nach neuen Skatbrüdern um, als dass wir uns dieser Zumutung weiter aussetzen.«
»Da muss ich dich enttäuschen, lieber Tom. Zum einen weiß ich nicht, wie man den perfekten Mord begeht, sonst müsste ich meiner Frau keinen Unterhalt zahlen, damit sie sich ihre Reduzierung auf eine halbe Stelle leisten kann. Zum anderen werde ich den Teufel tun, es mir mit Mephisto zu verderben. Der steht mit den finstersten Mächten im Bunde.«
»Da hast du’s, Tom: Pauker haben keine Freunde!«, wies Mephisto den Lehrer mit erhobenem Zeigefinger zurecht und nahm die Karten auf, um sie umständlich zu mischen. »Wird Zeit, dass du das begreifst und dich in dein Schicksal ergibst. Deinen guten Willen kannst du gleich beweisen, indem du heute Abend überzeugend verlierst.«
»Erste halbe Stunde Ramsch!«, ordnete Hindelang an. »Damit erst mal was in den Pott kommt.«
In der Mitte des Tisches stand nämlich ein kleines rotes Töpfchen, das immer dann ebenfalls bedient wurde, wenn jemand sein Spiel verlor und zahlen musste. Beim Ramsch wurde jedes Spiel auch in den Pott bezahlt, so dass er in der ersten halben Stunde rasch anwuchs. Dem Reglement entsprechend bekam derjenige den kompletten Inhalt des Topfes, der einen Grand Hand spielte und gewann. Verlor jemand einen Grand Hand, musste er nicht nur seine Mitspieler nach ordentlicher Berechnung bezahlen, sondern er musste auch den Inhalt des Töpfchens verdoppeln. Das konnte mitunter sehr teuer werden.
Der Ramsch lief an diesem Abend relativ ausgeglichen. Jeder verlor mal und gewann anschließend auch wieder, so dass zwischen den Spielern kaum Umsatz stattfand und allein der Pott anschwoll. Nach der halben Stunde wurde dann regulär gereizt. Mephisto mischte ausgiebig das erste normale Spiel.
»Sag mal, Mephisto, warst du das damals in Ohio?«, erkundigte sich Hindelang und starrte entgeistert auf dessen Mischkünste, bei denen nicht selten einige Karten auf den Tisch fielen.
»Wovon faselst du, Meister Klecks?«
»Von dem besagten Pokerspiel, bei dem sich einer totgemischt hat.«
»Ha, ha und nochmals ha!«, erwiderte Mephisto mit versteinerter Miene und legte Leander, der rechts neben ihm saß, den Kartenstapel hin, damit er abhob. Dann teilte er seinen drei Mitspielern die Karten aus und schaute selber in den Skat, denn der Geber musste bei vier Spielern aussetzen. »Oha!«, verkündete er, legte die beiden Karten verdeckt wieder auf den Tisch und klopfte mit seinem wurstigen Zeigefinger gewichtig darauf. »Der brummt!«
Leander hatte ein Blatt, mit dem er bestenfalls Fliegen verscheuchen konnte. Also sagte er bereits bei 18 »Weg!« und verfolgte entgeistert, wie sich Brodersen und Hindelang bis 48 hochreizten. Tom hätte weitersagen müssen, konnte dies aber nicht, so dass Hindelang das Spiel bekam. Er nahm den Skat auf, schaute hinein, warf ihn angewidert auf den Tisch, fixierte Mephisto abschätzig, der völlig unbeteiligt dreinschaute, nahm den Skat erneut auf, aber auch der zweite Blick in die beiden Karten gefiel ihm offensichtlich nicht besser.
»Warum falle ich eigentlich immer wieder auf den verlogenen Schwarzrock herein?«, fragte er fassungslos.
»Man reizt ja auch nicht auf den Stock«, belehrte Leander ihn.
»Solltest du dereinst das Mysterium der Gutgläubigkeit vor allem Kirchenvertretern gegenüber ergründen, teile mir das Ergebnis bitte mit«, erwiderte Brodersen, der sichtlich damit zufrieden war, dass er die Karten nicht bekommen hatte, denn nach Lage der Dinge waren sie offenbar so schlecht, dass sie bestenfalls in Leanders Blatt gepasst hätten.
»Ich will es euch erklären«, hob Mephisto dozentenhaft an. »Der Homo sapiens allgemein, der Insulaner im Besonderen und Skatbrüder sowieso glauben gerne an das Gute im Menschen, weil sie dann reinen Gewissens dem Irrglauben unterliegen können, sie selbst seien im Grunde gut und edel. Ich aber, vor allem in meiner Eigenschaft als Seelsorger, habe es mir zur Aufgabe gemacht, den Menschen ihr wahres Ich zu spiegeln. Das fällt mir in meiner eigentlich grenzenlosen Güte zugegebenermaßen unendlich schwer, aber ich betrachte es nun mal als meine Pflicht, die Welt zu retten. Also halte ich das aus.«
Brodersen legte seine Hände gebetsartig zusammen, hob sie vor seine Stirn und bewegte den Kopf langsam auf und nieder. »Dank, großer Meister, hab Dank!«, wiederholte er mehrmals in einem Singsang, der an hinduistische Tempelgebete erinnerte.
