unvermittelt aus seiner Ecke.
Maarten Rickmers blickte ihn erstaunt an, als habe er ihn zuvor noch gar nicht wahrgenommen. »Nein, warum sollte ich?«
»Wo waren Sie denn dann?«, übernahm Bennings wieder die Befragung.
»Bei meiner Freundin. Das heißt, wir sind ein bisschen rumgefahren.«
»Es gibt also keine Zeugen? Außer Ihrer Freundin, versteht sich. Niemand, dem Sie begegnet sind?«
Maarten Rickmers schüttelte den Kopf, dabei umspielte ein anzügliches Lächeln seine Lippen. »Nicht dass ich wüsste. Wir sind abends gerne allein, wenn Sie verstehen, was ich meine. Und bei uns zu Hause geht das nicht; bei ihr auch nicht, ich habe nicht das beste Verhältnis zu ihren Eltern. Die kommen aus dem Osten und können sich noch nicht so recht an das freiere Leben hier gewöhnen.« Das Letzte begleitete er mit abschätzig verzogenem Mund und demselben Ausdruck von Hochnäsigkeit, den er bei seinem Erscheinen vorhin gehabt hatte.
»Wo Sie genau waren, können Sie uns nicht sagen?«, kam es nun wieder von Dernau, dessen Tonfall weniger verständnisvoll war.
»Anfangs sind wir nur so rumgefahren, später waren wir dann für längere Zeit auf dem kleinen Parkplatz am Siel draußen in der Marsch. Abends ist da keiner mehr, da ist man ungestört. Aber fragen Sie mich jetzt bitte nicht nach der Uhrzeit, das kann ich beim besten Willen nicht sagen.« Wieder dieses anzügliche Grinsen.
»Haben Sie eine Ahnung, wer Ihrem Vater das angetan haben könnte?«, wechselte Bennings das Thema.
»Na!«, wurde der junge Mann nun wieder grimmiger. »Da gibt es ja wohl kaum einen Zweifel. Dieser Spinner Wiese oder einer der Idioten, die er immer im Schlepp hat.«
»Wen meinen Sie genau?«
»Zum Beispiel diesen Quacksalber aus Utersum, diesen Dr. Albertsen, Melf Albertsen, um genau zu sein. Der ist der zweite Mann hinter Wiese, auch so’n Ökospinner. Der glaubt, die Welt geht unter, wenn seine Gänse sich nicht ungestört vermehren können.«
Bennings gab Dernau ein Zeichen, so dass der sich den Namen notierte. »Haben Sie Belege für Ihren Verdacht, oder ist das nur so ein Gefühl?«
»Wer soll das denn sonst getan haben? Mein Vater war ein angesehener Mann hier auf der Insel. Der hatte keine Feinde außer diesen Idioten.«
»Was ist zum Beispiel mit Herrn Arfsten?«, versuchte Bennings einen Vorstoß.
»Ach, Quatsch, Brar hat sich zwar öfter mal mit meinem Vater gezofft, aber die beiden waren Freunde!«
»Worum ging es bei dem Streit?«, hakte Bennings nach.
»Kein Streit, eine Meinungsverschiedenheit.«
»Worum ging es denn da genau?«, beharrte Bennings.
»Arfsten wollte mit den Elmeere-Spinnern kurzen Prozess machen«, erklärte Maarten Rickmers und begleitete seinen aggressiven Gesichtsausdruck durch heftige Bewegungen mit der geballten rechten Faust. »Die sollten gezwungen werden, ihren Ökokram aufzugeben. Mein Vater hat eher einen Kompromiss gesucht. Zum Beispiel hat er selbst im Namen der Kreisjägerschaft Flächen in der Marsch renaturiert, um den Tieren einen Rückzugsraum zu bieten. Er hat gesagt, wenn wir das machen, brauchen wir kein Elmeere. Dann kriegen die auch keine Spenden mehr, weil sie überflüssig sind.«
»Und damit war Arfsten nicht einverstanden? Das hört sich doch ganz vernünftig an.«
»Nein, das war Arfsten zu liberal, er hat meinem Vater vorgeworfen, nur seine Karriere in der Kreisjägerschaft im Auge zu haben. Arfsten war sauer, dass jetzt auch noch die Jäger Flächen renaturieren, Teiche anlegen und so. Als wenn die verlorenen Flächen von Elmeere nicht schon reichten, hat er gesagt.«
»Wie hat er sich denn vorgestellt, mit Elmeere kurzen Prozess zu machen?«
»Durch die Beziehungen, die Arfsten und mein Vater zur Regierung in Kiel haben.« Jetzt erfasste das arrogante Grinsen das ganze Gesicht des jungen Mannes, als sei er sich seiner herausragenden gesellschaftlichen Stellung nicht nur bewusst, sondern als sei sie sogar sein Verdienst. »Mein Vater kennt da jemanden im Landwirtschaftsministerium, der damals dafür gesorgt hat, dass Wiese seinen Naturerlebnishof nicht ausbauen durfte. Den Kontakt wollte Arfsten jetzt wieder nutzen. Und mein Vater sollte außerdem über die Jägerschaft Stimmung gegen Elmeere machen, damit denen der Geldhahn zugedreht wird.«
»Wie ist der Streit denn ausgegangen? Entschuldigung, die Meinungsverschiedenheit.«
»Wie meinen Sie das?«
»Na, für mich hört sich das an, als hätte Ihr Vater zwischen allen Stühlen gesessen und es jedem irgendwie recht machen wollen. Hat er sich am Ende gegen Arfsten durchgesetzt? Was haben die beiden verabredet?«, erläuterte Bennings seine Frage.
