schranken, indem er der Länge nach durch ganz Ysinensi im Abstand von zwanzig Fuß Pflöcke in den Boden rammen ließ, die als Markierung für die Hauptstraße dienten, an deren beiden Seiten er Händler mit den dazugehörenden Handwerksbetrieben ansiedeln lassen wollte. »Hinten spinnen, vorne Leinenstoffe unter die Leute bringen! Hinten schlachten, vorne Fleisch verkaufen! Hinten backen, vorne Brot anbieten!«, hatte er dem Grafen vorgeschlagen und dessen Zustimmung umso mehr erlangt, als er empfohlen hatte, dafür einen Bodenzins zu verlangen, von dem die Hälfte an den Grafen gehen sollte. »Die andere Hälfte aber fließt in meine Dorfkasse, damit ich Straßen und Plätze, Brunnen und Wasserläufe innerhalb des Dorfes anlegen lassen kann!«, hatte Hannes Eberz dem Grafen gegenüber mit einem schlitzohrigen Grinsen geäußert, während er ihm die Hand zur Besiegelung gereicht hatte.

      Dabei hatte er schon klar im Kopf gehabt, dass hinter den vorderen Häusern Kleinviehzüchter, ein Huf- und Nagelschmied, ein Sattler, Töpfer und ähnliche Berufsgruppen Platz haben könnten. Um dies zu ermöglichen, würde er den dafür fälligen Bodenzins wesentlich niedriger ansetzen als in der vorderen Reihe.

      Die Ersten, die von den weitreichenden Gedanken des Dorfvorstehers profitieren sollten, waren die beiden jüdischen Familien Bernstein und Reichmann, die man mit Sack und Pack aus Ulm vertrieben hatte, weil sie wegen ihrer zwar florierenden, aber undurchsichtigen Geldgeschäfte in Ungnade gefallen waren. Im Gegensatz zu vielen andern war es ihnen in der Wahrnehmung ihrer dortigen Mitbürger schlicht und ergreifend »zu gut« gegangen. Obwohl der Ulmer Magistrat die gesamten Besitztümer der Familien beschlagnahmt hatte, war den Bernsteins und den Reichmanns durch das verdiente Geld genug zur Verfügung gestanden, um in einer kleineren Siedlung ein neues Leben beginnen zu können – und dies sollte trotz aller Bescheidenheit ganz sicher nicht in der zweiten Reihe sein! Weil Anhänger des mosaischen Glaubens in Ysinensi bisher nahezu unbekannt gewesen waren, hatte der vorsichtige Dorfvorsteher lange gezögert, die vier Erwachsenen mit ihren insgesamt sieben Kindern in Ysinensi aufzunehmen.

      »Wenn die nur keinen Ärger machen!«, hatte Hannes Eberz zwar zu seiner Frau gesagt, den Juden letztlich dennoch für gutes Geld die besten Grundstücke angeboten.

      Im weitläufigen hügeligen Gebiet um Ysinensi herum konnte neben Dinkel und Hafer auch vermehrt Flachs angebaut werden. Denn nach der Aussaat der Leinsamen um den einhundertsten Tag des Jahres herum bot das Klima in dieser Ecke des Voralpenlandes