Brodersen, und Hindelang nickte wissend.
»Wie jetzt?«, erkundigte sich Leander, der offenbar wieder als Einziger uninformiert war.
»In der letzten Nacht ist unser allseits bekannter und wenig geliebter Chefjäger Nahmen Rickmers, seines Zeichens Leiter der Kreisjagdabteilung auf Föhr und amtierendes Oberarschloch, in der Boldixumer Vogelkoje ermordet worden«, klärte Mephisto ihn auf. »Erschlagen, um genau zu sein. Ich wage zu behaupten, dass das kein perfekter Mord war.«
»Woher weißt du davon, wenn es erst morgen in der Zeitung steht?«, erkundigte sich Leander, der sich in seiner aktiven Zeit als Hauptkommissar immer wieder über den schnellen Buschfunk geärgert hatte, weil Überraschungsmomente für die Ermittler dadurch häufig verhindert wurden.
»Einer der Inselpolizisten ist Katholik«, erklärte Mephisto, »und als treues Schäfchen weiß er, was er seinem neugierigen Ex-Hirten schuldig ist.«
»Und ihr? Woher wisst ihr das schon?«, fragte Leander Tom und Götz.
»Rickmers’ Sohn ist einer meiner Schüler in der Oberstufe«, sagte Tom Brodersen leichthin. »Er ist heute nicht zum Unterricht erschienen und hat im Sekretariat ausnahmsweise mal den wahren Grund dafür angegeben. Und unsere Sekretärin ist mir in inniger Zuneigung verbunden – rein platonisch, versteht sich.«
»Einer meiner Nachbarn ist Jäger«, ergänzte Hindelang. »Ich habe ihn heute Vormittag beim Hinausschieben der Mülltonnen getroffen und gefragt, warum er so blass sei. Da hat er mir von der Sache erzählt. Du siehst, Reinlichkeit zahlt sich aus.«
»Lieber Henning«, Mephisto legte Leander mitleidig eine Hand auf seinen Arm, »das hier ist eine Insel. Hier spricht sich alles herum, noch bevor es wirklich passiert ist. Wenn du oder deine Nachfahren dereinst dazugehören werden, in etwa zweihundertfünfzig Jahren also, werdet ihr auch immer alles erfahren.«
»Dann weißt du ja auch, wer der Mörder ist«, folgerte Leander.
»Tja, mein Lieber, auch auf Inseln hat das Mitteilungsbedürfnis von Mördern und deren Mitwissern seine Grenzen. Und meine zuverlässigen Quellen in höheren Sphären« – er deutete gen Himmel, respektive auf das Gewölbe der ehemaligen kleinen Kirche – »haben bislang geschwiegen.«
»Götz gibt«, erinnerte Brodersen sie an den eigentlichen Grund ihres Treffens. »Oder sollten wir heute nur ein richtiges Spiel machen?«
»Angesichts des Umsatzes, den du damit provoziert hast, würde das in der Tat reichen«, stichelte Mephisto.
»Nichts da«, protestierte Brodersen. »Das hole ich mir alles zurück. Jeden einzelnen Cent. Also los jetzt!«
Nachdem Leander zwei Spiele später ausgeteilt hatte und folglich nun aussetzen musste, griff er noch einmal das eben unterbrochene Thema auf: »Weiß sonst noch jemand etwas über den Mord in der Vogelkoje?«
»Er lässt nicht locker!«, stöhnte Hindelang.
»Das ist wohl das, was man eine ›deformation professionelle‹ nennt«, vermutete Brodersen.
»Na bitte, weiß er doch etwas, unser kleiner Lehrer«, stichelte Mephisto. »Er kann zwar kein Latein, aber er mag es gern französisch.«
»Womit wir dann beim Thema wären«, fuhr Brodersen unbeeindruckt von derartigen Sticheleien fort.
»Wie meinen?«, erkundigte sich Leander.
»Na, wie ich bereits andeutete. Es sollte mich nicht wundern, wenn dem Morddrama ein Liebesakt vorausgegangen wäre, so richtig klassisch mit Dreiecksbeziehung, Überraschung in flagranti, verschmähte Liebe und dergleichen.«
»Verzeih mir meine mangelhafte literarische Bildung, Herr der Bücher, aber du sprichst für mich in Rätseln.«
»Nun gut, dann will ich mal nicht so sein und mich auf dein Niveau herablassen. Die Boldixumer Vogelkoje ist eine Fanganlage der ganz besonderen Art. Da werden nicht nur Enten geringelt, wenn du verstehst, was ich meine«, führte Brodersen aus und fuhr auf Leanders leeren Blick hin fort: »Na, da wird auch so manches menschliche Täubchen des Nachts um seine Unschuld gebracht.«
»So unschuldig wird wohl keine der Damen mehr sein, wenn sie sich in die Vogelkoje schleppen lässt«, wandte Hindelang ein.
