Personen im Fahrzeug. Onno zog am Türgriff. »Der Wagen ist verriegelt. Hier liegt sein Notizbuch auf der Ablage. Sieht aus, als hätte er uns eine Mitteilung geschrieben. Ich kann es aber nicht lesen. Zu beschlagen, die Scheibe.«
Sie spürten beide, dass hier etwas oberfaul war. Klaas nahm das Handy und rief Mark an. Alle drei waren aufgeregt. »Mark, bleib ruhig. Wir gehen jetzt auf den Parkplatz, vielleicht klärt sich noch alles auf.«
Dies war aber nicht der Fall. Der Parkplatz war praktisch leer. Die Hoffnung, ihren Kollegen zu finden, verringerte sich von Minute zu Minute. Sie suchten den gesamten Parkplatz, ja, sogar die angrenzenden Gräben noch einmal ab. Keine Spur von Rolf Berger.
Klaas rief auf der Wache an. »Mark, wir brauchen hier die Zweitschlüssel des Streifenwagens, mit dem Rolf unterwegs war. Zweitens kannst du die Nummer von Rolfs Handy wählen. Vielleicht können wir ihn ja so orten.«
»Mach ich«, antwortete Mark. »Und ich bitte die Kollegen aus der Georgstraße um Unterstützung. Die Kollegen vom Streifendienst aus der Stadt sollen euch den Schlüssel zum Parkplatz bringen.«
Wenig später hörten Onno und Klaas ein leises Klingeln und folgten dem Geräusch. Das schwache Licht des Handydisplays leuchtete im Gras zwischen den hinteren Büschen der Grünanlage. Die Sorge um ihren Kollegen verwandelte sich in Angst.
»Klaas, ich hab ein ganz mieses Bauchgefühl.« Onno hörte selbst, wie unsicher seine Stimme klang. »Was ist hier eigentlich los?
»Verdammt! Wo ist Rolf geblieben? Der kann sich doch nicht einfach in Luft aufgelöst haben!« Klaas bückte sich, um das Handy aufzuheben, doch dann stand er ohne Handy wieder auf. Sie sahen sich an und dachten dasselbe. Bloß keine Spuren vernichten.
Vorsichtig suchten sie die Umgebung ab. Nichts, keine Spur von ihrem Kollegen.
Kurz darauf hielt ein Streifenwagen, ein neuer Passat, hinter ihrem auf dem Standstreifen. Die Kollegen übergaben die Zweitschlüssel des Mercedes. Natürlich wollten sie wissen, was los war. Während Klaas sich mit ihnen unterhielt, holte sich Onno Einmalhandschuhe aus Latex aus seiner Einsatztasche und streifte sie über. Er drückte auf die Fernbedienung der Zentralverriegelung und die Lichter des Streifenwagens leuchteten kurz auf. Vorsichtig öffnete Onno die Fahrertür und beugte sich ins Innere.
Auf dem Rücksitz lag die Einsatztasche. Ansonsten keine weitere Ausrüstung von Rolf. Im Auto roch es etwas muffig, wie ein nasser Hund. Der Hörer des Funkgerätes hing ordentlich in der Halterung. Der Notknopf war nicht gedrückt worden. Keine Blutflecken, keine Spuren eines Kampfes und auch keine Patronenhülsen. Auf dem Armaturenbrett lag das aufgeschlagene Notizbuch.
Endlich konnte Onno lesen, was dort in großer Schrift stand. Ich habe die Frau meines Lebens gefunden. Ich hab keinen Bock mehr auf diese Scheiße.
Nun verstand er gar nichts mehr.
Tag 4, 06.00 Uhr
Wohnhaus Familie Martens
Das Klingeln des Telefons weckte Anton Martens, den Chef der Autobahnpolizei. Er hörte sich an, was Mark ihm zu sagen hatte.
Martens war müde, aber entschlossen. »Ich komme so schnell wie möglich. Die Nachtschicht soll unbedingt auf mich warten. Bis gleich.«
Auf dem Weg zur Dienststelle überlegte er, was passiert sein könnte. Im Grunde gab es nur zwei Möglichkeiten. Die erste war, dass Rolf Berger sich abgesetzt hatte. Vielleicht gab es Probleme im familiären Bereich der Bergers, von denen er nichts wusste. Die zweite: Man hatte Berger entführt oder Schlimmeres. Dann sollte die Notiz im Streifenwagen die Ermittler ablenken.
Instinktiv entschied er sich für diese zweite Möglichkeit. Nun war passiert, was viele insgeheim befürchtet hatten. Die Streifenfahrten nachts alleine waren eine Notlösung. In einem Streifenwagen sollte eigentlich ein zweiter Kollege den anderen absichern.
