Wolfgang Santjer

Ostfriesenspieß


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dem Seitenstreifen vor ihm stand ein Wagen mit eingeschaltetem Warnblinker. Ein Mann sprang auf seine Fahrbahn und wedelte wild mit den Armen. Die Bremsen des Transporters quietschten, als er auf die Standspur fuhr. Der Mann bat ihn auszusteigen und stammelte: »Helfen bitte, bitte. Motor kaputt, nachsehen.«

      Für einen Moment war er skeptisch gewesen. Hätte er damals doch nur auf seinen Instinkt gehört …

      In Gedanken sah er sich wieder aussteigen, um dem kleinen, südländisch aussehenden Fahrer zu helfen. Die Verriegelung der Motorhaube des Pannenfahrzeugs klemmte etwas. Er brauchte einige Zeit, um sie zu öffnen, und bemerkte nicht, dass ein Auto hinter seinem Transporter angehalten hatte.

      Zwei Personen stiegen leise aus und näherten sich der hinteren Tür des Transporters. Eine Brechstange an der richtigen Stelle angesetzt, und die Tür gab nach. Die beiden waren schnell und effektiv. Sie sahen in die Kartons. Eine alte Wanduhr und Silberbesteck, nicht schlecht. Sie hatten es eilig und nahmen einfach beide Kartons mit, legten sie in ihren Kofferraum. Einer startete den Pkw, der andere ging zurück zum Transporter, die Brechstange auf dem Rücken unter den Gürtel gesteckt. Er nahm den Ventilschlüssel aus der Tasche, um das Reifenventil des Transporters herauszuschrauben. Die Luft entwich mit leisem Zischen. Er rannte zurück zu seinem Kumpan. Dabei fiel die Brechstange herunter und schlug mit lautem Klirren auf dem Asphalt auf.

      Gerd Hasler hörte es und trat von dem Pannenfahrzeug zurück, um zu seinem Transporter hinüberzuschauen. Wieso konnte er einen Teil der Hecktür sehen? Dann hörte er einen Motor aufheulen und sah zwei Personen in einem unbeleuchteten Pkw, der hinter seinem Transporter gestanden haben musste, an sich vorbeirasen.

      Gerd rannte zu seinem Fahrzeug. Die hinteren Türen standen mit herausgebrochenen Schlössern offen und er starrte in einen leeren Laderaum. Die Andenken an seine Mutter – weg. Alles gestohlen. Eine Verfolgung war sinnlos. Die Diebe würde er nicht einholen.

      Hinter ihm knallte eine Motorhaube zu. Der Fahrer des Pannenfahrzeuges hatte es offensichtlich eilig, er rutschte auf dem Standstreifen aus. Gerd Hasler rannte los, aber der Mann hatte sich in Windeseile aufgerappelt und sprang ins Auto. Der angeblich kaputte Motor heulte auf, und der Wagen brauste mit durchdrehenden Reifen davon.

      Dann sah er den platten Hinterreifen. Diese Schweine hatten an alles gedacht.

      Die Polizei konnte er nicht alarmieren. Sie wollten bestimmt seine Personalien aufnehmen. Zu gefährlich.

      Zunächst wechselte er den Reifen. Tränen der Wut und Enttäuschung liefen ihm übers Gesicht.

      Dann verstaute Gerd Hasler seinen kaputten Reifen, ließ den Motor des Transporters an. Im Scheinwerferlicht funkelten Schmuckstücke auf dem Asphalt. Er stieg aus und ging zu der Stelle, wo das angebliche Pannenfahrzeug gestanden hatte. Auf dem Asphalt lagen Ringe und Ketten, die aus einem Stoffbeutel gefallen waren. Der Dieb hatte sie vermutlich verloren, als er ausgerutscht war. Später stellte Gerd fest, dass es sich um sogenanntes Autobahngold handelte.

      Ja, so war das Schicksal. Es hatte die für ihn so kostbaren Andenken an seine Mutter gegen diesen wertlosen Schmuck getauscht. Das war also der Lohn für seine Gutmütigkeit.

      Das würde ihm nie wieder passieren.

      Tag 3, nachts

      Die Stimme aus dem Funkgerät riss ihn aus seinen schmerzlichen Erinnerungen, als sie fragte: »Soll ich das rote Licht einschalten?«

      Seine eigene Stimme klang entschlossen und kalt. »Okay. Und warte auf mein Zeichen.«

      Zunächst passierte wenig auf dem Parkplatz. Ein Golf hielt beim Wohnmobil. Der Fahrer klopfte an die Tür und wartete vergeblich auf eine Reaktion. Schließlich stieg er wieder ins Auto und fuhr davon.

      Dann hielt ein Bulli mit seitlich aufgebrachter Zigarettenwerbung vor dem Toilettenhäuschen. Gerd Hasler setzte sein Nachtsichtgerät auf und beobachtete, wie der Fahrer ausstieg und im Häuschen verschwand.

