Thomas Breuer

Leander und die Stille der Koje


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fragte Bennings. »Habe ich Ihnen nicht gesagt, Sie sollen sich ausruhen?«

      »Ausruhen, ausruhen! Wie soll ich das denn machen, bei dem Theater hier auf der Insel?! Schließlich bin ich hier verantwortlich. Das Telefon steht nicht still«, erklärte er mühsam und wenig überzeugend. »Zuerst hat der Bürgermeister angerufen und wollte wissen, wer Nahmen Rickmers umgebracht hat. Er war stinksauer, als ich es ihm nicht sagen konnte. Sie sollen sofort zurückrufen, wenn Sie wieder da sind.« Er schob Bennings den Schwenkarm mit dem Telefon über den Schreibtisch und starrte ihn abwartend an.

      »Später«, erklärte Bennings leichthin und schwenkte das Telefon wieder zurück.

      »Aber, der Bürgermeister …«

      »Tangiert mich im Moment extrem peripher«, stellte Bennings klar.

      Als Dernau Hinrichs’ ratloses Gesicht bemerkte, übersetzte er beiläufig: »Geht ihm am Arsch vorbei.«

      »Interessiert mich im Moment nur sehr am Rande«, korrigierte Bennings. »Sie waren dabei, uns Bericht zu erstatten. Also, fahren Sie fort.«

      Hinrichs brauchte einen Moment, um die Unverschämtheit dem Bürgermeister gegenüber zu verarbeiten. »Gut«, begann er dann mühsam wieder und räusperte sich, »eben hat Hilke Rickmers angerufen. Sie war etwas, wie soll ich sagen …«

      »Sauer?«, half Dernau grinsend aus.

      »Genau«, brauste Hinrichs wieder auf, »weil Sie ihr ein Verhältnis mit Brar Arfsten unterstellt haben.«

      »Das haben wir zwar so ausdrücklich nicht, aber ich finde es nett, dass sie es uns auf die Weise bestätigt«, kommentierte Bennings. »Noch etwas?«

      »Ja, Arfsten hat kurz danach angerufen und mich gefragt, wann ich endlich etwas gegen diesen Wiese unternehme, wenn der jetzt schon unbescholtene Leute umbringt, nur weil sie nicht seiner Meinung sind.«

      »Aha, und hat Ihnen Herr Arfsten auch die nötigen Beweise geliefert?«

      »Äh, nein, nicht direkt.«

      »Was hat er denn indirekt an Beweisen zur Hand?«

      »Äh, nun ja, Drohungen, und … Tja, das weiß doch jeder, dass Wiese den Rickmers gehasst hat.«

      »Soso, weiß das jeder? Das ist aber kein Beweis. Beim nächsten Mal weisen Sie Herrn Arfsten bitte darauf hin, dass üble Nachrede strafbar ist. Noch etwas?« Bennings drehte sich zu seinem Büro um, als erwarte er nicht wirklich weitere Neuigkeiten.

      »Sagen Sie mal, Herr Kollege, was ist eigentlich los hier auf der Insel?«, erkundigte sich Dernau mit lauerndem Unterton. »Was ist das für ein Kampf zwischen Rickmers, Arfs­ten und Wiese?«

      »Ach, der Wiese zerstört die Existenzgrundlage der Bauern hier – kauft ihr Land auf und setzt es unter Wasser. Und ständig erstattet er irgendwelche Anzeigen, weil angeblich ein Landwirt mit Druckkanonen die Gänse aufscheucht oder ein Jäger über Elmeere-Flächen Vögel abschießt. Gestern musste der beste Zuchtbulle seines Nachbarn auf einer seiner Flächen abgeschossen werden, nur weil er die Vögel aufgescheucht hat. Und letzte Woche soll sogar jemand einen Anschlag auf ihn verübt haben.«

      »Was denn für einen Anschlag?«, erkundigte sich Bennings und wandte sich wieder dem Inselpolizisten zu.

      »Irgendjemand hat ihn angeblich in der Marsch in den Graben gedrängt. So ein Quatsch! Ich sage Ihnen, der ist einfach selber in den Graben gefahren.«

      »Warum sollte er das denn machen?«

      »Um seine Gegner anschwärzen zu können. Glauben Sie mir, das ist so einer. Die kommen vom Festland hierher und müssen sich irgendwas beweisen, und das auf unsere Kosten.«

      »Herr Wiese ist nicht von der Insel?«, hakte Bennings nach.

      »Nein, der kommt vom Festland«, wiederholte Hinrichs. »Hat hier eine Pension geerbt und ein paar Appartements gebaut und ruht sich jetzt auf dem Geld aus. Ein Schmarotzer, der noch nie richtig gearbeitet hat, wenn Sie mich fragen.«

      »Gut, da Sie ja offenbar keine Ruhezeit benötigen, fahren Sie jetzt los und holen mir diesen Wiese her. Immerhin ist er unser einziger konkreter Anhaltspunkt bisher.«

      »Wer? Ich? Warum ich?«, stotterte Hinrichs.