»Der Malermeister weiß offenbar, wovon er spricht«, feixte Mephisto.
»Irrtum, zu den Herren, die die Vogelkoje für ihre Schäferstündchen, oder soll ich sagen für ihre vögelkundlichen Exkursionen nutzen, gehöre ich nicht. Ich habe da nämlich keinen Zugang. Und nein, bevor ihr fragt, ich bin darüber nicht traurig.«
»Jetzt mal Tacheles«, forderte Leander Brodersen gereizt auf. »Manchmal geht ihr mir mit eurem fragmentarischen Geschwätz nämlich furchtbar auf die Nerven.«
»Also, im Rathaus nennt man die Boldixumer Vogelkoje auch Vögelkoje, natürlich nur hinter vorgehaltener Hand«, berichtete Tom Brodersen.
»Aber, aber, Herr Stadtrat«, tadelte Mephisto ihn betont empört. »Hüte er seine verleumderische Zunge. Schließlich ist er unser Repräsentant im Hohen Hause der Inseldemokratie.«
»Deiner doch wohl eher nicht, Schwarzrock! Ihr Katholiken wählt doch alle CDU«, entgegnete Brodersen unbeeindruckt. »Gott sei Dank gibt es von euch nicht ganz so viele auf Föhr. Außerdem kennst du deine Schäfchen mindestens genauso gut wie ich und weißt, was sie außerhäuslich so treiben.«
»Heißt das, dort gehen unsere Honoratioren und Abgeordneten mit ihren außerehelichen Liebschaften ein und aus?«, hakte Leander fassungslos nach.
»Wer die Vogelkoje nächtens aufsucht, weiß ich nicht. Ich sage nur, dass man hinter vorgehaltener Hand darüber tuschelt. Die Kollegen im Rat bekommen hinter den Kulissen ihrer Dörfer ja so einiges mit. Und außereheliche Liebschaften sind auf unserer schönen Insel so etwas wie Tradition. Man spricht nur nicht darüber, und bisher hat deswegen auch noch keiner einen Mord begangen.«
»Das heißt, in der Vogelkoje könnte sich ein außereheliches Drama abgespielt haben«, fasste Leander zusammen. »Weiß die Polizei davon?«
»Na, wenn das einer wissen wird, dann Torben Hinrichs«, erklärte Tom Brodersen lachend. »Der hat sein Ohr am Mund der Inselbevölkerung. Außerdem würde es mich bei dem nicht wundern, wenn er gelegentlich auch ganz gerne jagen würde, wenn du verstehst, was ich meine.«
»Moment mal, der Hinrichs könnte also selbst in das Umfeld verwickelt sein, in dem er ermitteln soll?«
Tom Brodersen zog die Augenbrauen vielsagend hoch und machte eine Geste, die ausdrücken sollte, dass er alles für denkbar hielt.
»18!«, unterbrach Hindelang grimmig. »Sind wir jetzt zum Skatspielen hier oder zum Quatschen?«
»Du bist gar nicht dran! Ich sage, und zwar 18!«, meckerte Brodersen zurück.
»Jau!«, antwortete Mephisto, dem das Reizen galt.
»20!«
Es sollte noch ein langer Skatabend werden. Da bis zum Schluss niemand einen Grand Hand spielte, wurde aus dem Pott ein Teil der Getränkerechnung beglichen.
Als sich schließlich eine allgemeine Aufbruchstimmung andeutete und niemand an etwas Böses dachte, erhob sich Mephisto plötzlich. »Liebe Freunde«, begann er theatralisch, »bevor wir uns nun in alle vier Himmelsrichtungen zerstreuen, lasst uns zum wahren Höhepunkt dieses Abends kommen.«
Die Augen der sonst eher unernsten Skatbrüder richteten sich angesichts der Dramatik in Mephistos Stimme andächtig auf den kleinen Mann in Schwarz.
»Brüder in Lukullus!«, fuhr der fort und faltete ehrfurchtsvoll die Hände über seinem Bauch. »Wie ihr alle wisst, seid nicht nur ihr einem guten Tropfen und einer deftigen Bauernplatte herzlich zugeneigt, nein, ich gestehe es rundheraus, ich bin es zuweilen auch.« Er hob beide Hände gen Himmel und ließ seine Augen unter den buschigen Brauen um Nachsicht heischend folgen.
»Rundheraus, das hast du treffend formuliert«,