Mephisto winkte bescheiden ab, lehnte sich mit hinter dem Kopf verschränkten Händen in seinem Stuhl zurück, schloss huldgewohnt die Augen und entgegnete: »Da nicht für.«
Hindelang hatte inzwischen mehrfach zwei Karten gedrückt, sie wieder aufgenommen, in sein Blatt zurück gesteckt und zwei andere gedrückt, wobei sein Gesichtsausdruck immer verzweifelter wurde. Schließlich sagte er mit der Miene eines Mannes, der geradewegs auf dem Weg zur Guillotine war, einen Grand an.
»Kontra!«, entgegnete Tom Brodersen triumphierend.
»Re!«, donnerte Hindelang dagegen.
Leander wurde schwindelig angesichts der Tatsache, dass Brodersen das Spiel nicht nur gewinnen musste, sondern er musste es mit ihm zusammen gewinnen. Mephisto beugte sich nach rechts und blickte in Toms Karten. Dabei erschien ein Lächeln auf seinem Gesicht, das diabolischer nicht hätte sein können.
»Jetzt verliert einer, der weiß das noch gar nicht!«, verkündete er zufrieden und empfing dafür einen verschwörerischen Blick Brodersens, der sich seiner Sache offenbar absolut sicher war.
Hindelang hatte das Aufspiel. Er zog zunächst den Kreuz-Buben und entlockte Brodersen damit seinen Karo-Jungen. Leander hatte nur kleines Kroppzeug, das er völlig wirkungs- und damit auch gefahrlos dazuwerfen konnte. Dann folgte Hindelangs Pik-Bube, und mit Brodersens Herz-Buben waren nun alle Trümpfe aus dem Spiel. Tom Brodersen begriff schlagartig, was geschah: Hindelang hatte zwei starke Farben – Kreuz und Herz –, die er nun von oben ausspielen konnte. Da nützte Brodersen sein Blatt, das genau das Gegenblatt zu Hindelangs war – Pik und Karo von oben – gar nichts. Im Ergebnis spielte Hindelang Tom Brodersen und Leander schwarz, was in etwa dieselbe Wirkung auf die beiden hatte wie Stalingrad auf General Paulus.
»Lieber Herr Oberlehrer«, hob Mephisto nun im Ton eines eben solchen an, »beim nächsten Mal achte er darauf, wer das Aufspiel hat! Du hättest deinen Grand genauso verloren. Das heißt, ohne den Stock, denn der hätte dich wieder nach vorne katapultiert.«
»Wie jetzt?«, erkundigte sich Brodersen und erkannte an dem Grinsen Hindelangs, dass dieser ein grandioser Schauspieler war. »Sag bloß, da war doch etwas Gutes drin?«
»Genial«, antwortete Hindelang. »Kreuz-Ass und Herz-Ass. So wurde aus meinem Kreuz-Schneider, den ich eigentlich hatte spielen wollen, ein sauberer Grand. Aber eben auch nur, weil ich das Aufspiel hatte.«
Mephistos Hände lagen nun gefaltet auf seinem vorgewölbten Bauch, sein Gesicht hatte den Ausdruck eines zutiefst betroffenen, weil zu Unrecht beschuldigten kleinen Jungen. »Ich habe doch gesagt, dass der Stock brummt. Wieso glaubt mir denn keiner?«
»Spielen wir hier eigentlich Skat, oder pokern wir?«, protestierte Brodersen.
»Also, wir anderen, lieber Tom, wir spielen Skat«, antwortete Hindelang.
»Willst du damit sagen, dass mein Kontra nicht gerechtfertigt war?«, wehrte sich Brodersen.
»Angesichts meines Aufspiels nicht«, belehrte ihn Hindelang.
»Ein Pokerspieler. Quod erat demonstrandum«, dozierte Mephisto und deutete mit seiner rechten Hand auf Brodersen.
»Liebe Freunde«, mischte sich nun Leander ein, »beendet bitte diesen fruchtlosen Disput. Lasst uns zahlen und das Spiel vergessen, bevor ich begreife, dass ich gerade für die Dummheit eines Geschichtslehrers in Mithaftung genommen werde. Sonst probiere ich heute Abend doch noch den einen oder anderen Mordtrick aus.«
Sie zahlten Hindelang die stolze Summe von einem Cent pro Punkt, was auf 4,80 Euro pro Person hinauslief. Das würde den ganzen Abend über nicht mehr hereinzuholen sein, auch wenn nach dem ungeschriebenen Reglement dieser verbal schlagenden Verbindung, die sich Skatrunde nannte, nach Kontra und Re nun für den Rest des Abends Bockrunden folgen würden, in denen die Beträge grundsätzlich verdoppelt wurden.