      Gerd überlegte nur kurz, stieg aus und näherte sich dem Bulli. Der war vollgepackt mit Zigaretten, und wenn er sich nicht täuschte, lagen auch Münzkassetten auf dem Boden. Na klar – der Fahrer entleerte und bestückte die Zigarettenautomaten.

      Gerd lief zurück zum Transporter und drückte die Ruftaste des Funkgerätes. »Das ist unser Mann. Viel Glück.«

      *

      Karl Klein kam aus dem Toilettenhäuschen und kramte eine Zigarette aus der Schachtel, als er einen Traum von einer Frau aus einem Wohnmobil steigen sah. Erst jetzt fiel ihm die rote Beleuchtung auf. Ein Lovemobil! Deshalb ihre geile Aufmachung …

      Genau Karls Typ. Und jetzt winkte sie ihn auch noch zu sich. Er konnte nicht anders und ging zu ihr. Nur ein kleines Schwätzchen, konnte doch nicht schaden.

      Sie stellte ein Bein provozierend auf die Stufe des Wohnmobils. Das rote Licht schimmerte auf den hohen Lackstiefeln.

      Karl wollte einen lockeren Spruch machen, bekam aber keinen Ton heraus. Stattdessen bot er ihr eine Zigarette an. Sie lächelte ihn an, nahm eine und bat um Feuer. Karl kam ganz nah an sie heran, und als das Feuerzeug aufflammte, konnte er ihre schönen Brüste bewundern. Sie legte ihre Hand sanft zwischen seine Beine und streichelte sein empfindlichstes Körperteil. Dies reagierte prompt, und seine Hand legte sich auf ihren Schenkel und wanderte langsam nach oben.

      Ihre Hand wanderte in seine Hose und griff fest zu. Mit dunkler Stimme raunte sie ihm zu: »Du, hier ist heute nichts los. Ich mach es dir auch ganz billig. Sagen wir 50 Euro?«

      Karl Klein stammelte: »Nimmst du auch Kleingeld?«

      Im ersten Moment dachte er, sie würde darüber lachen, im nächsten meinte er, sie sähe beinahe traurig aus, aber ihre verführerische Stimme lenkte ihn ab. »Hol das Geld, ich mach das rote Licht aus. Du kannst zur hinteren Seite des Wohnmobils kommen. Ich mach dir die Tür auf, mein Süßer.«

      *

      Der Zigarettenmann lief zu seinem Bulli und wühlte im Laderaum herum.

      Gerd zog die Sturmhaube herunter. Seine schwarz gekleidete Gestalt verschmolz mit der Dunkelheit auf dem Parkplatz, als er sich im Bogen dem Wohnmobil näherte. Er öffnete die Tür, und sie sahen sich kurz an, bevor er sich in der kleinen Nasszelle versteckte.

      *

      Karl Klein nahm eine Geldkassette vom Automaten und holte 50 Euro in Zwei-Euro-Stücken heraus. Etwas nervös ging er zum Wohnmobil zurück. Die rote Beleuchtung war ausgeschaltet. Er klopfte.

      »Komm rein, mein Süßer.«

      Etwas ängstlich betrat es das Innere. Das Erste, was er wahrnahm, waren das schwere Parfüm und die intime, leicht rötliche Beleuchtung.

      Als sich seine Augen an das Licht gewöhnt hatten, sah er das Bett im hinteren Bereich. Sie saß, nur mit Lackstiefeln und Reizwäsche bekleidet, auf der Kante und winkte ihn zu sich. »Du kannst mir beim Ausziehen helfen.«

      Die Eurostücke klimperten, als Karls Hose herunterfiel. Sie lächelte. »Nicht so stürmisch. Wir haben doch Zeit. Hilf mir erst bei den Stiefeln.«

      Karl stieg aus der Hose und kniete sich hin. Er griff nach einem ihrer Lackstiefel und zog.

      Hinter ihm ging eine kleine Tür auf, und eine schwarze Gestalt rief: »Jetzt!« Karl sah gerade noch, dass die Frau nach hinten rutschte, dann kam blitzartig der Schmerz, als der Elektroschocker gegen seinen Nacken gedrückt wurde und der Stromstoß durch seinen Körper raste. Die Muskeln blockierten und Karl sackte bewusstlos in sich zusammen.

      *

      »Gut gemacht«, sagte Gerd Hasler. »Zieh dich an, ich hol den Transporter.« Er nahm die Handschellen aus der Hosentasche und legte sie dem Bewusstlosen an.

      Als er mit dem Transporter seitlich an das Wohnmobil heranfuhr, erwartete sie ihn schon. Sie trug einen Overall.

      Im Laderaum räumte er die längliche