So ein Mist. Berger hatte doch nur die Schwertransporte übernehmen sollen. Was war bloß passiert?
Tag 4, 06.30 Uhr
Dienstgebäude Autobahnpolizei am Emstunnel22
Als Martens die Wache betrat, hatten sich die Kollegen der Nachtschicht dort versammelt. Zunächst ließ er sich von jedem Beamten erzählen, was in der Nacht passiert war. Mark schilderte ihm die Abläufe auf der Wache, Onno und Klaas die Situation auf dem Parkplatz.
Martens fragte nach. »Der Streifenwagen von Rolf steht noch dort?«
»Ja, wir haben nur vorsichtig hineingesehen. Nichts Auffälliges bis auf dieses Notizbuch. Die Kollegen von der Georgstraße sperren den Parkplatz ab. Vielleicht ist es ja ein Tatort«, sagte Klaas mit belegter Stimme.
Jede Wahrheit braucht einen Mutigen, der sie ausspricht, dachte Onno. Jetzt hat Klaas das gesagt, was alle denken. Rolf ist einem Verbrecher in die Arme gelaufen. Der Himmel stehe ihm bei.
Antons Vertreter Heinrich Greve kam gerade dazu und ließ sich kurz den Sachverhalt erklären.
»Ich fahr jetzt rüber zu unserer vorgesetzten Dienststelle«, sagte Martens, »informiere den Chef und organisiere die Fahndung. Heinrich, für dich habe ich eine echt unangenehme Aufgabe: Du musst zu Frau Berger. Versuch ihr schonend beizubringen, was wir bis jetzt wissen.«
Greves Gesicht sprach Bände. Was sollte er der Frau seines Kollegen denn erklären? Im Grunde wussten sie ja noch nichts Konkretes.
Tag 4, 7.00 Uhr
Stadt Leer, Polizeidienstgebäude23
Anton Martens fuhr zur vorgesetzten Dienststelle in Leer. Er ging davon aus, dass sein Kollege Rolf entführt worden war. Nun musste er die Führung von seiner Einschätzung überzeugen. Diese Situation konnte die Autobahnpolizei nicht alleine lösen.
In der sogenannten Teppich-Etage, den Büros der Polizeiführung, erklärte Anton seinem Chef Thomas Sprengel den bis jetzt bekannten Sachverhalt.
Sprengel machte ein besorgtes Gesicht, als er zum Telefon griff. »Hallo, Renko, hier ist Thomas. Kannst du mal zu mir kommen? Es ist wichtig.«
Zusammen mit Renko Dirksen berieten sich die Männer dann, wie sie vorgehen sollten. Auf dem Tisch lag eine Karte vom Landkreis Leer.
»Anton, es ist deine Autobahn.« Thomas Sprengel sah ihn auffordernd an. »Womit können wir euch unterstützen?«
»Zunächst wäre da natürlich der Parkplatz Rheiderland. Ich meine, wir sollten erst mal die Spurensicherung ihre Arbeit machen lassen. Meine Leute haben alles so gelassen, wie sie es vorgefunden haben. Den Streifenwagen, mit dem Berger unterwegs war, und das Handy haben wir nicht angerührt.«
»Super«, sagte Renko Dirksen. »Dann lassen wir den Wagen in einer Halle unterstellen. Ich schick die Spurensicherung zum Parkplatz. Albert Brede und Stefan Gastmann übernehmen das.«
»Hunde«, sagte Thomas Sprengel, »wir brauchen die Hundestaffel. Sobald ihr mit der Spurensicherung durch seid, schicken wir die Hunde über den Platz. Dafür brauchen wir eine Geruchsprobe vom Kollegen. Anton, kannst du das organisieren?«
»Ja, in Rolfs Spind auf der Dienststelle dürfte was Passendes sein.«
»Wir brauchen noch Hubschrauber. Am besten mit Wärmebildkamera«, schlug Renko vor. »Und jede Menge Kollegen für die Suchaktionen.«
Thomas nickte. »Besorge ich. Von wo aus soll die Suche koordiniert werden?«
»Bei uns«, schlug Anton vor. »Die Dienststelle der Autobahn liegt zentral.«
»Find ich auch, Anton, aber für so eine Aktion brauchst du noch Unterstützung.«
Thomas überlegte nicht lange. »Renko, ich brauch deinen besten Mann für die Suche.«
Renko lachte. »Jan Broning, daran hab ich auch schon gedacht. Momentan haben wir die Leiche vom Parkplatz in Arbeit, da ist Jan dran. Aber diese Sache geht natürlich vor.