»Das weiß ich nicht so genau. Aber ich denke, dass mein Vater sich nicht hat unterkriegen lassen.« Maarten Rickmers dachte einen Moment nach und schien dann die Bedeutung der Frage zu verstehen. »Andererseits kann es auch sein, dass sie zweigleisig gefahren sind. Kann ja nicht schaden, wenn Druck aus Kiel kommt und gleichzeitig die Jäger hier auf der Insel zeigen, dass es auch ohne Elmeere im Umweltschutz weitergeht.«
»Und was ist mit Arfsten und Ihrer Mutter?«, schoss Dernau nun einen vergifteten Pfeil aus seiner Ecke ab, der dafür sorgte, dass Maarten Rickmers’ Gesichtsfarbe wieder dunkler wurde und seine Hand auf dem Tisch sich erneut zur Faust ballte.
»Was meinen Sie damit?«
»Na, so schwer ist meine Frage doch wohl nicht zu verstehen. Wir haben gehört, Herr Arfsten habe ein Auge auf Ihre Mutter geworfen, und deshalb hätten sich Ihr Vater und sein bester Freund gestritten.«
Maarten Rickmers stutzte einen Moment und schien sich erst orientieren zu müssen, in welche Richtung der Vorstoß ging.
»Wer behauptet sowas denn?« Maarten Rickmers richtete sich nun auf seinem Stuhl bedrohlich auf.
»Ist das denn so abwegig?«, erkundigte sich Bennings betont ruhig.
»Und ob! Brar und meine Mutter kennen sich schon aus dem Sandkasten. Das sind einfach nur gute Freunde, zwischen denen läuft nichts. Mein Vater war eng mit Brar befreundet, auch wenn es da mal Meinungsverschiedenheiten gegeben hat. Das war aber nie persönlich.«
»Ihr Herr Vater soll ja auch nichts anbrennen lassen haben«, behauptete Dernau unschuldig.
»Jetzt reichts aber! Meine Eltern waren glücklich verheiratet. Da hatte keiner ein Verhältnis!« Maarten Rickmers sprang wutentbrannt auf und stieß dabei den Stuhl polternd zurück. »Haben Sie noch mehr als solche Behauptungen auf Lager, oder kann ich jetzt gehen?«
»Setzen Sie sich bitte wieder hin«, forderte Bennings ihn unbeeindruckt auf. »Ein paar Fragen habe ich noch. Sie haben die Karriereabsichten Ihres Vaters erwähnt. Gab es da keine Konkurrenz innerhalb der Jägerschaft?«
»Natürlich war er nicht der Einzige, der gerne in der Kreishierarchie aufsteigen wollte, aber letztlich war er als Nummer Eins hier auf der Insel unangefochten.« Maarten Rickmers ließ seine Blicke unruhig zwischen Bennings und Dernau hin und her wandern. Ihm war anzusehen, dass die beiden Kriminalbeamten sich seine Sympathien endgültig verscherzt hatten.
»Das hört sich alles sehr harmonisch an«, zweifelte Bennings. »Wir haben da eher die Information, dass auch die Jagdkollegen Ihres Vaters nicht mit seiner liberalen Strategie im Umgang mit Elmeere einverstanden waren. Sein Stellvertreter zum Beispiel soll da eine ganz andere Vorgehensweise gefordert haben.«
Bennings war selbst erstaunt, dass dieser Schuss ins Blaue offensichtlich ins Schwarze traf. Maarten Rickmers wand sich verlegen und suchte sichtlich nach den passenden Worten. »Da fragen Sie Herrn Paulsen besser selber. Ich weiß nichts Genaues, nur dass er eher wie Brar Arfsten nach einer härteren Gangart handeln wollte.«
»Das werden wir machen, Herr Rickmers. Geben Sie meinem Kollegen bitte noch den Namen und die Adresse Ihrer Freundin, für Ihr Alibi. Dann können Sie vorerst gehen«, antwortete Bennings freundlich.
»Ariana