      »Weil Sie der Oberkommissar sind und ich der Hauptkommissar, und weil ich, der Hauptkommissar, Ihnen, dem Oberkommissar, das sage«, erklärte Bennings seelenruhig.

      »Sie haben mir gar nichts zu sagen«, begehrte Hinrichs auf. »Ich bin der Kripo nicht unterstellt. Holen Sie sich den Kerl doch selber.«

      »Da hat er jetzt auch wieder recht«, stimmte Bennings an Dernau gewandt ironisch zu.

      »Der hat doch nur Schiss«, stellte Dernau hämisch grinsend in Bennings’ Richtung fest.

      »Herr Hinrichs, es wäre nett, wenn Sie unsere Arbeit unterstützen und uns den Verdächtigen zuführen könnten. Sie können gerne einen Ihrer Kollegen mitnehmen, wenn Sie alleine zu viel Angst vor dem skrupellosen Mörder haben«, meinte der beiläufig.

      Hinrichs murmelte etwas Unverständliches, das alles andere als freundlich klang, gab seinen Widerstand jedoch auf, nahm seine Jacke und winkte seinem Kollegen Groth, der ihm geduckt zum Streifenwagen folgte.

      »Gib mir mal das Telefonbuch«, forderte Bennings Dernau auf. »Dann werde ich jetzt den Boss der Insel anrufen.« Er angelte sich das Telefonbuch aus Dernaus Hand über den Schreibtisch heran, blätterte auf die Amtsseite und wählte die Nummer des Bürgermeisterbüros. Von der Sekretärin ließ er sich durchstellen und hatte Sekunden später den aufgebrachten Bürgermeister am Ohr.

      »Sagen Sie mal, Herr Bennings«, dröhnte der auch sofort los. »Was treiben Sie eigentlich auf meiner ruhigen Insel? Eben hat sich der Bauernvorsitzende bei mir beschwert, dass Sie sich benehmen wie eine Besatzungsarmee.«

      »Woher weiß Herr Arfsten – ich nehme doch an, dass er der besagte Vorsitzende ist – woher weiß er denn, wie sich eine Besatzungsarmee benimmt?«, erkundigte sich Bennings in ruhigem Ton.

      »Was? Was soll das denn heißen? Wollen Sie mich jetzt auch noch verarschen? Sie konfrontieren unbescholtene Bürger mit Ihren abstrusen Vorwürfen und wollen jetzt auch noch frech werden?«

      »Also, Herr Bürgermeister, nur, damit das ganz klar ist und wir uns in Zukunft nicht falsch verstehen: Was Sie abstruse Vorwürfe nennen, nenne ich Verdachtsmomente, und Ihr unbescholtener Bürger steht immerhin auf der Liste meiner Verdächtigen. Und frech wird hier im Moment nur einer, nämlich Sie.« Bennings’ Stimme nahm an Lautstärke zu. »Was fällt Ihnen ein, mich so anzukaspern? Ich bin nicht Ihr Untergebener, mein Dienstvorgesetzter ist der Polizeipräsident in Flensburg, und dann kommt der Innenminister in Kiel. Der Wyker Bürgermeister steht in dieser Hierarchie ja wohl eher ganz unten und kommt in der Kette der Polizeivorgesetzten überhaupt nicht vor, oder täusche ich mich da? Haben Sie sonst noch Fragen? Ich erwarte nämlich einen weiteren Verdächtigen zum Verhör und lasse mich ungern in meiner Arbeit behindern.«

      »Das ist unerhört, Sie … Das haben Sie nicht umsonst gemacht, das sage ich Ihnen, ich werde mich über Sie …«

      Bennings legte den Hörer auf und hatte sichtlich Mühe, sich wieder zu beruhigen. »Was bilden sich diese Provinzfürsten hier eigentlich ein?«, fragte er gequetscht.

      »Ruhig, Brauner, ruuuuhig!«, antwortete Dernau besänftigend. »Brrrrrr!«

      In dem Moment wurde es draußen in der Wachstube laut. Sekunden später führte Oberkommissar Hinrichs einen stämmigen Mann mittleren Alters mit grauen Haaren und einem ebensolchen Vollbart in Handschellen in das Büro.

      »So«, tönte er. »Da wäre dann der Verdächtige Wiese. Wollte sich der Festnahme widersetzen, da musste ich andere Maßnahmen ergreifen.« Stolz deutete er auf die Handschellen.

      »Sind Sie für diese Schweinerei verantwortlich?«, schimpfte Wiese und hob seine gefesselten Hände an.

      »Sagen Sie mal, Hinrichs, sind Sie eigentlich